Das schwarze Herz. Armin Öhri

Das schwarze Herz - Armin Öhri


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hörte Bentheim den Kommissar, wie er fluchend und blaffend auf Albrecht und ihn zugeschossen kam: »Himmel! Was haben wir falsch gemacht? Eine geschlagene Stunde sind wir schon hier und haben noch immer kein Zeichen von unserem Mittelsmann. Wo bleibt der Kerl bloß, zum Teufel noch mal!«

      »Gideon!«, fuhr Julius seinen Freund und Vorgesetzten an. »Wir sind in einer Kirche.«

      Nur schwerlich beruhigte sich Horlitz. Dann aber vergewisserte sich der Kommissar leicht beschämt, ob nicht doch noch jemand Zeuge seines Benehmens geworden war, und atmete erleichtert auf.

      Enttäuscht verließen sie die Kirche. Versonnen ging Horlitz vor Krosick und Bentheim her. Sie gingen den Pfad zum Nikolskoer Weg hoch, dem sie eine Zeit lang in einvernehmlichem Schweigen folgten. Bald darauf konnten sie einen zufällig vorbeifahrenden Dogcart heranwinken. Sie bestiegen die Kutsche und ließen sich in die Stadt fahren. Das Gefährt holperte über den Weg, bog in rasantem Tempo nach rechts um die Kurve in die Königstraße ein, wo es über die Glienicker Brücke weiterging. Schließlich ließen sie vor den ersten Patrizierhäusern halten.

      Bentheim verabschiedete sich von seinem Freund und ihrem älteren Kollegen, der seinen Gruß regungslos, fast schon apathisch quittierte. Gideons Gedanken mochten wohl um die seltsamen Umstände kreisen, die bisher zu zwei Todesfällen geführt hatten, und so war es für Julius nicht weiter verwunderlich, dass er von der Verabschiedung keine große Notiz mehr nahm.

      Während Bentheim sich darauf freute, zu seinem Sohn zurückzukehren, um mit ihm, der jetzt schon schlafen mochte, die wenigen Stunden trauter Gemeinsamkeit zu genießen, ging sein Mentor gänzlich in seinem Beruf auf. Seit Claras Hinscheiden war die Arbeit seine Braut, und seine Besessenheit, was obskure, beinah schon ins Fantastische hinauslaufende Begebenheiten anging, ließ ihm gar keine Zeit übrig für solch »banale Dinge wie Balztanz und erneute Brautschau«. Zumindest waren dies seine Worte.

      Wie gesagt, fand sich Bentheim bei seiner Vermieterin ein. Mit Frau Losch nahm er eine späte Abendmahlzeit zu sich und plauderte mit ihr über den neuesten Klatsch und Tratsch der Hauptstadt. Auch diskutierten sie angeregt die Entwicklung der preußischen Außenpolitik sowie den aktuellen Akzessionsvertrag, durch den der Kleinstaat Waldeck einen Teil seiner Hoheitsrechte an Preußen verloren hatte. Sie tranken Wein – die rüstige Offizierswitwe sogar drei ganze Gläser – und genossen den Abend, bis sie lachend und müde zu Bett gingen.

      Achtes Kapitel

      Am nächsten Vormittag begegnete Julius dem Kommissar auf dem Flur des Stadtpalais Grumbkow. Ein Lächeln zierte Gideons Gesicht, wie es stets der Fall war, wenn er ein Geheimnis aufgedeckt hatte, doch seine Augen waren diesmal voller Verdruss.

      »Hoffe, Sie hatten eine erholsame Nacht«, grummelte er und hastete an seinem Angestellten vorbei in sein Büro, dessen Tür er schwungvoll schloss und Bentheim somit für dieses eine Mal den Zugang zu seinen geheiligten vier Wänden verwehrte. Der Tatortzeichner zog sich in einen anderen Arbeitsraum zurück, wo er ein paar Akten durchforschte, die seine Kollegen angelegt hatten. Albrecht war nirgends zu sehen. Von Theodor Görne, dem hageren Staatsanwalt, der zufällig auf Visite war und kurz ins Zimmer blickte, erfuhr Julius, dass sein Freund schon frühmorgens auf dem Kommissariat gewesen war, aber mit einem Spezialauftrag weggeschickt worden sei.

      »Spezialauftrag?«

      Görne nickte, wobei seine peinlich-langen Seitenhaare, die er von links über den Glatzkopf gekämmt hatte, gefährlich wippten und zu rutschen drohten. »Ja, so hat Horlitz es genannt: ein Spezialauftrag. Das waren seine Worte.«

      »Worum ging es?«

      »Irgendwas mit einem fetten Mönch. So genau habe ich nicht hingehört. Jedenfalls hat Ihr Freund den ganzen Tag dafür veranschlagt.«

      Bentheim ahnte, worauf dieser Auftrag hinauslief. Sollte sich Horlitz doch in seinem Büro verbarrikadieren, um seine vielen Theorien zu wälzen und seine Vermutungen auf ihre Wahrscheinlichkeit hin zu überprüfen. In der Zwischenzeit sondierte Julius Fingerabdrücke, vertiefte sich in die von ihm selbst angefertigten Skizzen des Tatorts und legte sich seine eigenen Spekulationen über das Motiv des Täters oder der Täter zurecht, in denen einmal der Hausdiener, ein andermal der Einbrecher der Mörder war. Nach geraumer Zeit kreisten seine Gedanken gar um die absurde Idee, der alte Herzog von Gerolstein habe seinem Leben womöglich selbst ein vorzeitiges Ende gesetzt. An diesem Punkt angelangt, platzte ihm der Kragen. Wütend schob der Tatortzeichner den Sessel zurück, stand auf und eilte schnellen Schrittes in Richtung Horlitzens Büro.

