TogetherText. Группа авторов

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aus Texten der Spieler*innen bestand, die wir auch nie fest fixiert haben. Der Gedanke war, dass man die Geschichte der Sterbenden, die aus dem Erleben der Spieler*innen erzählt wurden, jeden Abend aufs Neue berichtet. Natürlich wurden dann in den Proben doch irgendwie Texte daraus, aber es gab eine Offenheit für jede Vorstellung.«

       Am Stadt- und Staatstheater hast du ja dann beides gemacht, Stücktexte inszeniert, aber eben auch zahlreiche dokumentarische und prozessuale Projekte realisiert –

       Wie ist denn in diesem Fall der Text entstanden?

      »Direkt auf den Proben. Die Spieler*innen beschrieben mir die Situation, dann verdichten wir das immer weiter und kommen irgendwann zu einer finalen Version, die aber immer noch eine Offenheit hat, was die Textbehandlung angeht. Für die Licht-, Ton- und Videotechnik müssen die Sätze irgendwann dann doch aufgeschrieben werden, aber im Grunde sollen sie möglichst frei bleiben. Es ist immer ein ähnlicher Zugang: Wie kann man die Spieler*innen mit Wirklichkeit konfrontieren, die sie aus dem Dabeigewesensein dann einem Publikum berichten können? Das ist ja eine ganz andere Expertise, als wenn man sich ein Interview anhört, das Regisseur*in oder Dramaturg*in geführt haben, was sonst Verfahren waren, mit denen ich arbeiten musste, wenn es nicht anders ging.«

       Wenn du sagst, der Text soll möglichst offenbleiben, wie funktioniert die Textfixierung?

      »Bei Dreileben war es extrem, da haben wir es gar nicht fixiert, da habe ich aber selbst das Licht gemacht. Wenn ich nicht dabei bin, braucht es das natürlich. Oft schreiben dann auch die Regieassistent*innen mit, so z. B.: ›Sie redet über xy und geht nach hinten, Lichtwechsel‹. Das sind dann so Halbtexturen. Oder es gibt Texturen, wo der Text ungefähr aufgeschrieben steht, aber wo der Hinweis notiert ist: ›wird improvisiert‹. Oder es gibt einen Satz, der immer von den Spieler*innen gesagt werden muss, weil das der Cue ist.«

      »Das ist ein interessanter Fall. Für die deutsch-namibische Kooperation über den Genozid an den Herero und Nama konnte nur ein Spieler mit auf die Reise kommen. Die namibischen Kolleg*innen sind selbst Herero und somit Expert*innen für das Thema, und man merkt in den Proben, dass man jetzt damit sehr unterschiedlich arbeiten kann.

      Der Spieler, der mit auf der Reise war, kann natürlich aus der Erfahrung schöpfen und hat jetzt eine viel bessere Anbindung an das Thema, daraus entsteht in der Arbeit ein ganz anderer Text beziehungsweise kann überhaupt erst ein Text entstehen. Denen, die nicht dabeisein konnten, gebe ich Texte, die aus Interviews entstanden sind, und muss ihnen erzählen, was das Signifikante an dem Moment war, was man versuchen könnte, theatral zu übersetzen. Für diese Art von Projekten kann man erst in dem Moment anfangen, einen Text gemeinsam zu entwickeln, wo Spieler*innen auch anwesend sind/waren.«

       Zusammenfassend würdest du deine Textarbeit so beschreiben –

      »Es ist ein bisschen Entweder/Oder: Entweder versuche ich, dass die Spieler*innen den Text in Kooperation mit mir auf den Proben entwickeln, oder ich gebe ihnen Texte, die ich aus Interviews oder dokumentarischem Material collagiere und verdichte. Ich komme besser an Themen dran, wenn ich mich unmittelbar mit ihnen auseinandersetze. Ich sehne mich oft nach einem Stück (um mehr Struktur zu haben), finde es dann nicht und mache es schließlich selbst.«

       Wie funktioniert deine Arbeitsweise an Häusern mit Ensemble? Es ist ja eine Art zu arbeiten, die man als Schauspieler*in auch wollen muss.

