Es darf gelacht werden Von Männern ohne Nerven und Vätern der Klamotte. Norbert Aping
Schwier fremdsprachige Filme und sorgte gelegentlich auch für Synchronisationen. Das war lange, bevor er sich ab 1965 verstärkt der Filmsynchronisation widmete. Außerdem hatte Schwier bald nach Kriegsende gute Verbindungen zu dem Berliner Filmkaufmann und -sammler Albert Fidelius geknüpft. Dessen Archiv wurde nach seinem Tod im Frühjahr 1962 zusammen mit der Sammlung des Filmregisseurs Gerhard Lamprecht zum Gründungsgrundstock der am 1. Februar 1962 eröffneten Stiftung Deutsche Kinemathek e. V. (Film-Echo/Filmwoche Nr. 11/12 vom 9. Februar 1963). Fidelius’ Sammlung hatte bereits Anfang der 1950er-Jahre einen beträchtlichen Umfang. Er gab in Berlin Bestandslisten für Kinos heraus, die Sonderprogramme mit frühen Filmen aufführen wollten (Film-Echo Nr. 1 vom 5. Januar 1952).
Für die Entwicklung der Slapstickserien im deutschen Fernsehen ist der Schauspieler Schwier von Bedeutung (Aping, Dick und Doof, S. 344–347). Anfang der 1950er-Jahre veranstaltete der Filmclub Göttingen zur Faschingszeit ein Fest, auf dem Schwier gemeinsam mit dem am 25. Oktober 1919 in Essen geborenen Komponisten Konrad Elfers quasi als Gag einen Stummfilm aus Fidelius’ Archiv zeigte. Schwier kommentierte sie als Film-Erklärer im alten, aber parodierenden Stil wie Jerven und Martin, und Elfers spielte dazu Kintopp-Musik auf dem Klavier. Damit fielen Schwier und Elfers jedoch durch. Über die Gründe des Scheiterns berichtete Schwier der Journalistin Marlen Sinjen nach dem Erfolg von ES DARF GELACHT WERDEN (Das neue Blatt vom 20. Juli 1963: «Sein Rezept heißt: Es darf gelacht werden!»): «Es begann alles mit einem Faschingsscherz. Ich arbeitete damals als freier Journalist in Göttingen. Aus Jux wollten wir im Göttinger Filmclub mal richtig Kintopp machen. Mit Ansage und Klaviermusik. Aus einem Privatarchiv bekamen wir einen alten Film. Ich hatte ein wunderbares Manuskript geschrieben, über das ich mich totlachen konnte. Ich machte nach diesem Manuskript selbst die Ansage. Was soll ich Ihnen sagen: Kein Mensch lachte. Es wurde eine völlige Pleite. Da habe ich eingesehen, dass man so etwas nur improvisieren und niemals schreiben kann. Das geht nur ‹frei nach Schnauze›. Und so ist es bis heute geblieben. Ich habe nie ein Manuskript.»
Kintopp anno dazumal
Aus der ersten «völligen Pleite» zog Schwier die Konsequenzen. Als bei der Göttinger Filmaufbau GmbH ein Atelier-Fest stattfand, wagte er mit Elfers und einem neuen Konzept einen neuen Anlauf. Mit Augenzwinkern servierten sie ihrem Publikum ein Programm wie im Gasthaus-Milieu, als es kaum ortsfeste Lichtspieltheater gab und Wanderkinos die Attraktion waren. Unter der Überschrift KINTOPP ANNO DAZUMAL trafen sie nun genau den Geschmack der Gäste, die vor Begeisterung tobten. Unterlagen über die seit 1949 rechtlich selbstständigen Atelierbetriebe der Göttinger Filmaufbau GmbH und ihre Atelier-Feste sind in ihrem Nachlass, der sich im Filminstitut Hannover befindet, nicht überliefert. Bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit wiederholten Schwier und Elfers ihren Auftritt. Anschließend gingen sie in der ersten Hälfte der 1950er-Jahre mit einer bunten Mischung aus dokumentarischen, dramatischen und komischen Stummfilmen auf Tournee durch Filmclubs, Kinos und Universitäten bundesdeutscher Städte (Interview mit Ernst Liesenhoff vom 17. November 1999). Auch die Gilde deutscher Filmkunsttheater wurde auf Schwier und Elfers aufmerksam und brachte KINTOPP ANNO DAZUMAL mit wechselnden Streifen aus Fidelius’ Archiv in die Kinos ihrer Mitglieder.
