Die Löwenskölds. Selma Lagerlöf

Die Löwenskölds - Selma Lagerlöf


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Wunsch, aber morgen müsse ich pro exercitio schreiben, und meine Eltern würden ein solches Versäumnis gewiss nicht billigen. Friman wollte aber nichts davon hören.

      ›Reise schleunigst!‹, sagte er. ›Denk an nichts als an eine Versöhnung mit deiner Mutter! Gott wird dir helfen.‹«

      »Und dann bist du abgereist?«

      »Ja, Mama; ich reiste, um mich dir zu Füßen zu werfen. Aber kaum saß ich im Wagen, da kam ich mir auch schon unglaublich albern vor. Ich hatte die größte Lust, wieder umzukehren; und das wusste ich ja wohl, deine Liebe würde mir verzeihen, auch wenn ich noch ein paar Tage in Uppsala bliebe. Aber ich fuhr dennoch weiter. Und Gott half mir. Ich fand dich hier; zwar weiß ich nicht, wie du hierhergekommen bist, aber seine Hand muss dich geführt haben.«

      Tränen benetzten das Antlitz von Mutter und Sohn. War es denn nicht ein Wunder, das ihretwillen geschehen war?

      Sie fühlten, dass eine liebende Vorsehung über ihnen waltete; und auch die Größe der Liebe, die sie verband, empfanden sie stärker als je zuvor.

      So saßen sie eine Zeit lang beisammen in dem Wirtszimmer. Dann schickte die Frau Oberst Karl Artur nach Uppsala zurück und trug ihm auf, die gute Malla Silfverstolpe zu grüßen und ihr zu sagen, dass aus dem Besuch der Mutter für dieses Mal nichts würde.

      Denn der Frau Oberst lag rein gar nichts daran, nach Uppsala zu kommen. Das Ziel ihrer Reise war erreicht. Sie wusste jetzt, dass Karl Artur die Prüfung bestehen werde. So konnte sie ruhig heimkehren.

      3

      Ganz Karlstadt wusste, dass die Frau Oberst religiös war. Sie ging in den Gottesdienst genauso regelmäßig wie der Pfarrer, und an den Werktagen hielt sie morgens und abends eine kleine Andacht mit ihrer ganzen Hausgenossenschaft.

      Sie hatte auch ihre Armen, die sie nicht nur zu Weihnachten mit Gaben bedachte, sondern auch während des ganzen Jahres. Verschiedenen bedürftigen Schuljungen gab sie Mittagessen, und die alten Weiber im Armenhause pflegte sie am Beatentage mit einer großen Kaffeevisite zu erfreuen.

      Aber keiner Seele in Karlstadt und am allerwenigsten der Frau Oberst selbst kam der Gedanke, dass es Gott unangenehm sein könnte, wenn sie mit dem Dompropst und dem Ratsherrn und der ältesten ihrer Basen Stake an den Familiensonntagnachmittagen ein freundliches Spielchen Boston machte. Und niemandem fiel es auch nur im Traum ein, es könnte eine Sünde sein, wenn die jungen Damen und Herren, die sich bei Obersts einzustellen pflegten, in dem geräumigen Salon ein kleines Tänzchen machten.

      Weder die Frau Oberst noch irgendein anderer Karlstädter hatte jemals ein Wörtchen davon gehört, es sei verdammenswert, an einem festlichen Mittagessen ein Glas guten Wein zu reichen oder, ehe es geleert wurde, einen Tischgesang anzustimmen, den meistens die Wirtin selber gedichtet hatte. Auch war keinem bekannt, dass der liebe Gott Romanlesen und Theaterbesuch übel nehme. Die Frau Oberst liebte es auch, Liebhabertheater ins Werk zu setzen und selbst dabei mitzuwirken. Es wäre ihr eine große Entbehrung gewesen, auf dieses Vergnügen verzichten zu müssen. Sie war ja wie für die Bühne geschaffen, und die Karlstädter pflegten zu sagen, wenn Frau Torslöw nur halb so gut spiele wie Frau Beate Ekenstedt, so könne man sich nicht wundern, dass alle Stockholmer in sie vernarrt seien.

      Aber Karl Artur Ekenstedt war noch einen ganzen Monat in Uppsala zurückgeblieben, nachdem er die schwierige lateinische Arbeit glücklich vollendet hatte, und während dieser Zeit war Pontus Friman sein hauptsächlichster Umgang gewesen. Friman aber war ein aufrichtiger, strenger und beredter Anhänger der pietistischen Richtung, und Karl Artur konnte sich seinem starken Eindruck nicht entziehen.

      Von einer tatsächlichen Erweckung oder Bekehrung war zwar keineswegs die Rede; aber jedenfalls genügte es, ihn über die weltlichen Freuden und Vergnügungen, die er daheim fand, zu beunruhigen.

      Es ist leicht zu verstehen, dass gerade damals ein unbeschreiblich warmes, vertrauliches Verhältnis zwischen Mutter und Sohn bestand, und so sprach Karl Artur auch freimütig mit Frau Beate über alles, was ihm Anstoß erregte. Und seine Mutter kam ihm auf alle mögliche Weise entgegen. Da es ihn betrübte, sie Karten spielen zu sehen, schützte sie am nächsten Familientag Kopfschmerzen vor und ließ den Herrn Oberst ihren Platz am Bostontisch einnehmen. Denn dass der Dompropst und der Ratsherr um ihre Partie gebracht werden sollten, das war ganz undenkbar.

