Der Arzt vom Tegernsee Staffel 4 – Arztroman. Laura Martens
gerunzelter Stirn sah Frauke Ebert die Sprechstundenhilfe an. »Aber ich möchte doch nur, daß der Herr Doktor mir etwas verschreibt. Ich liege oft stundenlang wach, bis ich endlich einschlafen kann.« Sie zwang sich zu einem Lächeln, obwohl Florian an ihrem rechten Arm hing.
»Ich habe es Dr. Baumann gesagt.« Auch Tina Martens bemühte sich um ein verbindliches Lächeln. »Dr. Baumann bittet Sie, kurz zu warten. Wenn Sie sich bitte ins Wartezimmer setzen würden?«
»Ich möchte nur Schlaftabletten, mir fehlt sonst nichts. Dr. Baumann soll doch bitte so nett sein und mir ein Rezept ausstellen.«
»Er möchte zuerst mit Ihnen sprechen.«
»Wozu?« Frauke wandte den Kopf nach ihrer achtjährigen Tochter, die sich selbständig gemacht hatte. »Sie sehen doch, ich habe meine Kinder dabei. Bitte, sagen Sie dem Doktor, daß ich nicht warten kann.« Da Florian sich nun ebenfalls von ihrer Hand lösen wollte, nahm sie ihn auf den Arm.
Tina öffnete den Mund, aber sie schloß ihn wieder, denn zu ihrer Erleichterung sah sie jetzt Dr. Baumann aus der Ordination kommen.
»Herr Doktor!« Mit Florian auf dem Arm ging Frauke rasch auf ihn zu. »Mein Sohn ist sehr quengelig, und wo meine Tochter im Moment steckt, kann ich nicht sagen. Ich mußte meine Kinder mitbringen. Bitte, stellen Sie mir doch nur rasch ein Rezept aus.« Bittend sah sie den Arzt an.
Dr. Eric Baumann zögerte etwas. Er kannte die Familie Ebert. Gero Ebert war ein inzwischen über die Region hinaus bekannter Maler. Es war eine glückliche Familie, doch die junge Frau schien ihm heute reichlich nervös zu sein. Er sah auf das Mädchen, das gerade herangesprungen kam, dann auf den Jungen, der die Arme um den Hals der Mutter geschlungen hatte.
»Einen Augenblick müßten Sie sich schon gedulden, Frau Ebert. Aber wir haben im Wartezimmer eine Spielecke, da können sich Ihre Kinder so lange beschäftigen.«
»Darum geht es doch nicht, Herr Doktor.« Frauke war ärgerlich, und sie versuchte gar nicht erst, dies zu verbergen. »Ich will Sie auch nicht aufhalten. Ich schlafe schlecht, daher brauche ich nur ein Schlafmittel. Ich komme dann später noch einmal vorbei und hole mir das Rezept ab.«
»Ich hätte mich gerne mit Ihnen unterhalten, Frau Ebert. Für Ihre Schlafstörungen muß es einen Grund geben. Fühlen Sie sich denn auch sonst nicht wohl?« Ehe Frauke antworten konnte, griff Dr. Baumann nach ihrem Ellbogen und geleitete sie über den Gang zum Wartezimmer. »Spätestens in einer halben Stunde habe ich Zeit für Sie.«
Frauke hätte gerne nochmals widersprochen, aber Florian begann, auf ihrem Arm zu zappeln, denn Meike, seine Schwester, hatte bereits die Tür zum Wartezimmer geöffnet. Widerwillig betrat Frauke den Raum. Sie nickte den anderen Wartenden zu und fragte sich, was sie hier eigentlich sollte. Wegen eines Schlafmittels zu warten, fand sie lächerlich. Sie ging mit den Kindern zur Spielecke und war dann doch erleichtert, als die beiden sich mit Legosteinen zu beschäftigen begannen.
Als Tina Martens die nächste Patientin aufrief, überzeugte auch sie sich davon, daß die achtjährige Meike und der fünfjährige Florian friedlich miteinander spielten. Trotzdem blieb ihr Blick immer häufiger nachdenklich an den Geschwistern hängen. Es war dann auch wirklich kaum eine halbe Stunde vergangen, als sie Frau Ebert auffordern konnte, hinüber ins Sprechzimmer zu kommen.
Etwas ratlos sah Frauke auf ihre Kinder. Während Florian jetzt bemüht war, einen Turm zu bauen, hatte Meike zu einem Bilderbuch gegriffen.
»Keine Sorge, Frau Ebert! Gehen Sie nur, ich achte schon auf die Kinder.«
»Danke!« Frauke nickte ihren Kindern zu, die nur kurz hochsahen, und ging ins Sprechzimmer, wo sie bereits von Dr. Baumann erwartet wurde.
