Hexenzirkel 3: Das Lied des auferstandenen Gottes. R.A. Salvatore
ist mit den geflohenen Dieben?«
Bruder Thaddius schüttelte den Kopf. Er wusste, dass sie keine Rolle spielten. Sie waren völlig unbedeutend.
Dieser Berg – die Xoconai nennen ihn Tzatzini, die Menschen Fireach Speuer – ist von einer Schönheit erfüllt, die über sein Aussehen hinausgeht und gleich bleibt, egal ob man auf den See Loch Beag hinuntersieht oder nun auf die goldene Stadt Otontotomi. Denn die wahre Schönheit des Bergs verbirgt sich unter seinen Felsspornen und Nadelbäumen in Höhlen voller Kristalle und Kristallen voller funkelnder Steine, die eine magische Kraft in sich tragen, der die Stärke eines Kriegers oder die Macht einer Armee nichts entgegenzusetzen haben.
Die Xoconai beanspruchen diesen Ort für sich, als ihr Heiligtum, als rechtmäßigen Sitz des Glorreichen Golds, ihres Gottes Scathmizzane, dem auch die Magie gehört.
Die Menschen, die seit unzähligen Jahrhunderten hier leben, beanspruchen diesen Ort für sich, als ihr Heiligtum, als rechtmäßigen Sitz ihres Gottes Usgar, dem auch die Magie gehört.
Die Xoconai glauben, dass die Menschen ihren falschen Gott mit dem Dämon Cizinfozza verwechseln, den sie die Fossa nannten.
Ich frage mich, ob dieser Gott Usgar und Cizinfozza wirklich identisch sind. Und wenn ja, handelt es sich um einen Gott oder einen Dämon?
Oder sind Gott und Dämon etwa dasselbe?
Während ich mich mit den Ähnlichkeiten zwischen Menschen und Xoconai beschäftige – ihre Gesellschafts- und Familienstrukturen, ihr Alltagsleben in den Dörfern und Städten – stelle ich mir diese Frage immer öfter und sie beunruhigt mich außerordentlich. Ich wurde in dem Glauben erzogen, dass man einen Gott bevorzugen und alle hassen muss, die einen anderen Gott bevorzugen. Oder dass man diese fehlgeleiteten anderen wenigstens bemitleiden muss, in dem Wissen, dass es ihnen, sollten wir sie erobern und ihnen unseren Gott zeigen, besser gehen würde und sie uns schließlich dankbar sein würden.
Vielleicht ist das so, vielleicht auch nicht – vielleicht schlägt das Pendel mal in die eine und mal in die andere Richtung aus, je nachdem wie sich die jeweilige Gesellschaft verändert und entwickelt.
Aber das alles hat eigentlich nichts mit den Göttern oder Dämonen oder was auch immer sie sein mögen zu tun.
Momentan gefällt den Menschen in diesem besetzten Land das Auftauchen der Xoconai kein bisschen. Hunderte sind getötet worden, Tausende von Gefangenen schuften nun unter dem gnadenlosen Blick der Xoconai-Auguren. Wieso sollten Eltern, ob Xoconai oder Menschen, eine Eroberungsstreitmacht lieben, die ihre Kinder stiehlt und ihr Heim zerstört? Selbst wenn die Xoconai diesem besiegten Volk ein besseres Leben ermöglichen, wird diese schwere Wunde lange nicht verheilen.
Wird das Endergebnis die Sehnsucht nach Rache betäuben? Ich frage mich, wie viele Generationen nötig sein werden, bis diese Beziehung wirklich gefestigt und geheilt ist.
Oder spielt das für die Xoconai keine Rolle? Vielleicht werden die Auguren verlangen, dass die Menschen ausgerottet werden, dass man sie als Sklaven zu Tode schindet oder sie dem Glorreichen Gold opfert. Vielleicht wird sich Tonoloya, die Nation der Xoconai, am Ende von einem Ozean zum anderen erstrecken, wie Scathmizzane es fordert, und in dieser riesigen Nation wird man die Menschen auslöschen, indem man sie zuerst an den Rand der Zivilisation verbannt und sie anschließend zu Tode hetzt.
Dann wird Tonoloya endlich Ruhe vor den Menschen haben.
Aber ich sehe diese Menschen, ihre Bräuche, ihre liebevollen Familien, ihre Hoffnungen und weiß, dass sie sich, wenn man sie von Angesicht zu Angesicht gegenüberstellen würde, nicht von den Xoconai unterscheiden. Und wie kann es dann stimmen, dass Cizinfozza ein böser und monströser Dämon ist, aber Scathmizzane ein wundervoller Gott, unser Glorreiches Gold?