      Und da Karl Artur das Tanzen nicht mehr leiden konnte, so unterließ sie auch dies. Als wie gewöhnlich am Sonntagabend die Jugend sich einfand, erklärte sie, sie sei nun fünfzig Jahre alt und fühle sich wirklich zu betagt, um noch zu tanzen. Als sie dann aber die enttäuschten Gesichter sah, wurde sie gerührt und setzte sich an den Flügel, um ihnen selbst bis nach Mitternacht zum Tanze aufzuspielen.

      Karl Artur brachte ihr Bücher, die sie lesen sollte, und sie nahm sie dankbar entgegen und fand sie schön und erbaulich.

      Aber immer nur so feierliche pietistische Bücher zu lesen, das brachte die Frau Oberst doch nicht fertig. Sie war eine gebildete Frau und in Fühlung mit der Weltliteratur, und so begab es sich eines Tages, dass Karl Artur Byrons Don Juan zwischen den Andachtsbüchern fand, in denen Frau Beate las. Ohne ein Wort zu sagen, wandte er sich ab, und seine Mutter fühlte sich besonders gerührt, weil er keinen Vorwurf äußerte. Am folgenden Tage packte sie alle ihre Bücher in eine Kiste und stellte sie auf den Speicher.

      Nein, es war ganz deutlich, die Frau Oberst versuchte so entgegenkommend zu sein, wie es in ihrer Macht stand. Sie war ja klug und einsichtsvoll und wusste, dass es nur eine vorübergehende Schwärmerei bei Karl Artur sei, die mit der Zeit schon wieder verschwinden würde, und zwar um so sicherer, je weniger Widerstand er fände. Auch war es glücklicherweise Sommer; alle vermögenden Karlstädter waren verreist, große Gesellschaften waren daher ganz von selbst ausgeschlossen. Man belustigte sich mit unschuldigen Wanderungen durch Gottes freie Natur oder mit weiten Ruderpartien auf dem schönen Klarälv mit Beerenpflücken und Gesellschaftsspielen im Freien.

      Gegen Ende des Sommers sollte nun auch Eva Ekenstedt mit ihrem Leutnant Hochzeit machen, und der Frau Oberst war wirklich etwas bange, wie das ablaufen würde. Sie fühlte sich gezwungen, eine großartige, prächtige Hochzeit auszurichten. Denn das war ganz klar, wenn Evas Hochzeit nicht mit allem Pomp gefeiert wurde, dann hieß es wieder, die Frau Oberst habe eben kein Herz für ihre Töchter.

      Glücklicherweise schien jedoch ihr bisheriges Entgegenkommen einen beruhigenden Einfluss auf Karl Artur gehabt zu haben. Er setzte nicht nur den zwölf Gängen bei Tisch nebst Sandtorten und Konfekt keinen Widerstand entgegen – nein, er protestierte nicht einmal gegen den Wein und die andern Getränke, die von Göteborg bezogen wurden. Auch hatte er nichts gegen die Trauung im Dom einzuwenden, noch gegen die Girlanden, mit denen die Straßen, durch die der Brautzug kam, geschmückt wurden, und ebenso wenig gegen die Pechfackeln am Flusse hin. Er nahm sogar selber an den Vorbereitungen teil und arbeitete gerade wie jeder andere Sterbliche im Schweiße seines Angesichts, Kränze zu binden und Fahnen aufzustecken. Nur an einer Sache hielt er unwandelbar fest, nämlich dass bei der Hochzeit nicht getanzt werden sollte. Und das hatte ihm Frau Beate auch versprochen. Sie glaubte, ihm dieses weitgehende Entgegenkommen schuldig zu sein, da er sich so geduldig in alle anderen Anordnungen gefügt hatte.

      Der Oberst und die Töchter hatten es mit schwachen Einwendungen versucht. Sie meinten, man wisse ja gar nicht, was man dann mit all den jungen Offizieren und den jungen Karlstädter Mädchen anfangen solle, die man eingeladen hatte und die natürlich erwarteten, die ganze Nacht hindurch tanzen zu dürfen. Aber die Frau Oberst entgegnete, mit Gottes Hilfe werde es doch ein schöner Abend werden, und die Leutnants und die jungen Mädchen sollten in dem Garten spazieren gehen, die Regimentsmusik anhören, die Raketen gen Himmel steigen sehen und den Widerschein der Pechfackeln auf dem Wasser bewundern. Sie glaubte, all dieses werde so wunderschön sein, dass niemand andere Vergnügungen vermisse. Und sicherlich sei dies eine würdigere Einweihung des jungen Ehestandes, als in einem Ballsaal herumzuhüpfen.

      Der Oberst und die Töchter fügten sich wie gewöhnlich, und so blieb der Familienfriede ungestört.

      Am Hochzeitstage war alles bereit und in Ordnung. Nichts ging schief. Man hatte mit dem Wetter Glück, und die Trauung


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