»Setzen Sie sich, bitte!« Er deutete auf den Stuhl, der auf der anderen Seite des Schreibtisches stand. Unsicher nahm Frauke Platz. »Und nun erzählen Sie mir, warum Sie so schlecht schlafen.«
»Warum?« Verwirrt sah Frauke den Arzt an. »Mir fehlt sonst nichts, Herr Doktor«, sagte sei dann heftig. »Ich habe keinerlei Beschwerden, ich liege einfach nur im Bett und kann nicht einschlafen, oder ich wache mitten in der Nacht auf, bin dann hellwach.«
Dr. Baumann musterte die Frau. »Arbeiten Sie etwa zuviel? Wie ich hörte, hat Ihr Mann in Bad Wiessee eine Galerie eröffnet. Sie haben damit Erfolg?«
»Den hat mein Mann ganz allein, ich habe bisher in der Galerie noch nicht geholfen. Dies ist zwar so vorgesehen, aber vorerst geht es noch nicht wegen der Kinder.«
»Natürlich! Da erübrigt sich die Frage wohl, ob Sie sich viel in geschlossenen Räumen aufhalten.«
»Richtig, Herr Doktor! Wir haben einen großen Garten. Jetzt im Sommer essen wir sogar auch meistens im Freien.«
Warum war die Frau dann nur so blaß? Auch die dunklen Ringe unter ihren Augen gefielen Dr. Baumann nicht. Ehe er jedoch eine weitere Frage stellen konnte, setzte Frauke sich aufrecht hin. »Ich kann wirklich nicht klagen, Herr Doktor. Ich habe es einfach nur satt, wach im Bett zu liegen. Deshalb bin ich auch davon überzeugt, daß mir schon ein leichtes Schlafmittel helfen würde.«
»Das könnte sein. Aber zuerst müssen wir den Grund für Ihre Schlaflosigkeit herausfinden. Dazu müßte ich noch einige Untersuchungen machen.«
Fraukes Miene verschloß sich. »Das ist heute nicht möglich. Ich habe die Kinder dabei. Wenn Sie mir nur rasch ein Rezept ausstellen würden, dann kann ich gleich noch zur Apotheke.«
»Frau Ebert…« Dr. Baumann versuchte, seine Worte sorgfältig zu wählen. »Ich pflege keine Rezepte auszustellen, ohne die Patienten vorher gründlich untersucht zu haben. Schlaflosigkeit kann viele Ursachen haben.«
»Herr Doktor, ich lasse mir für nächste Woche einen Termin geben. Da ist mein Mann auch wieder öfter zu Hause, und ich habe mehr Freizeit.«
»Wenn Sie meinen«, erneut blickte Dr. Baumann seiner Patientin forschend ins Gesicht. »Sie sollten jedoch noch diese Woche morgens nüchtern hier vorbeisehen, dann können wir Ihnen schon einmal Blut abnehmen. Eine Urinprobe würde ich auch benötigen.«
»Gut, aber ein leichtes Schlafmittel können Sie mir bis dahin doch verschreiben?« Sie hielt Dr. Eric Baumanns Blick stand.
Dr. Baumann war im Begriff abzulehnen, als vor der Tür Lärm erklang, der in ein weinerliches Gebrüll überging. »Das ist Florian!« Frauke sprang auf.
»Mami, Mami!« ertönte es von außen. »Wo bist du?«
Frauke eilte zur Tür, doch da wurde diese bereits von Tina Martens geöffnet. Sie hielt Florian auf dem Arm.
»Siehst du, da ist deine Mami«, sagte sie. »Entschuldigung, er bekam plötzlich Angst, doch jetzt ist sicher wieder alles in Ordnung. Ich bringe ihn in die Spielecke zurück.« Sie stellte Florian auf den Boden. »Du bist aber schwer, mein Junge.«
»Ich denke, es ist besser, wenn wir jetzt gehen. Florian ist ein lebhaftes Kind, aber im Augenblick ist er sehr eigensinnig. Ich werde mit den Kindern einen Spaziergang am See machen. Das Rezept hole ich später bei Ihrer Sprechstundenhilfe ab. Vielen Dank!« Kurz sah sie von Dr. Baumann zu Tina, dann rief sie nach ihrer Tochter.
*
An diesem Nachmittag hatte Tina Martens viel zu tun. Trotzdem fiel ihr Frau Ebert wieder ein, und als sie ihrem Chef ein weiteres Krankenblatt auf den Schreibtisch legte, erinnerte sie ihn an die Frau.
»Das Rezept für Frau Ebert, Herr Doktor! Frau Ebert wird jeden Augenblick wieder hier sein.«
Dr. Eric Baumann sah hoch und blickte seiner Sprechstundenhilfe ins Gesicht. »Ich weiß! Danke, Tina!« Kurz zögerte er, dann fuhr er fort: »Ich werde Frau Ebert kein Schlafmittel verschreiben, bevor ich sie nicht gründlich untersucht habe. Machen sie bitte mit ihr einen Termin aus. Zur Blutabnahme kann sie jederzeit am Morgen kommen. Erinnern Sie sie bitte aber daran, daß sie dann nüchtern sein muß.«
»Ich werde es ihr ausrichten. Nur, sie wird nicht gerade erfreut darüber sein. Sie war schon vorhin etwas ungehalten.«
»Stimmt«,