Selbstbestimmung im Sterben - Fürsorge zum Leben. Urban Wiesing

Selbstbestimmung im Sterben - Fürsorge zum Leben - Urban Wiesing


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      Images Die Rechtsunsicherheit stellt insbesondere für Ärzte, aber auch für alle anderen beteiligten Bürger, eine große Belastung dar und behindert einen verantwortungsvollen Umgang mit diesem sensiblen Thema.

      Aus diesen Gründen erscheint es aus medizinischer, ethischer und juristischer Sicht unverantwortlich, auf eine gesetzliche Regelung zu verzichten. Die Kombination aus Tabuisierung, Rechtsunsicherheit sowie unkontrollierter, nicht dokumentierter und missbrauchsanfälliger Praxis stellt eine Gefahr für die Rechtsgüter Leben, körperliche Integrität, Selbstbestimmung und Freiheit der Person dar.

      1.2

      Ziele dieses Gesetzesvorschlags

      Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil das Autonomie-Prinzip als Richtmaß für die rechtliche Bewertung der Suizidhilfe eingesetzt. Aufgabe des Gesetzgebers ist es nun, das komplementäre und ethisch wie verfassungsrechtlich hochrangige Prinzip der Fürsorge ebenso zur Geltung kommen zu lassen, wozu es auch explizit vom Verfassungsgericht ermutigt wird. Da die mit Abstand größte Gruppe der Suizidwilligen aus somatisch schwerkranken Menschen besteht, sowie aus zahlreichen weiteren Gründen, die in Kapitel 3.2.3 ausgeführt werden (Images Kap 3.2.3), erscheint es sinnvoll, die Ärzte mit der Verantwortung für die Suizidhilfe zu betrauen – einschließlich der Koordinierung des interdisziplinären Beratungs- und Begleitungsprozesses –, zumal sie die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten für eine fürsorge- und lebensorientierte Durchführung dieser komplexen Aufgabe besitzen.

      Der hier unterbreitete Gesetzesvorschlag versucht, durch eine verfassungskonforme Regelung im Strafrecht das Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben im Sinne der freiverantwortlichen, assistierten Selbsttötung zu garantieren und damit die Vielfalt der Vorstellungen der Bürger zu einem gelingenden Leben und Sterben zu respektieren. Andererseits sollen im Sinne des Lebensschutzes vorschnelle Erfüllung, Missbrauch und Bedrängung zum Suizid besser als bisher verhindert werden. Die hohen Anforderungen an das Handeln der Ärzte sollen voreilige Suizide aufgrund affektiver Impulse, vorübergehender Lebenskrisen, unzureichender medizinischer Versorgung oder sozialem Druck verhindern und damit suizidpräventiv wirken. Da andere Berufsgruppen oder Laien die notwendigen fachlichen Kompetenzen zur Durchführung der komplexen und anspruchsvollen Aufgabe der Suizidberatung und Suizidhilfe nicht vorweisen können, wird ihnen im Sinne des Schutzes der Betroffenen die Durchführung der Suizidhilfe strafrechtlich verwehrt, sofern es sich nicht um Nahestehende oder Angehörige handelt, die in der Regel aus Mitgefühl einer eng verbundenen Person Hilfe leisten.

      Der Gesetzesvorschlag stellt Anforderungen an die Dokumentation und will zur Transparenz beitragen. Er soll ebenfalls verhindern, dass sich Bestrebungen zur Legalisierung der Tötung auf Verlangen durchsetzen. Die Tötung auf Verlangen wird von diesem Gesetzentwurf nicht berührt und soll auch weiterhin nach § 216 StGB strafbar bleiben.

