Das Raunen und Tuscheln der Wüste. Bell Gertrude Lowthian
nippt, ruft jemand, »Auf doppelte Gesundheit!«, worauf man »Auf Euer Herz!« entgegnet. Als die Tassen ein- oder zweimal herumgegangen und alle erforderlichen Höflichkeitsformeln gesprochen waren, machte ich mich daran, meine Aufgabe für diesen Abend zu lösen. Wie konnte ich ins Drusengebirge kommen? Die Regierung würde mir vermutlich die Erlaubnis verweigern und in Amman, am Anfang der Wüstenstraße, gab es einen Militärposten. In Bosra kannte man mich, ich war ihnen vor fünf Jahre durch die Finger geschlüpft, ein zweites Mal würde mir das wohl kaum gelingen. Habib Faris dachte nach, schließlich schmiedeten wir beide einen Plan. Ich sollte am nächsten Tag nach Tneib, seinem Ackerland am Rand der Wüste, reiten; dort würde ich Namrud antreffen, er würde einen der großen Stämme benachrichtigen. Von ihnen eskortiert käme ich sicher durch die Berge. Yusef hatte zwei kleine Söhne, sie lauschten mit großen Augen, am Ende des Gesprächs brachte mir einer der beiden eine ausgerissene Zeitungsseite mit einer Landkarte von Amerika. Daraufhin zeigte ich ihnen meine Landkarten, erzählte ihnen, wie groß und wie schön die Welt sei, bis sich um zehn Uhr die Gesellschaft auflöste. Yusef begann, die Decken für mein Bett auszubreiten, erst da sah ich meine Gastgeberin. Sie war eine Frau von außergewöhnlicher Schönheit, groß und blass, das Gesicht ein perfektes Oval, die großen Augen wie Sterne. Sie trug ein arabisches Gewand, schmal und dunkelblau, das sich beim Gehen um ihre nackten Fesseln fing, ein tiefblauer Baumwollschleier war mit einem roten Band um ihre Stirn gebunden und fiel ihr über den Rücken, fast bis zum Boden. Wie es bei den Beduinenfrauen Sitte ist, waren ihr mit Indigo auf Wangen und Hals feine Muster tätowiert. Sie brachte Wasser und goss es über meine Hände, bewegte sich lautlos durch den Raum, eine dunkle und würdevolle Gestalt, als sie alle Aufgaben erledigt hatte, verschwand sie so still wie sie gekommen war. Ich sah sie nie wieder, und ich dachte an die Zeilen des Dichters, den man in Mekka in Haft gehalten hatte: »Sie trat ein und grüßte mich, dann erhob sie sich, um Abschied zu nehmen, und als sie meinen Blicken entschwand, folgte ihr meine Seele.« Niemand sieht Yusefs Ehefrau. Er mag Christ sein, doch seine Ehefrau hält er in größerer Abgeschiedenheit als jede Muslima. Vielleicht, wer weiß, tut er gut daran.
Der Regen schlug gegen die Fenster, ich legte mich auf die Decken und hörte Mikhail sagen: »Maschaallah! Eure Exzellenz sind vom Glück begünstigt.«
II
VON SALT NACH TNEIB
Salt ist eine wohlhabende Gemeinde mit über 10.000 Seelen, die Hälfte Christen. Es liegt in einem reichen, für seine Trauben und Aprikosen berühmten Landstrich, seine Gärten wurden schon im vierzehnten Jahrhundert vom arabischen Geographen Abul Fida erwähnt und gepriesen. Auf einem Hügel über den dicht gedrängten Hausdächern liegt die Ruine einer Festung, ich weiß nichts Näheres über sie. Die Bewohner halten ihre Stadt für sehr alt; die Christen behaupten, Salt sei eine der ersten Glaubensgemeinden gewesen, der Legende nach soll sogar Christus selbst hier das Evangelium gepredigt haben. Die Äste der Aprikosenbäume waren noch kahl, und doch spürte ich, als ich durch das Tal ritt, eine Atmosphäre freundlichen Wohlstands. Begleitet wurde ich von Habib Faris, der auf seinem Pferd mit mir geritten war, um sicherzugehen, dass ich den richtigen Weg fand. Er selbst besaß einige dieser Aprikosenhaine und Weinberge, und er, der angenehme Mann, lächelte erfreut, als ich sie lobte. Wer hätte an einem solchen Morgen nicht gelächelt? Die Sonne schien, am Boden glitzerte Reif, die Luft hatte jene perlende Transparenz, die klare Wintertage nach einem Regenschauer haben können. Ich sage das nicht nur, weil mich ein allgemeines Gefühl von Wohlwollen beschwingte: die Christen von Salt und Madeba sind intelligente und fleißige Menschen, die Lob verdienen. Seit meinem letzten Besuch waren fünf Jahre vergangen, in denen sie die Grenze des kultivierten Landes um die Breite eines zweistündigen Ritts nach Osten verschoben haben. Dies bewies die Qualität des Bodens so unwiderlegbar, dass der Sultan, als die Hedschasbahn eröffnet wurde, einen großen Landstrich im Süden für sich beanspruchte, der bis Maan reichte. Er will ihn in eine Chiflik verwandeln, eine königliche Farm. Das wird ihn und seine Pächter reich machen, denn er mag ein mittelmäßiger Herrscher sein, aber er ist ein guter Landwirt.
