Allgemeine Epileptologie. Группа авторов
Patienten mit erstem epileptischem Anfall haben ein relevantes Risiko einer nachteiligen sozialen Entwicklung. Bestehen berufliche Schwierigkeiten (drohender Arbeitsplatzverlust, fehlende berufliche Eignung, z. B. bei einem LKW-Fahrer), sollte die Indikation zu einer speziellen medizinischen Rehabilitation für Anfallskranke geprüft werden, insbesondere bei
• ausgeprägten emotionalen Belastungen (z. B. anfallsbezogenen Ängsten, Stigmatisierungserleben)
• Klagen über kognitive Einbußen
• bleibenden Zweifeln des Patienten an der Diagnose
• hohem Informationsbedürfnis
Die entsprechenden Leitlinien der Deutschen Rentenversicherung beschränken medizinische Rehabilitation explizit nicht auf Patienten mit chronifiziertem oder therapieschwierigem Epilepsieverlauf (Deutsche Rentenversicherung 2010).
1.4 Weiterführende ambulante neurologische Betreuung
Ist die Entscheidung zur antikonvulsiven Pharmakotherapie gefallen, beginnt eine langfristige Behandlungsbeziehung zwischen ambulant tätigem Neurologen und dem Betroffenen. Drei große Themenfelder prägen die in der Regel initial halbjährlichen, später weiter auseinanderliegenden Kontakte:
Monitoring der Verträglichkeit
Bei den Natriumkanalblockern sind motorische Nebenwirkungen bei höheren Blutspiegeln möglich, die man durch Prüfung von Halte- und Intentionstremor sowie der Augenfolgebewegungen (sakkadiert? Blickrichtungsnystagmus?) erfasst. Bei anderen Antikonvulsiva sind psychische und kognitive Nebenwirkungen wahrscheinlicher, die durch Erhebung des psychopathologischen Befundes mithilfe kurzer Inventare (z. B. NDDI-E (Brandt et al. 2014), GAD-7 (Löwe et al. 2008)) und Bedside-Testungen (z. B. »EpiTrack«2), in Einzelfällen auch eingehendere psychiatrische oder neuropsychologische Untersuchungen erfasst werden. Nicht selten sind allerdings in der Klientel der Neuerkrankten Klagen über »kognitive« Beeinträchtigungen (Konzentration, Gedächtnis etc.) auf emotionale Belastungen zurückzuführen (Velissaris et al. 2009). Regelmäßige Laborkontrollen werden nicht empfohlen; sie sollten bei klinischen Hinweisen auf eine Nebenwirkung erfolgen (z. B. Anfallszunahme oder Übelkeit als mögliche Zeichen einer Hyponatriämie) (Zaccara et al. 2007). Bei jungen Frauen sind die Besonderheiten bei Verhütung, Schwangerschaftsplanung und Schwangerschaft zu beachten (Müffelmann und Bien 2016).
Monitoring der Wirksamkeit
Da das Ausbleiben von Anfällen der einzige Parameter ist, der die Wirksamkeit einer antiepileptischen Therapie widerspiegelt, ist die möglichst zuverlässige Erfassung von Anfällen von zentraler Bedeutung. Viele Patienten registrieren symptomarme Anfälle mit Bewusstseinsstörung (z. B. Absencen, fokale Anfälle mit Automatismen) selber nicht, seltener auch tonisch-klonische Anfälle nicht (Hoppe et al. 2007b). Daher muss eigen- und fremdanamnestisch gezielt auch nach indirekten Anfallshinweisen (z. B. Zungenbiss-Verletzung, Einnässen, anderweitig nicht erklärbare Abgeschlagenheit) gefahndet werden. In Einzelfällen kann man auch mit dem Patienten verabreden, nach einem mutmaßlichen Anfall ein postiktuales EEG ableiten zu lassen und/oder nach 24–48 Stunden einen CK-Wert bestimmen zu lassen (Brigo et al. 2015). Gelegentlich wird auch in einem routinemäßig durchgeführten EEG ein Anfall aufgezeichnet, den der Patient und seine Angehörigen bislang nicht wahrgenommen oder fehlgedeutet haben.