Es erfüllt mich mit Hoffnung und Trauer, dass diese Unterscheidung allein darauf beruht, ob ich nun diesem oder jenem Gott huldige, denn ich unterscheide mich kaum von meinem Feind, der einem anderen Gott dient. Und wenn unsere Götter von unseren beiden Völkern verlangen, Krieg zu führen, dann wären wir ganz ohne Götter vielleicht besser dran.
In den Lehren aus meiner Jugend würde man solche Gedanken als blasphemisch bezeichnen. Und sollte ich sie aussprechen, würde mein Leben garantiert schmerzhaft enden und man würde die Erinnerung an mich auslöschen, bis nur noch die wenigen, die mir heimlich zustimmen, meinen Namen flüstern.
Doch diese Wahrheit in meinen eigenen Gedanken nicht zu akzeptieren, wäre ein Verrat an mir selbst, an allem, was ich glaube und wofür ich stehe. Diese Wahrheit ist mir wichtiger als der Körper, in dem sie steckt.
Ich unterzeichne diesen Brief als dein Schüler, der auf ewig in deiner Schuld steht.
Ag’ardu An’grian
Gesicht der Morgenröte
Diese Lieder der Magie
Aoleyn stand auf der windgepeitschten Klippe und warf einen Blick zurück auf die kleine Gruppe, die in Serpentinen den steilen Felsabhang hinunterging.
So wenige. Vielleicht hundert, nicht mehr.
Die Tränen in ihren Augen stammten vom Wind – das sagte sich die Frau zumindest. Ja, in der vergangenen Nacht war es zu unglaublichen und dramatischen Veränderungen gekommen; ein ganzes Gebirge war geschmolzen und ein gewaltiger, tiefer See hatte sich in die Wüstenebene ergossen.
Ja, ihre Welt war plötzlich auf den Kopf gestellt worden. Nicht zum ersten Mal – und auch nicht zum letzten Mal, das wusste sie, als sie sich Feuchtigkeit von der Wange wischte.
Es liegt nur am Wind, sagte sie sich erneut, während sie verzweifelt, aber vergeblich versuchte, die Realität zu verdrängen: Für jeden Flüchtling, der gerade das Ayamharas-Plateau verließ, waren dreißig Männer, Frauen und Kinder an nur einem Tag abgeschlachtet worden.
Gestern.
Aoleyn hatte nicht viele Freunde – jedenfalls keine engen außer Bahdlahn, der zu den Flüchtlingen gehörte, die gerade von dem eroberten Plateau flohen. Doch das linderte den Schmerz nicht, auch wenn sie ihn zu verbergen versuchte. Dass die Vernichtung so schlagartig und in diesem Ausmaß über sie gekommen war, überwältigte Aoleyn.
Die Frau strich sich eine lange Strähne ihrer schwarzen Haare aus dem Gesicht, blinzelte entschlossen mit ihren dunklen Augen, um die Trauer und die Tränen zu vertreiben, dann legte sie eine Hand auf ihren nackten Bauch und auf die Kette mit den Edelsteinen, die sie dort befestigt hatte. Ihr Finger strich über die glatte Oberfläche eines Mondsteins und verharrte dort, während sie sich enger mit der magischen Energie verband, die in dem kleinen Stein steckte.
Sie lockte die Macht darin Stück für Stück hervor, bis die magischen Schwingungen in ihren Fingern vibrierten, bis das Lied des Edelsteins ihre Gedanken erfüllte.
Sie beschwor diese Magie, sprang hoch und flog, als besäße sie die Schwingen eines Vogels. Sie begann, den gewaltigen Abgrunds zu umrunden, der noch am Vortag ein Bergsee gewesen war, hielt sich jedoch am Rand und blieb so niedrig am Boden wie möglich, damit die Eroberer, die bereits wie Ameisen über den südlichen Teil des Beckens ausschwärmten, sie nicht entdeckten.
Und damit der Riese unter ihnen sie nicht erspähte, diese gewaltige, wunderschöne und schreckliche Kreatur, die gestern auf einem Ungeheuer, einem schlangenartigen Drachen, der durch die Luft zu schwimmen schien, geritten war.
Manchmal überstieg ihre Flughöhe kaum ihre eigene Körpergröße, manchmal wand sie sich zwischen