Zephiros Tasche. Besra Ode

Zephiros Tasche - Besra Ode


Скачать книгу
Freund nicht mehr wiedergekommen ist, um die Tasche zu holen, möchte ich, dass du sie ihm nach Meside bringst.«

      »Ich? Ich soll sie ihm überbringen?« Kassim zog eine Augenbraue hoch. Er war sich nicht sicher, ob er richtig verstanden hatte. »Ich allein? Nicht wir beide zusammen?«

      »Ich denke, du solltest diese Reise alleine unternehmen. Wärst du dazu bereit?«

      »Aber natürlich, Babbo … Allerdings verstehe ich nicht, weshalb Zephiro nicht zurückgekehrt ist. Ich meine, wenn etwas wirklich Kostbares darin ist, dann wäre er doch wiedergekommen. Meinst du nicht?«

      »Ich denke, er weiß nicht, dass er sie bei uns vergessen hat. Vielleicht glaubt er, dass er sie unterwegs verloren hat. Wer weiß das schon? Wenn man unterwegs ist, gibt es viele Möglichkeiten, wie einem Dinge abhandenkommen können. Die Tasche sollte zu ihm zurückkehren, bevor ich sterbe.«

      »Wieso sagst du so etwas?« Kassim spürte ein schmerzhaftes Stechen in seiner Brust. Sein Großvater brachte ihn völlig durcheinander. Da war einerseits der Plan, ihn mit einer geheimnisvollen ledernen Mappe alleine auf eine Reise durch das Land zu schicken, und gleichzeitig erwähnte er seinen bevorstehenden Tod. Das bereitete Kassim großes Unbehagen, ja sogar Angst.

      »Fühlst du dich nicht gut, Babbo?«

      »Nein, das ist es nicht. Jeden Tag widme ich im Stillen dem Sterben einen Gedanken. Das sollte jeder tun«, sagte der alte Mann gelassen.

      »Aber warum? Ich will nicht an etwas so Schreckliches wie den Tod denken. Ich will nicht, dass du stirbst! Und auch ich will nicht sterben. Ich will, dass wir noch lange miteinander leben.«

      »Was deine Angst vor dem Tod betrifft, so hör mir gut zu. Wenn du die Welt genau anschaust, wirst du feststellen, dass alles, was du siehst und wahrnimmst, das gleiche Schicksal hat. Die Welt besteht immerfort aus einem ständigen Werden und Vergehen. Ein Tag bricht an, weicht der Nacht und wieder bricht ein Tag an. Stets ist es vor deinen Augen, im Großen wie im Kleinen – das ewige Kommen und Gehen. Oder nicht? Darauf solltest du immer achten.«

      Der Großvater machte eine kleine Pause und fuhr dann fort. »Wenn du es lange genug beobachtest, kommt irgendwann der Augenblick, in dem du noch etwas anderes wahrnehmen wirst. Etwas, das in all dem Geschehen unveränderlich ist. Du bist nicht dein Körper, du bist mehr als das. Was auch immer geschehen mag, du befindest dich immer an einem geschützten Ort. Und das gilt auch für den Moment des Sterbens. Dein wahres Selbst wird nicht vergehen. Für dich gibt es keinen Tod.«

      Er holte zwei Teller aus dem Schrank am Herd und füllte sie mit Lammeintopf und Hirse. Dann streute er kleingehackte Tomaten und frische Petersilie darüber.

      Obwohl es köstlich aussah und duftete, hatte Kassim plötzlich keinen Appetit mehr. Er musste über die Worte seines Großvaters, über das, was er über das wahre Selbst und den Tod gesagt hatte, nachdenken. Wieder einmal spürte er, wie tief doch das Wissen des weisen Alten war und wie viel er selbst noch zu lernen hatte.

      Babbo legte die Ledertasche behutsam beiseite und sprach ein Tischgebet.

      »Warum möchtest du mich nicht auf der Reise begleiten?«, wollte Kassim nach einer Weile, in der sie schweigend gegessen hatten, wissen.

      »Erstens bist du nun alt genug für eine solche Unternehmung. Ganz allein auf dich gestellt wirst du ja nicht sein. Du wirst mit einer der Karawanen reisen, die in Kadut haltmachen. Das hast du dir doch immer gewünscht. Und zweitens sind da noch meine alten Kniegelenke. Eine tagelange Wanderung wäre eine große Belastung für sie und ich habe einfach nicht mehr die Kraft wie früher. Der Weg durch die Wüste ist beschwerlich.«

      »Wie lange braucht man, um Meside zu erreichen?«

      Der Großvater überlegte eine Weile, als ob er die Tage der verschiedenen Etappen zählen müsste.

