Es darf gelacht werden Von Männern ohne Nerven und Vätern der Klamotte. Norbert Aping

Es darf gelacht werden Von Männern ohne Nerven und Vätern der Klamotte - Norbert Aping


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und unverständlich waren, dass sie schon wieder unfreiwillig komisch wirkten. Bei Grotesken ließ sich der aus komischen Kommentaren fließende Effekt sicherlich leichter steigern. Dabei bediente sich der Film-Erklärer je nach Region auch des Dialekts. Den Ausbildungsberuf Film-Erklärer gab es nicht. Es kam ganz auf die individuellen Fähigkeiten an. Naturgemäß schwankten sie von Person zu Person, und Geschmacksverirrungen wird es auch gegeben haben. Manchmal wird ein Film-Erklärer auch zu viel des Guten getan haben, wenn er einem Film mehr andichtete, als in ihm steckte. Diese Ebene war es, die den Film-Erklärer selbst zum Gegenstand von kabarettistischen Karikaturen werden ließ. Seine Figur war der Schlüssel, dem mittlerweile mit dem Film vertrauten Publikum als Reminiszenz an die Kindertage des Films durch gezielt naiv-lustige Kommentierungen von alten Streifen eine vergnügliche Zeit zu bereiten. Im Januar 1941 druckte der FK das Gedicht «Kintopp anno 1913» als Reminiszenz an die lange zurückliegenden Zeiten des Kintopps ab: «Selten ist ein Kino mir / so intim begegnet: / Ein Glas Bier auf dem Klavier, / Flimmerbild verregnet. / Und mit heisrer Stimme rief / Stolz der Chef persönlich: / ‹Haa! Der Vater sieht den Brief / Und ist unversöhnlich!› / ‹Herrschaften! Jetzt rächt er sich / An der schnöden Hilde! / Haa! Sein Groll ist fürchterlich, / Gleich gibt’s Krach im Bilde!› / Und wir saßen andachtsvoll / Vor dem Vaterzorne. / Des Klavierers Jammer schwoll / Irgendwo da vorne. / Plötzlich war das Drama aus, / Der Direktor rief mit Schnaufen: / ‹Kinder müssen jetzt nach Haus, / Rot ist abgelaufen!›»

      Im September 1941 beschrieb der Berliner Schriftsteller Johannes Hassis alias Jonny Liesegang in der Rubrik «Det fiel mir uff» der Berliner Zeitung Nachtausgabe ein Treffen mit einem ehemaligen Film-Erklärer während einer Zugfahrt (zitiert nach FK Nr. 210 vom 10. September 1941). Die beiden kamen ins Gespräch, und als Liesegang sein etwa 60 Jahres altes Gegenüber für einen Filmschauspieler hielt, korrigierte dieser die Vermutung. In breitem Berlinerisch (keine Garantie für die richtige Verwendung im Folgenden!) begann er ausführlich aus seiner Zeit als Film-Erklärer zu erzählen, und das deckte sich mit der atmosphärischen Skizze des Gedichts «Kintopp anno 1913»: «[…] Film-schau-spiela? Ick war der Film übahaupt! Ohne mir war’n Film übahaupt keen Film nich, müssen Se wissen! Ohne meine Wenichkeit war beispielhaftaweise Asta Nielsen nischt weita wie ’ne Bandnudel mit Wimpern! Ick war zu damalje Zeiten in de Stummfilmperrjode detselbe, wat heute im Tonfilm sprachlicher Effekt is! Ick ließ die Nerven bibbern, ick knautschte jrenzenlosen Jamma in die Seele det Publikums, ick … knetete sämtliche erforderlichen Stimmungen in die nur kieken könnende Masse. […] Ick war Erklära. [… Een] Erklära stand, wenn der Film losjing, neben de Leinwand! Nu damals mit die Texte, missen Se wissen, in manche Jejenden von Berlin kamen die Leute nich so schnell mit’s Lesen mit. Und wenn se et wirklich jelesen hatten, hatten de meisten hintaher janich bejriffen, um wat et sich eijentlich drehte. Diese Mangelerscheinung nu, die Folje von det zu schnelle Filmabdreh’n und ooch die Folje von die Nichvastehste det Publikums, die wurde durch den Erklära aus de Welt jeschafft. […] Nu wer’ ick Ihnen mal eenen Film erklär’n! […] Se brauchen jaanich zu wissen, um wat for’n Film et sich handelt. Uff Jrund meine Erklärungens wer’n Se am Schlusse meine Ausführungen völlich im Bilde sein. […] Liebet Publikum, meine sehr vaehrten Dam’ und meine Herr’n! Diese heutije Film befasst sich mit een der jrößten menschlichsten Probbleme, die et unta die ziwelisierten Völka jibt. Et is det Probbelem der Unehelichkeit, det Fehltritts, oda, wie man poetischa saacht: det Enderjebnisses eena schwachen Stunde.» Und dann zog der alte Herr alle Register dramatischen Vortrags um die «Trajödje» der jungen Frau, die einem falschen Liebesschwur aufgesessen war («lieber Jott, vaehrte Anwesende, wer schmeißt den ersten Stein?»). Nach «wildem Schluchzen» und «wankendem» Gang hatte sie sich doch nicht von der Brücke in den reißenden Fluss gestürzt. Stattdessen hatte sie sich nach «jrenzelosen Jamma» auf ihrer Flucht vor dem «jrausamen Vata» durch schlimmes Wetter gekämpft («Wilder Regen peitscht de Jassen – et donnert – blitzt, buiii pfeift de Wind um de Eck’n.»), bis sie in der «Plättstube von Fräulein Minkewitz […] een Schemisett plätt’t.» Über den emotionalen Vortrag des Film-Erklärers war Liesegang eingeschlafen. Als er merkte, dass er seinen Zielbahnhof schon erreicht hatte, schreckte er hoch und verließ den Zug mit fliegenden Fahnen. Ob sich das alles so zugetragen hat? Wer weiß? Aber sehr wahrscheinlich hat Liesegang die Darbietung eines Film-Erklärers, wie ihn die Zuschauer Anfang des 20. Jahrhunderts erlebten, ziemlich plastisch eingefangen – und das Vergnügen, das solch ein Vortrag bereitet. Der Film-Erklärer wird sich seiner Möglichkeiten ziemlich bewusst gewesen sein, wenn er vor Rührung seine Stimme im Angesicht einer Schmonzette auf der Leinwand erzittern ließ. Man kann ihn sich gut im Vatermörder und mit Zwirbelschnurrbart vorstellen – natürlich mit der damals populären Barttinktur «Es ist erreicht» behandelt –, wie er sich nach seinem «packenden» Vortrag erschöpft den Schweiß von der Stirn wischt und sich einen Krug Bier genehmigt.