      Zusammengefasst verfolgt der Gesetzvorschlag somit folgende Ziele:

      Images Respekt vor der Autonomie der Menschen

      Images Fürsorge durch fachkundige ärztliche Beratung und Begleitung

      Images Schutz vor sozialem Druck auf Betroffene

      Images Suizidprävention

      Images Vermeidung einer Freigabe der Tötung auf Verlangen

      Images Rechtssicherheit für alle Beteiligten

      Images Transparenz durch Dokumentation

      1 Ausschließlich aus Gründen der Lesbarkeit wird hier auf eine Mehrfachnennung weiblicher, männlicher und diverser Personen oder andere gendersensitive Sprachformen verzichtet. Gemeint sind – sofern nicht anders erwähnt – stets Personen jeden Geschlechts.

      2 BGH, Urteil v. 25.06.2010 – 2 StR 454/09 – BGHSt 55, 191 – 206 = NJW 2010, 2963.

      3 Vgl. § 1901a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), aber auch BGH, Beschluss v. 06.07.2016 – XII ZB 61/16 – BGHZ 211, 67 sowie BGH, Beschluss vom 08.02.2017 – XII ZB 604/15 – BGHZ 214, 62 und BGH, Beschluss vom 14.11.2018 XII ZB 107/18 – NJW 2019, 600.

      4 BGH, Urteil v. 25.06.2010 – 2 StR 454/09 – BGHSt 55, 191 – 206 = NJW 2010, 2963.

      5 Vgl. etwa Economist Intelligence Unit (2015).

      6 BGH, Urteil v. 15.11.1996 – 3 StR 79/96, BGHSt 42, 301 ff.

      7 Nationaler Ethikrat (2006), S. 96–101.

      8 Vgl. dazu BGH, Urteil v. 25.06.2010 – 2 StR 454/09 – BGHSt 55, 191–206 = NJW 2010, 2963.

      9 Vgl. hierzu etwa Thorns/Sykes (2000); Bakker et al. (2008); Maltoni et al. (2009).

      10 Borasio/Jox/Taupitz/Wiesing, 2017; Siehe auch Borasio/Jox, 2017

      11 § 16 S. 3 (Muster-)Berufsordnung der Bundesärztekammer (MBO-Ä) in der Fassung von 2018.

      12 § 16 Berufsordnung der Ärztekammer Westfalen-Lippe aus dem Jahr 2012, jetzt in der Fassung von 2018

      13 Vgl. Statistik auf der Homepage von Dignitas: http://www.dignitas.ch/images/stories/pdf/statistik-ftb-jahr-wohnsitz-1998-2019.pdf (aufgerufen am 24.5.2020)

      2

      Gesetzesvorschlag

      Gesetz zur Regelung des assistierten Suizids

      Artikel 1

      Änderung des Strafgesetzbuchs

      Das Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel … des Gesetzes vom … (BGBl. I S. …) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

      1. In der Inhaltsübersicht wird die Angabe zu § 217 durch folgende Angaben ersetzt:

      »§ 217 Hilfe zur Selbsttötung

      § 217a Werbung für die Hilfe zur Selbsttötung«

      2. § 217 wird wie folgt gefasst:

      »§ 217

      Hilfe zur Selbsttötung

      (1) Ein Arzt darf einem freiverantwortlich handelnden Volljährigen mit ständigem Wohnsitz in Deutschland auf sein ausdrückliches und ernsthaftes Verlangen hin Hilfe zur Selbsttötung leisten, wenn

      1. er aufgrund eines persönlichen Gesprächs mit der Person zu der Überzeugung gelangt ist, dass der Entschluss zur Selbsttötung auf reiflicher Überlegung beruht, dauerhaft besteht und nicht durch eine akute psychische Störung oder eine vorübergehende Lebenskrise bedingt ist,

      2. nach seiner Überzeugung der Entschluss zur Selbsttötung nicht auf Zwang, Drohung, Täuschung oder sonstige unzulässige Einflussnahme durch Dritte zurückzuführen ist,

      3. er die Person umfassend und lebensorientiert über ihren Zustand, dessen Aussichten, mögliche Formen der Suizidhilfe sowie über Handlungsalternativen zur Selbsttötung – insbesondere palliativmedizinische Möglichkeiten


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