Eine halbe Stunde hinter Salt verließ Habib mich und übergab mich der Fürsorge seines Knechts Yusef, ein kräftiger Mann, der neben mir her lief, die Holzkeule über der Schulter (die Araber nennen sie Gunwa). Wir kamen durch breite Täler, baumlos, unbewohnt, fast unbewirtschaftet, die die Belka-Ebene umgeben, und passierten den Eingang zum Wadi Sir, der, immer durch Eichenwälder, bis ins Jordantal führt. Auch hier auf den Höhen würden Bäume wachsen, wenn die Köhler sie nur stehen ließen, wir kamen durch einige Eichen- und Schwarzdornwäldchen, aber ich würde an der herrlichen Landschaft östlich des Jordans nichts ändern wollen. Ein oder zwei Generationen später wird hier Getreide stehen, überall sind Dörfer, das Wasser des Wadi Sir dreht Mühlräder, vielleicht gibt es bald sogar Straßen. Dann werde ich – gelobet sei Gott! – nicht mehr hier sein, um das zu sehen. So lange ich lebe, wird das Hochland jene wunderbare Landschaft bleiben, die Omar Chajjam besingt: »Ein schmales Band gesäten Grüns, trennt Wüste hier von Ackerland.« Es wird menschenleer sein, vereinzelte Schäfer ausgenommen, die mit einer langläufigen Flinte ihre Herde bewachen. Und wenn mir, selten genug, ein Reiter begegnet, der in diesen Bergen unterwegs ist, und wenn ich ihn frage, woher er kommt, wird er weiter antworten: »Möge deine Welt weit sein! Ich komme von den Arabern.«
Dorthin waren wir unterwegs: zu den Arabern. In der Wüste gibt es keine Beduinen, alle Zeltbewohner sind ’Arab (mit leichtem Rollen des Gutturalanlauts), und es gibt auch keine Zelte, sondern Häuser – wenn eine genauere Bezeichnung nötig ist, sagen sie ›Fellhaus‹, normalerweise aber nur ›Haus‹, und übergehen damit souverän jede andere Bedeutung als eines Daches aus schwarzem Ziegenfell. Auch wer zwischen Mauern lebt, kann in gewisser Weise ’Arab sein. Die Männer von Salt gehören zu den Stämmen der Belka-Ebene, das sind die Abadeh, die Da’ja, die Beni Hasan und einige andere, die zusammen die große Gruppe der Adwan bilden. Zwei mächtige Gruppen machen sich hier die Herrschaft über die syrische Wüste streitig, die Beni Sakhr und die Anazeh. Zwischen den Sukhur und den Belka herrscht traditionell eine, allerdings durch bedauerliche Zwischenfälle getrübte, Freundschaft. Das mag der Grund sein, warum man in dieser Gegend sagt, die Anazeh seien den Beni Sakhr zwar zahlenmäßig überlegen, aber bei weitem nicht so mutig wie sie. Mit einem der Söhne des Talal ul Faiz, Herrscher der Beni Sakhr, bin ich sehr flüchtig bekannt. Ich habe ihn vor fünf Jahren hier in dieser Ebene kennengelernt, das war aber einen Monat später als jetzt, um diese Zeit zieht sein Stamm von den heißen östlichen Weidegebieten zum Jordan. Damals ritt ich in Begleitung eines tscherkessischen Saptieh von Madeba nach Mschatta, die Deutschen hatten die reliefgeschmückte Fassade dieses wunderbaren Bauwerks noch nicht abgenommen. Überall auf der Ebene sah man Herden und die schwarzen Zelte der Sukhur, als wir hindurch ritten, preschten drei Reiter heran, mit finsteren Mienen, bis an die Zähne bewaffnet, bedrohlich anzusehen. Sie wollten uns aufhalten und riefen uns von weitem einen Gruß zu, doch als sie den Soldaten sahen, machten sie kehrt und ritten langsam zurück. Der Tscherkesse lachte. »Das war Scheich Faiz«, sagte er, »Talals Sohn. Wie Schafe, wallah! wenn sie einen von uns sehen, sind sie wie Schafe!« Die Anazeh kenne ich nicht, weil ihre üblichen Winterorte näher am Euphrat liegen, aber bei aller Achtung vor den Sukhur glaube ich doch, dass ihre Rivalen die wahren Aristokraten der Wüste sind. Ihr Herrscherhaus, die Beni Shaala, trägt den stolzesten Namen, ihre Pferde sind die besten in ganz Arabien. Selbst die Schammar, Ibn Rasheeds Volk, wollen sie haben, um ihre Zucht zu verbessern.
Aus den tief eingeschnittenen, den Ghor überragenden Bergen kamen wir in eine flache Hügellandschaft, die von kleinen antiken Ruinenstätten geradezu übersät war. Eine lag am Eingang des Wadi Sir. Eine Viertelstunde, bevor wir dorthin kamen, waren wir auf viele Fundamente samt einem großen Wasserbecken gestoßen, das die Araber Birket Umm el ’Amud (Becken der Mutter der Säule) nennen. Yusef sagte, der Name leite sich von einer Säule ab, die früher einmal mitten im Wasser gestanden habe; ein Araber habe darauf geschossen und sie zerbrochen, die Bruchstücke lägen am Boden des Beckens. Der Siedlungshügel von Amereh oder Tell, um ihn mit dem heimischen Namen zu bezeichnen, ist ruinenbedeckt, etwas weiter, in Yadudeh, sahen wir am Rand des Wasserbeckens steinerne Grabmale und Sarkophage. Überall in diesem Grenzland der Wüste finden sich solche Zeugnisse einer bevölkerungsreichen Vergangenheit, Dörfer aus dem fünften und sechsten Jahrhundert, als Madeba eine