       Musik und Stummfilm

      Der Film-Erklärer ist überdies ein Beleg dafür, dass der Stummfilm nicht stumm ablief, sondern ein tönendes Erlebnis war. Dazu kam Musik. Ein reiner, wenn auch überziehender Vortrag wäre doch schnell eintönig geworden. Die Musik hatte seit der Frühzeit des Films eine wichtige dramaturgische Funktion und war unverzichtbar: Sie unterstützte die erkannte oder vermutete Filmhandlung durch passende Versatzstücke, die Spannung, Freude, Spaß, Hoffnung und Verzweiflung für jeden verständlich skizzierten. An den richtigen Stellen mussten Musiker zum Beispiel Spannung und Komik mit Tremolos, anschwellenden Klängen und abrupten Enden unterstützen. Musik ist die universellste Sprache. Ihr Erscheinungsbild fiel sehr unterschiedlich aus. Im Laufe der Jahre entwickelte sich die Sparte Filmmusik (Nowell-Smith, S. 172 ff.). In den 1920er-Jahren schufen versierte Film-Komponisten eigens Kompositionen für bedeutende und kassenträchtige Spielfilme, zu deren Uraufführungen nicht selten Prominente aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft erschienen. Exponenten der Film-Komponisten waren Giuseppe Becce, Paul Dessau, Hans Erdmann, Gottfried Huppertz, Franz Lehár, Edmund Meisel und Willy Schmidt-Gentner, um nur einige zu nennen (Birett, Stummfilmmusik). Erdmann betreute im Reichsfilmblatt (RFB) die regelmäßig erscheinende Rubrik «Filmmusik». Becce gründete 1921 die Zeitschrift Kino-Musik-Blatt, später Ton-Film-Musik, aus der sich mehrere Beispiele für Kompositionen von Slapstickfilmen entnehmen lassen. Gemeinsam mit Ludwig Brav legten Erdmann und Becce 1927 das zweiteilige Werk Allgemeines Handbuch der Film-Musik vor. Im ersten Teil beschäftigt es sich mit Theorie und Praxis der Filmmusik, während der zweite Teil ein thematisches Skalenregister enthält, mit dessen Hilfe sich Filme nach Stimmungen und Situationen mit kompositorischen Versatzstücken live untermalen ließen. 2020 ist es unverändert wiederaufgelegt worden. Diese Art musikalischer Bearbeitung von Stummfilmen war allerdings schon aus Kostengründen nicht der Standard. In Kinos rund um die Welt wurden Orchester zum Beispiel durch die elektrisch-pneumatische Wurlitzer Kino-Orgel ersetzt, die The Mighty Wurlitzer genannt wurde. Sie war mit vielen Klangregistern, einem Effektregister und einem chromatischen Schlagwerk ausgestattet, sodass sich zur Musik die beliebten Geräuscheffekte einspielen ließen. Einer der bekanntesten Kino-Organisten ist Gaylord Carter, der seine Karriere in der Stummfilmzeit begann. Es gab außerdem das Orchestrion-artige elektrisch-pneumatische Klavier namens Fotoplayer. Der Fotoplayer konnte wie eine Violine oder Orgel klingen, und auch mit ihm ließen sich per Handzug oder Pedale Schlagzeuggeräusche und Toneffekte erzeugen. Je kleiner die Vorführungsstätte und weniger bedeutend die Filme, desto sparsamer fiel die Live-Musik aus. Entweder bestritt sie ein Kintopp-Pianist zusammen mit einem Stehgeiger oder allein. Wenn die Musiker nicht kamen oder verhindert waren, konnte man sich mit einem Harmonium oder einem elektrischen, selbst spielenden Klavier behelfen. Zuweilen wurde auch ein krächzendes Grammophon eingesetzt, das freilich nicht synchron auf den Film abgestimmt werden konnte. In den USA hatte man gegen Ende der Stummfilmzeit die so genannten Vitaphone-Platten mit vorproduzierter Musik und Geräuscheffekten entwickelt. Sie konnten einigermaßen synchron zu den Filmen abgespielt werden.

      Slapstickfilme aus der Stummfilmzeit wurden mit einer höheren Bildzahl pro Sekunde abgespielt, als sie gedreht worden waren. Das steigerte den komischen Effekt. Eine Unart war freilich, dass Kinobesitzer ab Anfang der 1920er-Jahre vor allem Filme des Beiprogramms, zu dem Slapstickfilme gehörten, mit einer entschieden zu hohen Geschwindigkeit vorführten. Auf diese Weise


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