Zephiros Tasche. Besra Ode
du doch schon mein neues Messer verziert.«
»Gefällt es dir?«
»Was für eine Frage! Damit werde ich besser schnitzen als je zuvor«, sagte Kassim mit einem breiten Grinsen, während er sich daran machte, das Stoffbündel aufzuschnüren. »Aber ich muss noch viel von dir lernen.«
»Mit meinen siebzehn Jahren habe ich ja auch ein bisschen Vorsprung«, meinte Mehmet.
»Es ist nicht nur das. Du bist einfach der Künstler von uns beiden.« Kassim strahlte und schaute fasziniert auf das, was er in den Händen hielt. »Ist das eine Trinkschale? Aus Zirbelholz? Und dieses wunderschöne Ornament! Wie machst du das nur?«
»Ich weiß es manchmal selbst nicht. Ich arbeite einfach so lange daran, bis ich es gut finde.«
Kassim untersuchte das kleine Gefäß genauer. In seine Außenseite waren feine, unterschiedlich große, sternförmige Blumen geschnitzt.
»Ich habe mir gedacht, dass du sie gut gebrauchen kannst – zusammen mit deinem Messer. Jetzt, da ihr die Reise macht«, erklärte Mehmet.
»Welche Reise?« Überrascht blickte Kassim auf.
»Eure Reise nach Meside.«
»Was meinst du mit unserer Reise nach Meside?«
»Davon weißt du nichts?«
»Nein, gar nichts.«
»Es tut mir leid, wenn ich etwas verraten habe. Eigentlich habe ich auch nicht viel mitbekommen.«
»Du musst mir alles sagen, was du weißt.«
Mehmet atmete tief ein.
»Letzte Woche kam dein Großvater zu uns und sprach mit meinem Vater. Er meinte, ihr würdet uns Ende des Monats nach Kadut begleiten und von dort aus mit einer Karawane nach Meside weiterziehen. Glaub mir, das ist alles, was ich gehört habe. Ich habe keine Ahnung, was sie sonst noch beredet haben.«
»Was meinst du, was das zu bedeuten hat?«, fragte Kassim. Er konnte sich nicht erklären, warum sein Großvater kein Wort davon erwähnt hatte, nicht einmal vorhin bei ihrer Begegnung auf der Lichtung.
»Da fragst du den Falschen. Ich bin selbst erstaunt, dass du von alldem nichts wusstest. Ich wollte eigentlich von dir mehr darüber erfahren«, antwortete Mehmet.
»Weißt du etwas über Meside?«, wollte Kassim wissen. Ihm war nur bekannt, dass die Stadt süd-östlich im Innern des Landes lag. Sie war nicht die größte, die es gab. Die viel bekannteren und wichtigeren Städte des Landes waren Zah im Norden, jenseits des hohen Gebirges, und Ramar im Westen. Beide waren Hafenstädte und dadurch wichtige Umschlagplätze für die Waren, die von Übersee eintrafen oder dorthin verschifft wurden. Das war auch der Grund, weshalb die Hauptroute des Landes zwischen diesen beiden Handelsstädten verlief.
»Meside ist eine berühmte antike Stadt, sie ist noch älter als Kadut. Man nennt sie auch Blume der Wüste. Das hat wohl damit zu tun, dass man egal, aus welcher Himmelsrichtung man sie erreichen möchte, ein beträchtliches Stück Wüste durchqueren muss. Einmal angekommen, staunt man aber darüber, mitten in der Ödnis eine so fruchtbare und lebendige Stadt vorzufinden. Das ist alles, was ich weiß«, erklärte Mehmet. Er packte den Mandelkuchen aus und hielt ihn Kassim unter die Nase. »Wer weiß, ob du unterwegs nochmal so etwas Gutes bekommst. Na ja, du wirst auf deiner Reise sicherlich andere Köstlichkeiten kennenlernen … obwohl, da bin ich mir nicht einmal sicher. Ich glaube, die Verpflegung in den Karawanen ist ziemlich einseitig …«, er lachte laut. »Es geht doch nichts über Zias Backkunst!«
»Da hast du recht! Und … ich habe noch frischen Honig.« Kassim griff nach seiner Tasche, die hinter ihm im Schatten der Kiefer lag.
»So lässt es sich feiern«, nuschelte sein Freund mit vollem Mund.
»Und es fängt erst an«, entgegnete er und steckte sich hungrig ein Stück Kuchen in den Mund. Mit den Augen suchte er den Bussard in der Höhe, fand ihn aber nicht gleich. Dann entdeckte er ihn weiter entfernt auf einem vorspringenden Felsen sitzend.