      Schwungvoll riss er die Tür auf und blickte in das süffisant lächelnde Gesicht seines Vorgesetzten.

      »Nun sagen Sie es schon! Was, in drei Teufels Namen, haben Sie herausgefunden?«, fuhr Julius ihn an. Es klang harscher, als er es gewollt hatte, doch der Kommissar schmunzelte zumindest. Bentheim schien es, als ob tatsächlich ein schalkhafter Zug um seine Mundwinkel auszumachen wäre.

      »Tja, wie soll ich Ihnen das erklären?«, sprach er und seufzte, als sei es ihm zutiefst zuwider, seinem Untergebenen Rede und Antwort stehen zu müssen. »Seien Sie mir nicht böse, guter Freund, aber ich stelle gerade Überlegungen an, welche die ganze leidige Affäre Gerolstein in ein anderes Licht rücken könnten. Ich wollte Sie keineswegs mit meinen Fantastereien bedrängen und habe Sie deshalb auch nicht eingeweiht, dass ich nebenbei noch einer anderen, auf den ersten Blick verwegen scheinenden Spur gefolgt bin. Leider hat sich meine kühne Theorie bewahrheitet.«

      »Machen Sie es nicht so spannend!«

      Bentheim vermochte seine Neugier fast nicht mehr zu beherrschen, so sehr spannte ihn Horlitz, dieser Sadist des Intellektuellen, auf die Folter. »Was haben Sie ausgebrütet? So sprechen Sie schon, Gideon! Erklären Sie sich.«

      Das Gesicht seines Freundes verlor jeglichen jovialen Ausdruck, der nunmehr einem ernsten Blick wich. Kaum merklich den Kopf bewegend, legte Horlitz die Stirn in Falten und griff nach seiner alten Bruyèrepfeife, die vor ihm auf der Tischplatte lag. Ein gräulicher Rauch kringelte sich zur Decke hoch, nachdem er sie angezündet hatte.

      »Nun, mein Freund«, begann er ernst seine Ausführungen, »es ist die Aufgabe der Kriminalistik, entweder begangene Verbrechen aufzuklären oder jene sich in Planung befindlichen zu verhindern. Deshalb ist es wesentlich, das Vorgehen des Verbrechers und seine Tat sowie deren Erscheinungsform zu analysieren. Wir Gendarmen suchen Indizien, die zu einer Täterschaft führen, wir erstellen Psychogramme – und wir gehen dabei rein logisch vor. Der erste Schritt, den wir also tätigen müssen, um ein Verbrechen aufzuklären, ist die Abstimmung der gegebenen Umstände aufeinander. Mit folgerichtigem und geordnetem Denken kommen wir zu Lösungen von Problemen, die uns im Alltag gestellt werden; in unserem Fall also die Klärung des Mordfalls Gerolstein.« Er inhalierte rasch, bevor er mit fast schon samtener Stimme weiter dozierte. »Alle uns gegebenen Indizien müssen wir in einer widerspruchsfreien Verknüpfung anzuordnen wissen. Damit kommen wir zu einem Schluss, also zu einer Lösung. Ich habe mich in den letzten Stunden intensiv mit dem Leben des seligen Herzogs und seinem traurigen, gewaltsam herbeigeführten Ableben beschäftigt, Julius, und ich muss Ihnen offenbaren, dass mir dabei einige Unklarheiten ins Auge gefallen sind.«

      Bentheim spitzte die Ohren.

      Horlitz paffte an seiner Pfeife und fuhr fort: »In der Logik gibt es ein festes Prinzip, nämlich den Satz vom Widerspruch. Dieser besagt, dass es ein Ding der Unmöglichkeit ist, dass ein und dieselbe Tatsache zugleich sein, aber auch nicht sein kann. Wir wissen, dass es um die wirtschaftliche Lage des Herzogs nicht gerade rosig bestellt war, nicht wahr, Julius? Das haben Sie und Albrecht ja selbst in Erfahrung gebracht.«

      Julius nickte.

      »Gehen wir die Sache logisch an, mein Freund«, schlug der Kommissar vor. »Der komplexe Satz Der Himmel ist wolkenlos und es regnet besteht aus dem ersten Teilsatz Der Himmel ist wolkenlos und dem zweiten Teilsatz Es regnet. Beide Teilsätze für sich gesehen, geben eine Beschreibung eines Zustandes, den wir nicht als falsch ansehen können. Sehen wir sie aber als Komplex, als Einheit, so widersprechen sie sich. Genau dasselbe passiert auch in unseren Ermittlungen. Bei uns heißen die Sätze einfach Der Herzog war bankrott und Der Herzog lebte ausschweifend. Etwas missfällt


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