Ein Garten zweier Welten. Gerhard Deiss

Ein Garten zweier Welten - Gerhard Deiss


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in seinem Inneren, selbst wenn er sich unter dem prächtigen Bougainvilleastrauch im Garten des Fremden anderen Gedanken hingab. Wie konnte ihm selbst dieser Garten ein Paradies sein, so wie es ihm seine Familie einreden wollte, wenn jenseits seiner Mauern Not und Elend herrschten? Aber auch wenn er nur von ähnlichen Gärten des vermeintlichen Glücks umgeben gewesen wäre, nie hätte er sich geistig oder körperlich dieses Glück zu eigen machen können. Doch die Vorstellung, mit Aischa ganz verbunden zu sein und sie umgekehrt auch mit ihm, war berauschend, wobei er sich gleichzeitig der Aussichtslosigkeit seiner Wünsche bewusst war. Mit ihr im Slum zu leben, ausgeschlossen von den vermeintlichen Gärten des Glücks, selbst das erschien ihm als ein unerreichbares Ziel.

      Der Tagtraum wich bald einer unangenehmen Erinnerung, die sich aus einem dunklen Hintergrund heraufdrängte. Nach der letzten Freitagspredigt waren sie zu ihm gekommen, Männer in schwarzen Anzügen, wie man sie noch nie in dieser Gegend gesehen hatte, und hatten ihn aufgefordert, mit ihnen mitzukommen. Unwillig und verängstigt war er in den kleinen Fiat eingestiegen, wo er eingezwängt zwischen zwei Bärtigen auf der hinteren Bank sitzend eine längere Fahrt auf sich nehmen musste. Am Rand der Stadt, dort, wo die abgewohnten Betonblocksiedlungen in Brachland und wilde Müllablagerungen übergingen, stiegen sie vor einem kleinen Café aus und gingen mit ihm in das dunkle Hinterzimmer, in dem er vor lauter Zigarettenrauch zunächst überhaupt nichts erkannte. Doch dann sprach aus den Rauchwolken heraus eine Stimme zu ihm.

      »Bruder, wir haben dich schon erwartet, denn ohne deine Mithilfe ist unser Plan nicht auszuführen. Gott ist groß und hat dich zu uns gesandt, damit wir die neue Stadt errichten können.«

      Hamid schwieg, auch wenn sein unsichtbarer Gesprächspartner offenbar auf eine Antwort von ihm wartete. Still war es in dem Raum, nur aus der Ferne war das Krähen eines Hahns zu hören und das Bellen der Hunde, die in den Müllbergen nach Nahrung suchten. Die Hitze im Raum war fast unerträglich und wurde in der Stille noch drückender. Da fasste ihn die Hand des bis dahin Unsichtbaren.

      »Die neue Stadt im neuen Reich, in der wir alle in Glück und Frieden wohnen, auch diejenigen, die bereits ins Paradies vorausgegangen sind. Der neue Staat in einer neuen Welt, denn wir werden uns diese untertan gemacht haben. Glaubenskrieger werden die Siege errungen haben. Wenn wir früher in offener Feldschlacht die Kreuzritter vertreiben und uns wieder den Orient zu eigen machen konnten, so werden wir auch jetzt die letzte Schlacht gegen die Ungläubigen gewinnen. Diese Schlacht hat schon begonnen und bereits das Leben vieler Feinde gefordert. Aber nicht immer können wir Flugzeuge einsetzen oder Atomreaktoren sprengen. In diesem Land muss gezielt die Regierung vernichtet werden, und wenn es nicht die gesamte auf einmal sein kann, dann ein Verräter unseres Glaubens nach dem anderen.«

      Der Mann schob eine Videokassette in das Gerät unter dem Fernseher, der neben ihm stand, und lud Hamid ein, sich zu setzen. Eingehüllt von religiösen Gesängen verfiel Hamid bald in einen Trancezustand, der auch anhielt, als aus dem Fernseher die Anleitungen zum Anlegen und zum Auslösen von Sprenggürteln ertönten. So musste es wohl auch sein, wenn Passagieren eines Flugzeugs das Anliegen der Sicherheitsgurte erklärt wird, wovon ihm sein Bruder erzählt hatte, nachdem er von seinem Flug zu den heiligen Stätten zurückgekommen war. Die Sicherheitsgurte für unseren Glauben, fielen ihm auch die Worte des Ibn Bakr ein, die dieser einmal verwendet hatte, als er darauf zu sprechen gekommen war, dass der Schutz des Glaubens wichtiger als der Schutz des Lebens sei, ja im Gegenteil, die Aufgabe des Letzteren oft für den Ersteren unabdingbar sei.

      Als das Band zu Ende war, schoben ihn die Unbekannten wieder ins Freie hinaus. Hamid war mit einem kleinen, aber schweren Paket, mit Packpapier umwickelt und fest verschnürt, und einer ersten mündlichen Anleitung, wie dessen Inhalt zu einem bestimmten Datum an einem bestimmten Ort zu verwenden sei, hinaus in die Welt geschickt worden. Weiteres würde folgen. Die Rückfahrt verlief wie die Hinfahrt, keiner sprach ein Wort, als sich der Wagen mit hoher Geschwindigkeit durch den bereits dichteren Verkehr zu drängen suchte.

      Die Sonne war höher gestiegen und bestrich den Garten fast zur Gänze mit ihrem heißen Licht. Hamid öffnete einen Wasserhahn und ließ Wasser durch die Gräben seitlich der Beete fließen, wo sich das schwache Rinnsal, mit Erde vermengt, bald zu Klumpen formte. Er stellte fest, dass die Wasserzufuhr wieder einmal abgesperrt worden war, was dieser Tage immer öfter vorkam, und nun ein wichtiger Teil seines Tagwerkes nicht ausgeführt werden konnte.

      Die morgendlichen melodiösen Stimmen waren nervösem Gezwitscher gewichen, als sich die zahlreichen Katzen, die diesen Garten als ihr Revier betrachteten, auf die Jagd machten und die auf taunassen Rasenstücken nach Würmern pickenden Vögel zu fangen suchten. Hamid verfolgte ihre Bemühungen mit Anspannung. Die starren Augen, auf die Beute gerichtet, erinnerten ihn plötzlich an Ibn Bakr. Schuldbewusst, sich solchen Gedanken hingegeben zu haben, riss sich Hamid zusammen, griff nach dem Spaten und begann seine Arbeit.

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