Heliosphere 2265 - Der komplette Fraktal-Zyklus. Andreas Suchanek

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wir mehr Zeit.«

      »Die haben wir nicht, Doktor.« Beinahe hätte Juri sein Glas gegen die Wand geworfen. In letzter Sekunde beherrschte er sich und stürzte stattdessen den Rest der bernsteinfarbenen Flüssigkeit in einem Zug hinunter. »Sie sind Geheimnisträger, Sie haben Zugriff auf alle Berichte und Dokumente, die der Admiralität zugehen. Lesen Sie zwischen den Zeilen, Doktor.«

      »Sie meinen, es wird einen Krieg geben?«

      Michalew lachte bellend. »Nein! Das ist ja das Problem. Das wird es nicht. Diese Sesselfurzer in der Regierung werden debattieren, Sanktionen beschließen und Reden halten, doch niemals feuern die den ersten Schuss ab. Nicht unter Präsidentin Ione Kartess. Die Frau weiß, wie das Spiel funktioniert. Glauben Sie ernsthaft, dieses Weib riskiert ihre Wählerstimmen?«

      »Sollten wir ihr dann nicht dankbar sein?«

      Michalew mochte von Ardenne. Der Mann neigte zwar zur Selbstüberschätzung und Arroganz, doch er ließ sich nicht einschüchtern, sagte offen seine Meinung. »Das dachte ich bisher auch. Doch nun sitzen Sie vor mir und erklären, dass wir noch Monate benötigen, bis ein geeignetes Mittel hergestellt ist. Diese Zeit haben wir nicht.«

      »Warum nicht?«

      Kommentarlos aktivierte Juri den im Schreibtisch integrierten Holo-Projektor. Innerhalb von Sekunden manifestierten sich Lichtpunkte, zerflossen und erschufen eine Szene. »Das sind die Aufnahmen eines Kampfes zwischen dem Interlink-Kreuzer HYPERION und einem Parlidenschiff im Elnath-System. Die Aufzeichnung stammt von einer der Außenkameras.« Juri stoppte die Aufzeichnungen, als der feindliche Raumer im Feuer der Torpedos explodierte. »Deshalb können wir nicht länger warten. Was denken Sie, geschieht, wenn die Wahrheit publik wird?«

      »Dann wird die Präsidentin eine Flotte …«

      »… aus Diplomaten losschicken – und das zu Recht. Sobald die Presse sich einschaltet, hat sie keine andere Wahl mehr. Solange diese Informationen aber geheim bleiben, gibt es eine zweite Option: eine Streitmacht, die gegen die Parliden losschlägt.«

      »Ich glaube nicht, dass sie das tun wird.«

      »Nein, vermutlich nicht.« Juri erhob sich. »Aber ich denke, der Zeitpunkt ist gekommen, unseren trägen Politikern einen Schubs zu geben.«

      »Was ist mit Sjöberg? Sollte er nicht erfahren … Nun ja … Sie wissen, was ich meine«, sagte von Ardenne.

      Dies war einer der wenigen Momente, in denen Juri Mitleid mit seinem Feind hatte. Seitdem er Admiral Björn Sjöberg kannte, standen sie sich als Kontrahenten gegenüber. Ob im Rat der Admiralität oder – durch allerlei Verbindungen und Bestechungen – in der Politik. Doch heute war das anders. Und, wie Juri es Doktor Irina Petrova vor vielen Wochen versprochen hatte, er würde diese eine Waffe nicht gegen Sjöberg einsetzen.

      Wenn alles wie erhofft funktionierte, wäre das auch gar nicht nötig. Und sollte es doch anders kommen, lag sein Ausweichplan bereit. So oder so, der Moment der Entscheidung war gekommen.

      Er aktivierte das interne Komm-System und befahl seinem Adjutanten, eine Notfallsitzung des Rates einzuberufen. »Und bitten Sie auch die Präsidentin dazu«, schloss er.

      Bevor der verblüffte Randall nachhaken konnte, hatte Juri die Verbindung wieder beendet.

      Doktor von Ardenne verabschiedete sich mit besorgtem Blick. Er ahnte, was bald auf sie alle zukommen würde.

      Juri starrte für einige Sekunden durch das Bullauge, bevor er sich erhob und sein Whiskeyglas erneut füllte. Rien ne va plus; nichts geht mehr.

      *

      »Sir, ich beende in zehn Sekunden den Interlink-Flug«, meldete Lieutenant Peter Task in seiner typisch lethargischen Sprechweise von der Navigationskonsole.

      Jayden lehnte sich entspannt in seinem Konturensessel zurück und beobachtete den Holotank im Zentrum der Kommandobrücke. Es dauerte nicht lange, und das Status-Symbol auf seiner Konsole wechselte von Interlink- auf Pike-Antrieb. Das Schiff raste mit einer Restgeschwindigkeit von 0,45 LG auf die inneren Planeten zu, während es mit 3700 m/s² abbremste.