Adhärenz
Gerade bei Patienten, bei denen eine antiepileptische Therapie neu begonnen wurde, sowie bei langen Verläufen ohne Anfallsrezidiv ist die Einnahmetreue bedroht (Specht 2008). Daher ist die Sicherung der Adhärenz zum vereinbarten Therapieregime die vielleicht wichtigste Aufgabe der Begleitung von Patienten nach erstmaligem Anfall. Blutspiegelkontrollen morgens vor Tabletteneinnahme unterstützen die Bearbeitung dieses Themas. Informativer, weniger kränkend und wirksamer als die Frage, ob regelmäßig eingenommen wird, ist die Erkundigung, wie der Patient seine Tabletten einnimmt. Die beste Kontrolle hat er mit Verwendung eines Medikamentendosierers (Wochenbox). Beim Gespräch über diese Einnahmehilfe erläutern wir auch unser Prinzip, vergessene Dosen nachzunehmen. Dies steht zwar im Gegensatz zu den Empfehlungen in den Packungsbeilagen vieler Antiepileptika und kann im Einzelfall zu vorübergehenden Nebenwirkungen führen, sichert aber einen ausreichend hohen Blutspiegel (May et al. 2018). Wir thematisieren auch regelmäßig den Vorteil einer Blutspiegeluntersuchung kurz nach einem Rezidivanfall, um einen Spiegelabfall als möglichen ursächlichen Faktor von einer unzureichenden Wirksamkeit des Antiepileptikums unterscheiden zu können (Specht 2008).3
1.5 Zusammenfassung
• Nach einem ersten Anfall ist zunächst der Ausschluss oder Nachweis (und ggf. spezifische Behandlung) einer akut-symptomatischen Ursache vordringlich. Wenn es sich um einen unprovozierten Anfall handelt, ist die Abschätzung der individuellen Prognose wichtig, nicht so sehr, ob die Diagnose »Epilepsie« lautet oder nicht.
• Die Rezidivwahrscheinlichkeit wird erhöht durch
– mehr als einen vorangehenden Anfall
– epilepsietypische Aktivität im EEG
– potenziell epileptogene Hirnläsion in der Bildgebung
– Auftreten des Anfalles aus dem Schlaf
• Die Entscheidung für oder gegen eine antiepileptische Therapie wird gemeinsam mit dem Patienten unter Berücksichtigung seines persönlichen Rezidivrisikos und seiner persönlichen Präferenz getroffen.
• Die Auswahl des Antiepileptikums innerhalb der für fokale oder generalisierte Anfälle empfehlenswerten Substanzen ist nachrangig.
• Entscheidend für die Adhärenz des Patienten ist ein tragfähiges Therapiebündnis, das durch Verlaufsuntersuchungen erneuert und gesichert wird.
Hintergrundinformationen 1
Rezidivrisiko
Akut-symptomatischer vs. unprovozierter Anfall: unterschiedliche Wiederholungsrisiken
Ein erster epileptischer Anfall zum Zeitpunkt einer als Ursache plausiblen, klar identifizierbaren systemischen gesundheitlichen Störung (z. B. Intoxikation) oder im engen zeitlichen Zusammenhang mit einer akuten cerebralen Schädigung (i. d. R. innerhalb von sieben Tagen; z. B. intracerebrale Blutung) wird »akut-symptomatisch« genannt (obsoleter Begriff: »Gelegenheitsanfall«) (Beghi et al. 2010). Ein akut-symptomatischer Anfall hat ein viel geringeres Wiederholungsrisiko als ein unprovozierter Anfall (Berg und Shinnar 1991; Hesdorffer et al. 2009,
Abb. 1.3: Wiederholungsrisiko epileptischer Anfälle. Hier werden die Kernergebnisse klassischer Studien vereinfacht und schematisiert dargestellt. (A) (Hesdorffer et al. 2009); (B) (Lawn et al. 2014); (C) (Berg und Shinnar 1991); (D) (Marson et al. 2005); (E) (Kim et al. 2006) – normales EEG, keine bestehende neurologische Erkrankung; mittleres Risiko: epileptiforme EEG-Aktivität oder neurologische