Daraufhin nahm Fidelius Ende Juni 1954 ersten Kontakt zur Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) auf. Er teilte ihr mit, dass die öffentlich gezeigten Filme aus seinem rund 180 000 Meter Film umfassenden Bestand alle zwischen 1910 und 1930 von der damaligen Filmzensur zugelassen worden seien und sie nun in etwa 30 Filmkunsttheatern nur einem kleinen Personenkreis vorgeführt würden. Unter anderem ging es um die deutschen Stummfilme DIRNENTRAGÖDIE und DIE HOSE von 1927 sowie um fünf Chaplin-Mutuals von 1916 und 1917: CHAPLIN ALS KULISSENSCHIEBER (BEHIND THE SCREEN), CHAPLIN IM WARENHAUS (THE FLOOR-WALKER), AUF DER WALZE (THE VAGABOND), CHAPLIN LÄUFT ROLLSCHUH (THE RINK) und CHAPLIN ALS STRÄFLING (THE ADVENTURER). Zu den Chaplin-Streifen behauptete Fidelius, seit 1931 die alleinigen deutschen Aufführungsrechte zu besitzen (Schreiben vom 28. Juni und 19. Juli 1954 in FSK-Akten Nr. 10 009). Die FSK ließ Fidelius wissen, dass allein die Inhaberschaft an Filmen noch nicht zu ihrer öffentlichen Aufführung berechtige. Sie beobachtete seine Aktivitäten in der Öffentlichkeit. Gegen eine Aufführung der Streifen im Münchner Kino Studio im September 1954 wandte man allerdings nichts ein (Vermerke FSK vom 9. und 10. August 1954 sowie Schreiben an Fidelius vom 7. September 1954). Auch 1955 tourten Schwier und Elfers mit KINTOPP ANNO DAZUMAL. Im April 1955 schrieb das Fachblatt Filmwoche im Beitrag «Geglücktes Stummfilm-Experiment» (Nr. 15. vom 9. April 1955, S. 336): «Wider alle Unkenrufe […] ein so gutes Geschäft, dass aus den vorgesehenen drei Tagen sieben wurden. […] Wenn der Sprecher nicht heiser geworden wäre, würde der Film wohl heute noch laufen.»
Als Fidelius der FSK Anfang April 1955 ankündigte, dass vom 19. bis 28. April ein völlig neues Stummfilm-Programm KINTOPP ANNO DAZUMAL in den Freiburger und Heidelberger Kinos Kamera stattfinden werde, kam Bewegung in die Angelegenheit Die FSK teilte ihm per Telegramm mit, dass sie dem ohne Freigabebescheinigung nicht zustimmen werde. Daraufhin nahm Schwier in Fidelius’ Auftrag die Sache in die Hand. Er rief bei der FSK an, dass der Termin in der Freiburger Kamera nicht mehr abgesagt werden könne (Telegramm FSK vom 16. April und Vermerk über Schwiers Anruf vom 18. April 1955).