      »Sir, ich etabliere den Kontakt zu den stationierten Überlichtplattformen«, meldete Lieutenant Kensington von der Ortungskonsole. »Unser Code wird akzeptiert, Phasenverbindung steht.«

      Um die Entfernung von etwas mehr als 16 AE ins Innere des Systems zurückzulegen, benötigten die Schiffssensoren normalerweise viele Stunden. Stattdessen behielten die stationären Überlichtplattformen das System mit ihren integrierten Sensoren im Blick und leiteten die Daten über eine Phasenfunkverbindung an einfliegende Schiffe der Space Navy und die Station weiter.

      »Ich schalte uns auf den Kamera-Feed eines Überwachungssatelliten von NOVA«, sagte Kensington mit einem verschmitzten Grinsen. Sie ahnte wohl, worauf jeder schon sehnsüchtig wartete: den Anblick der Raumstation.

      Jayden starrte, wie jeder seiner Offiziere, auf den Holotank, in dem sich NOVA manifestierte. Es war etwas Besonderes, hier zu sein; jene Raumstation zu besuchen, bei der sich die Flotte im Parlidenkrieg gesammelt hatte, um zur finalen Schlacht aufzubrechen. NOVA war Legende.

      Vor neunzig Jahren erbaut, schwebte die Station im Grenzgebiet zwischen dem Raum der Parliden, der Rentalianer und der Menschheit. Aus Angst vor einem weiteren Krieg hatten die Vorgänger von Präsidentin Kartess die Raumstation nach und nach zu einer wahren Festung mit angeschlossener Raumwerft ausgebaut. Da es jedoch zu keinen erneuten Kampfhandlungen gekommen war, hatte sich NOVA zu einem Grenzposten entwickelt. Auf dem einzigen bewohnbaren Planeten des Systems war eine Kolonie entstanden, die sich hauptsächlich aus den Familien und zivilen Arbeitern der Station zusammensetzte. Mittlerweile lebte dort die dritte Generation.

      NOVA glich in ihrer Form einem anthrazitfarbenen Ovoid, der von drei Ringen umhüllt wurde. Jeder Ring war durch mehrere Verstrebungen mit dem Hauptteil verbunden. Überwachungssatelliten, Torpedoforts, Überlichtplattformen und Phasenstörer hüllten NOVA in eine schützende Kugelschale, die vor feindlichen Angriffen warnen und die Station verteidigen konnte. In einer Entfernung von 0,2 AE drehte sich die blau-grüne Kugel von Alzir I, die von ihren Bewohnern Pearl genannt wurde.

      »Sir, wir erhalten eine Nachricht von NOVA«, sagte Lieutenant Sarah McCall routiniert, während sie auf ihrer Kommunikationskonsole etwas eingab und parallel in ihr Headset lauschte. Die junge Frau mit dem braungelockten Haar blickte nicht mehr ganz so schüchtern drein wie in den vergangenen Wochen. Ihr Selbstbewusstsein wuchs langsam, aber stetig. Trotzdem wirkte sie noch immer wie ein Küken, das man viel zu früh aus dem Nest seiner Mutter gestoßen hatte. »Es ist Commodore Harris.«

      Mit einem Nicken gab Jayden ihr zu verstehen, das Gespräch anzunehmen. Im Holotank baute sich das Abbild des kommandierenden Offiziers von NOVA-Station auf.

      »Captain Cross«, grüßte Harris mit dröhnender Bassstimme. Sein weißes Haar hatte eine Vielzahl lichter Stellen, sein Vollbart glänzte seidig. »Wir haben hier selten einen solchen Helden zu Gast.«

      Für einige Momente verschlug es Jayden ob dieses Verweises auf sein Meisterstück bei Tikara II – wo er eine Kolonie gegen eine angreifende Flotte des Eriin-Bundes verteidigt hatte – die Sprache. Es gelang ihm jedoch, sich zu fassen und die gekräuselten Mundwinkel von Commander Ishida zu ignorieren. »Danke, Sir. Es freut uns auch, dass wir hierher beordert wurden. NOVA ist etwas Besonderes.«

      »Das ist sie«, sagte Harris geschmeichelt. »Und Sie kommen, wie mir mitgeteilt wurde, mit wertvoller Fracht. Ich werde Ihre Ankunft direkt an die Admiralität melden. Das rentalianische Schiff PI-RA-Irgendwas – ich kann mir diese verdammten Kettennamen einfach nicht merken – verspätet sich etwas.«

      Jayden warf kurz einen Blick auf die Status-Konsole jenes Kreuzers, den sie noch immer im Schlepptau mit sich führten. Sie hatten die SE-RA-TA-LA-MU mit Traktorstrahlen an die HYPERION gekettet, um sie bei NOVA-Station an ein rentalianisches Schiff zu übergeben. An Bord befand sich der zweite


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