      »Es müssen Spieler*innen sein, die offen für solche Formen sind, das ist oft ein Problem. Das beginnt bei der Ausbildung an den Schauspielschulen. Ich selbst habe eine Schauspielausbildung an der HfS Ernst Busch gemacht, da war es überhaupt kein Teil der Ausbildungspraxis, auf solche Projekte vorbereitet zu werden. Ich nehme wahr, dass an vielen Häusern immer noch der bürgerliche Kanon vorherrscht, der manchmal von Projekten durchbrochen wird. Aber dazu braucht es andere Spieler*innentypen als die, die in vielen Ensembles zu finden sind. Wenn ich an einem Haus arbeiten soll, wäre es doch gut, wenn man dort zwei bis drei Leute hätte, die solche Projekte auch machen können und wollen. Aber der Spielplan besteht zu 80 – 90 % aus Stücken, d. h. es wird andersrum gesucht: Wer kann die große Bühne mit Sprachausbildung und Präsenz füllen? Und alles andere kann er/sie hoffentlich auch noch.«

       Aus dieser Arbeitsweise ergibt sich ja auch eine andere Produktionsweise. Wo liegen dabei Problematiken?

      »Der schwierigste Faktor für mich ist die Disposition, wie z. B. Hereroland. Wie weit im Voraus schafft es ein Haus, Besetzungen zu planen? Recherchereisen finden deutlich vor Produktionsbeginn statt. Wenn man mit einer Gruppe von Spieler*innen eine Recherchereise macht, kann man anders arbeiten. Zumeist verhindert die Produktionsdichte der Theater aber, dass sich die Spieler*innen ausführlich mit Themen beschäftigen können. Wenn sie sich vorher in einen Kosmos stürzen, in dem ich schon ein Jahr lang stecke, und sollen sich, während sie proben, Text lernen und Vorstellungen haben, in ein Thema einarbeiten, bleibt die Expert*innenschaft begrenzt. Als freie Gruppe geht das besser, man arbeitet in fester Konstellation und kann gemeinsam eine Arbeitsweise kontinuierlich weiterentwickeln.«

       Ist deiner Erfahrung nach das prozessuale Arbeiten an den Häusern angekommen?

      »Ich dachte 2011, dass ich mein Diplom als Projekt mache und danach fange ich am Theater an zu arbeiten, da wird das sicher nie wieder vorkommen. Jetzt ist es ein bisschen umgekehrt und ich bin der, der immer ›diese Projekte‹ macht. Dabei will ich das gar nicht immer machen, weil es ziemlich anstrengend ist, vier Mal im Jahr eine neue Form zu erfinden. Ich glaube schon, dass das prozesshafte Arbeiten in den Häusern angekommen ist als eine Art, Theater zu machen, die Sachverhalte gegenwärtiger und schneller auf die Bühne bringen kann, anstatt darauf zu warten, dass ein*e Autor*in ein Stück dazu schreibt. Die strukturbedingten Arbeitsprozesse stehen diesem Ansinnen aber manchmal entgegen, zuweilen auch die Betrachtung der Spieler*innen. Das Denken, dass sie nicht nur ausführendes Material sind, das einen Text zugeteilt bekommt und eine Figur spielt, ist mancherorts nur mäßig in den Köpfen angekommen. Spieler*innen spiegeln mir immer wieder, dass sie an den Besetzungsprozessen beteiligt sein wollen, dass sie als selbstständige Künstler*innen und nicht als weisungsgebundene Handwerker*innen betrachtet werden wollen. Sie wollen nicht nach der Konzeptionsprobe den Treibhauseffekt bei Wikipedia nachlesen, sondern vorher anfangen, mitzudenken. Wenn man schon vorher zusammensitzen könnte, diskutieren, sammeln, recherchieren, dann kann man woanders starten und auch Texte besser zusammen entwickeln. Da geht in der Theaterbetriebspragmatik ein großes Potential verloren.«

       Irina Szodruch, Dramaturgin, Maxim Gorki Theater Berlin

      Irina Szodruch (*1980) ist nach Stationen in der Dramaturgie an der Schaubühne und dem Ballhaus Naunynstraße seit Beginn der Ära Shermin Langhoff am Maxim Gorki Theater dabei. Eine langjährige Arbeitsbeziehung verbindet sie mit Regisseurin Yael Ronen. Wir treffen uns in der Gorki-Dramaturgie, es gibt Kaffee und die restlichen Croissants des vorangegangenen Dramaturg*innen-Frühstücks.

       Das Gorki steht mittlerweile für die Form von Stückentwicklungen, war das von Anfang an Programm?

      »Das hat schon am Ballhaus Naunynstraße angefangen, wir wollten Geschichten


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