Ohne dass die FSK einschritt, fanden die Auftritte statt, und nicht nur in den genannten Kinos, sondern vom 26. bis zum 28. April 1955 auch im Heidelberger Studio Fauler Pelz. Die Zuschauer waren begeistert von der «großartigen Posse», man bescheinigte Schwier eine «großartige Leistung», und die US-amerikanischen Gäste im Publikum fanden Schwiers und Elfers’ «Show einmalig» (Der Gildendienst Nr. 22, Mai 1955, S. 9). Nach einigem Hin und Her stellte Schwier Ende Mai 1955 für Fidelius endlich einen Antrag auf Zulassung von KINTOPP ANNO DAZUMAL. Zum Programm gehörten unter anderem Filme von Asta Nielsen, Max Linder, Henny Porten, Gösta Ekman, La Jana, Hans Albers, Emil Jannings, Erika Glässner, Charlie Chaplin und Buster Keaton. Am 9. Mai 1955 ließ die FSK das knapp 2 500 m lange Programm als jugendgeeignet auch für Jugendliche von 10 bis 16 Jahren zu – eine damals übliche Altersbegrenzung vor der Neuregelung des Jugendschutzgesetzes von 1957.
Am 9. Juni 1955 fand die offizielle Premiere von KINTOPP ANNO DAZUMAL im Münsteraner Filmkunsttheater Gertrudenhof-Lichtspiele statt (Freigabekarte und FSK-Vermerk vom 8. Juni 1955 über den Einsatz). Es wurde von Eckelkamp und seinem Vater betrieben und mittlerweile von Liesenhoff geleitet. Das Programm kam so gut an, dass Schwier und Elfers als Wanderschausteller Werner und Kapellmeister Konrad am Pianoforte durch die Filmkunsttheater zogen. In Göttingen veranstalteten sie im Studio der Filmkunst für Angehörige der Universität an vier Tagen ein «Attraktions-, Fest- und Galaprogramm». Sie baten, in der Nähe des Operateurs wegen der Feuergefährlichkeit der Streifen nicht zu rauchen. Andere freundliche Hinweise lauteten: «Schlüssel zur Toilette und Erfrischungen am Büfett» und «Sitzenbleiben mehrere Vorstellungen hindurch strengstens untersagt». Das «fast total neue» Programm enthielt nach dem Handzettel Bilder aus dem Leben einer Probiermamsell, DAS MÄDCHEN OHNE VATERLAND mit Asta Nielsen, Rührstücke, wieder einmal DER AVIATIKER UND DIE FRAU DES JOURNALISTEN aus den «Sümpfen der Weltpresse» wie schon bei Friedrich Martin, je einen Film mit Linder, Chaplin und Keaton. Und schließlich als besondere Attraktion der dokumentarische Streifen JUNGDEUTSCHLAND AUF GELÄNDEÜBUNG – «wem schlüge da das Herz nicht höher?» Vom 26. bis zum 29. Oktober 1955 nahmen Schwier und Elfers mit KINTOPP ANNO DAZUMAL an den II. Westdeutschen Kulturfilmtagen in Oberhausen teil, die unter der Überschrift «Bildungsmacht Kulturfilm» stattfanden. Zu ihrem 93-minütigen Programm gehörte dieses Mal FATTY GEHT INS THEATER, womöglich ein US-Slapstickfilm mit Roscoe «Fatty» Arbuckle.
Inwieweit Fidelius, Schwier und Elfers auf korrekte Abspielgeschwindigkeiten geachtet haben, ist unbekannt und eher zweifelhaft. Wahrscheinlich hatten dies vor ihnen auch Jerven, Althoff und Martin nicht im Blick. Als im Frühjahr 1957 der Programminhalt von KINTOPP ANNO DAZUMAL wieder gewechselt hatte, empfahl der FD die «amüsante Programmfolge aus den Anfängen der Filmgeschichte […] mit Ansager und Klavierspieler» für Interessierte ab 16 Jahren (Nr. 14 vom 4. April 1957, Nr. 5 750): «Heute etwas über den Wert oder Unwert der hier gesammelten Streifen zu sagen, ist ziemlich schwer. Schon die ruckenden, zuckenden Bewegungen der Schauspieler auf der Leinwand, die in der damaligen geringeren