Blume der Wüste, wiederholte er in Gedanken. Was für ein vielversprechender Name. War die gemeinsame Reise dorthin ein weiteres Geburtstagsgeschenk, mit dem ihn sein Großvater heute Abend überraschen wollte?
Kassim hoffte, Zia, Mehmets kleine Schwester, hatte während des Tees, den er zusammen mit ihrer Familie getrunken hatte, nicht bemerkt, dass er es eilig hatte, heimzukehren.
Außer Atem trat er durch die offene Haustür in die Küche, wo sein Großvater vor dem Herd stand und das Abendessen zubereitete. Auf der eisernen Ofenplatte stand Kassims Lieblingsgericht: ein würziger Lammeintopf, der den ganzen Raum mit Rosmarinduft erfüllte.
»Mehmet hat mir von unserer Reise erzählt. Ist das wahr? Werden wir nach Meside gehen?«, fragte Kassim und stellte den Mandelkuchen, den Zia ihm mitgegeben hatte, auf die Kommode.
Der alte Mann legte den Deckel auf den Topf und zog ihn vom Herd, ein Zeichen, dass das Essen so gut wie fertig war. Dann drehte er sich um und sagte mit ruhiger Stimme: »Bitte setz dich, mein Junge.«
Auf dem niedrigen Esstischchen brannten zwei Kerzen und Kassim ließ sich dort nieder, gespannt, was nun kommen würde.
»Ich hatte die Absicht, heute Abend mit dir darüber zu reden«, fuhr sein Großvater fort. »Kannst du dich an Zephiro erinnern?«
Kassim dachte nach. Zephiro war ein alter Freund der Familie. Vor vielen Jahren, er selbst musste sechs Jahre alt gewesen sein, hatte der rätselhafte Mann sie zuletzt besucht. Er hatte nur mehr ein vages Bild von ihm vor Augen, aber etwas anderes war Kassim in Erinnerung geblieben: Der Großvater und er hatten oft lange Gespräche miteinander geführt, manchmal sogar die ganze Nacht hindurch bis in die Morgenstunden. Kassim kam in den Sinn, dass der Mann einen langen Weg zurückgelegt hatte, um zu ihnen ins Bergdorf zu gelangen, da er in einer größeren Stadt im Landesinneren lebte. Wo genau, das wusste er aber nicht mehr.
»Er hatte einen dunklen Bart und eine tiefe Stimme. Ihr habt viel zusammen gelacht«, erinnerte sich Kassim.
»Das haben wir. Wie schnell doch die Jahre vergehen.« Sein Großvater stand noch immer vor dem Ofen und schaute seinen Enkel nachdenklich an.
»Zephiro handelt mit seltenen Edelsteinen und ist viel auf Reisen. Aber er hat auch das alte Handwerk des Edelsteinschleifers gelernt, musst du wissen. Er wohnt in Meside, wo er auch geboren wurde.«
Der alte Mann erklärte nicht weiter, sondern ging schweigend zu der Truhe, die neben der Tür zu seiner Schlafkammer stand. Er nahm den Perserteppich, der auf ihr lag, behutsam herunter, hob den schweren Deckel an und holte etwas hervor, das Kassim aus der Entfernung nicht genau erkennen konnte. Regungslos vor Neugier saß er auf seinem Kissen und wartete.
»Bei seinem letzten Besuch hat der Gute das hier vergessen«, murmelte sein Großvater und legte eine kleine Ledermappe auf den Tisch. Kassim nahm sie in die Hand. Sie war braun, etwa so groß wie ein Buch, gefaltet wie ein Brief und an den Rändern mit glänzendem schwarzen Rosshaar und dunkelrotem Seidenfaden kunstvoll eingesäumt. Zusammengehalten wurde sie mit einem Lederband, welches in der Mitte zu einem festen Knoten verschnürt war.
»Was für eine edle Tasche«, bemerkte er und fuhr mit den Händen über die Nähte. »Was ist denn darin?«
»Ich weiß es nicht.«
»Du weißt es nicht?«
»Nein.«
»Du hast sie nie geöffnet?«
»Nein. Es ist Zephiros Tasche.«
Kassim schaute seinen Großvater an und verstand, was er damit ausdrücken wollte. Er würde nie etwas ohne guten Grund öffnen. Und das galt nicht nur aus Respekt vor dem, was einem anderen gehörte, sondern es war für ihn einfach nicht von Belang, zu wissen, was sich darin befand.
Im Gegensatz zu mir