      »Für den Hin- und Rückweg nach Kadut, und rechnet man noch einen kurzen Aufenthalt in Meside ein, werden es in etwa vierzig Tage sein.«

      Kassim überlegte. Es stand nirgends geschrieben, wie lange Jago genau benötigt hatte, um das große Gebirge zu überqueren. Aber es mussten einige Wochen gewesen sein.

      »Stimmt es, dass Meside auch Blume der Wüste genannt wird?«, fragte er.

      »Das stimmt! Und das zu Recht. Bald wirst du es selbst sehen.« Der alte Mann lächelte geheimnisvoll.

      »Ich will diese Reise machen, aber ich kann nur von hier fortgehen, wenn du mir versprichst, dass es dir gut geht.«

      Der Großvater schaute ihm liebevoll in die Augen. »Mach dir nicht so viele Sorgen, mein Junge. Kennst du den Wesenskern des wahren Vertrauens?«

      »Verrätst du ihn mir?«

      »Sein Wesenskern ist der Mut.«

      »Wieso der Mut?«

      »Man muss den Mut haben, die eigene Macht aufzugeben und den Platz einer anderen Kraft zu überlassen.«

      »Das ist nicht einfach.«

      »Nein, einfach ist das nicht. Aber es ist das einzig Richtige.«

      »Warum?«

      »Es ist nie die eigene Kraft, aus der heraus man etwas schafft, sondern immer die Kraft des großen Ganzen. Wie du weißt, ist das für mich die Macht Gottes, der auf seine Weise für alles sorgt. Es gibt keine bessere Botschaft als diese.« Der Großvater lachte freudig und fuhr mit seiner Hand über Kassims Kopf. »Aber das wirst du selbst erfahren. Nicht ich muss zu dir sprechen, sondern das Leben.«

      »Ich wäre froh, wenn du es mir erklären würdest! Ich wünschte, ich wäre so weise wie du. Bitte erzähl mir noch mehr von Zephiro.«

      »Ich werde dir alles sagen, was du wissen möchtest – sofern ich es vermag. Aber nun iss deinen Eintopf, bevor er kalt wird.« Er lächelte.

      Während sie weiter aßen, berichtete der Alte, wie er seinen Freund vor vielen Jahren, noch bevor Kassim das Licht der Welt erblickt hatte, bei einem Hochzeitsfest in Kadut kennengelernt hatte: »Obwohl Zephiro einige Jahre jünger war als ich und aus einer anderen Gegend des Landes stammte, verspürten wir gleich mit dem ersten Händedruck eine tiefe Verbundenheit. Damals kam es mir so vor, als würde ich einen mir schon lange vertrauten Menschen wiedersehen. Der Wein auf dem Fest war ausgezeichnet und wir haben uns die ganze Nacht unterhalten und ausgelassen gefeiert. Deshalb habe ich ihn dann zu mir nach Hause eingeladen.

      Gleich am nächsten Tag sind wir gemeinsam ins Dorf zurückgeritten, wo Zephiro einen ganzen Monat mein Gast war. Wir haben lange Wanderungen durch die Berge unternommen und über die Natur philosophiert.

      In den darauffolgenden Jahren machte Zephiro auf seinen Handelsreisen, wann immer es ihm möglich war, Abstecher in unser Hochtal.

      Unangekündigt stand er dann mit seinen voll beladenen Pferden vor der Tür. In der Hand meist eine Kiste mit Büchern, gutem Wein, feinem Gewürzbrot und vielen ungewöhnlichen Leckereien und Dingen als Mitbringsel. Aber die Wichtigste von all seinen Gaben war Zephiro selbst und seine Gesellschaft.« Der Großvater machte eine Pause und sah gedankenverloren aus dem Fenster. »Man konnte mit ihm arbeiten und debattieren, lachen und beten.«

      Ausgestreckt auf dem Kelimkissen lauschte Kassim aufmerksam den Schilderungen. Als die Kerzen auf dem Tisch heruntergebrannt waren und es Zeit wurde, schlafen zu gehen, war er traurig, dass sie so lange nichts mehr von dem geheimnisvollen Edelsteinschleifer gesehen oder gehört hatten.

image

      »Und was ist in der Tasche?«, fragte Mehmet, nachdem Kassim ihm alles vom vergangenen Abend berichtet hatte. Sie standen in der kleinen Scheune, in der Holz gelagert wurde. Mehmet verbrachte hier viele Stunden, um seine Figuren zu schnitzen. Im Augenblick war er allerdings damit beschäftigt, ein paar Scheite für den Ofen zu spalten.

      »Babbo weiß es nicht. Sie ist mit einem Knoten verschlossen und er hat sie nie geöffnet«, antwortete Kassim. Mehmet legte die Stirn in Falten und sah ihn ungläubig an.

      »Du


Скачать книгу