Dem dunklen Rächer verfallen. Inka Loreen Minden
Ladys standen bei ihm Schlange. Er hatte bereits mit einer jungen, wunderschönen Witwe geschlafen, so schlimm war es nicht gewesen. Doch es hatte nicht geholfen, seine krankhafte Neigung zu verdrängen, im Gegenteil. Die Nähe zu einer Frau hatte seine Sehnsucht nach rauen, kraftvollen Männerhänden, die ihn nicht mit Samthandschuhen anfassen würden, leider nur vergrößert. Aber er sehnte sich nicht nur nach Sex, sondern vor allem nach Geborgenheit und Liebe …
Wie versteinert blieb er stehen, als er in der Nähe eine Bewegung wahrnahm, und ließ nur seine Blicke schweifen. Vor ihm lag ein kleiner Platz, an dem sich alte Kisten und sonstiger Müll stapelten, den die Händler hier abgestellt und wohl vergessen hatten. Dahinter befand sich ein weiteres, fensterloses Lagerhaus aus Holz. Darauf schlich jemand zu!
Miles duckte sich und lief ein Stück weiter, um hinter einem halb zersplitterten Fass in Deckung zu gehen. Von seinem Versteck aus beobachtete er, wie sich ein Mann an der Tür zu schaffen machte. Zumindest ging Miles davon aus, dass es ein Mann war, denn er besaß breite Schultern, trug ein helles und etwas zu großes Hemd, das über der Hose hing, Stiefel und eine Kappe. Der Kerl hielt einen leeren Sack in der einen und eine Stange in der anderen Hand, mit der er versuchte, die seitliche Tür des Lagerhauses aufzubrechen. Dabei schaute er ständig über seine Schulter.
Ob das einer der Body Snatcher war, der einen neuen Unterschlupf auskundschaftete?
Miles wusste es nicht. Aber dieser Kerl hatte definitiv etwas zu verbergen!
Kaum hatte der Mann die Tür aufgebrochen und war hineingehuscht, verließ Miles sein Versteck, um geduckt und möglichst geräuschlos über den kleinen Platz zu eilen. Jetzt war er froh über das Mondlicht, denn nun konnte er den Gegenständen ausweichen. Doch leider würde der Kerl ihn dadurch sofort bemerken. Miles musste rasch handeln.
Er stellte sich neben die aufgezogene Tür und lugte hinein. Aber er erkannte nichts als Schwärze. Dafür hörte er leise Geräusche, wie metallisches Klappern und ein Schaben.
Der Einbrecher machte kein Licht. Entweder hatte der Mann ihn bemerkt und hoffte, Miles würde ihm folgen, damit er ihn in völliger Dunkelheit übermannen konnte, oder der Dieb kannte sich aus und wusste genau, wo es etwas zu holen gab. Miles blieb nichts anderes übrig, als draußen hinter der Tür zu warten.
Es dauerte keine Minute, da tauchte der Mann wieder auf. Gerade, als der Kerl die Tür zudrücken wollte, stieß dieser einen Fluch aus und drehte sich herum. Er hatte Miles gesehen! Doch der Dieb bekam keine Chance zur Flucht, Miles war schneller und stürzte sich von hinten auf ihn.
Sie gingen zu Boden, der gefüllte Sack landete scheppernd neben ihnen. Es klang, als würden sich Metallwaren darin befinden. Vielleicht Werkzeug, Silbergeschirr oder Konservendosen, die hier möglicherweise für die Armee und die Kriegsmarine gelagert wurden.
Der Mann war unglaublich flink und ließ Miles keine Chance, ihn auf dem Boden zu fixieren. Er wurde abgeschüttelt, der Kerl sprang auf – wobei er seine Kappe verlor – und wollte sich sein Diebesgut schnappen.
Da boxte ihm Miles seitlich in die Nieren.
Stöhnend und »Verdammter Hurensohn« murmelnd ging der Dieb auf die Knie.
Miles zögerte nicht länger: Er zog eines seiner Messer aus einem Stiefel und hielt es dem Fremden an den Hals. »Was suchst du hier? Gehörst du zu den Body Snatchern?«
»Zu wem?«, knurrte der Kerl ungehalten und blickte wütend zu ihm auf. Doch er würde Miles unter der Kapuze nicht erkennen können. Dafür sah er das Gesicht des Diebes umso besser. Es wirkte im Mondlicht jung, aber männlich, mit markanten Wangenknochen und einer geraden Nase. Die Haarfarbe konnte er nur raten: dunkelbraun oder schwarz. Einzelne Strähnen, die sich aus seinem am Nacken zusammengebundenen Haar gelöst hatten, reichten dem Dieb bis zum Kinn. Er war vielleicht zwanzig Jahre alt, eventuell ein wenig älter. Aber bestimmt zehn Jahre jünger als Miles – und einen Kopf kleiner als er. Der junge Mann sah kräftig aus – oder besser gesagt: nicht ausgehungert. Kein leichter Gegner. Doch er selbst fühlte sich großartig und trainierte viel. Der Kleine hätte wohl kaum eine Chance gegen ihn.
Der Dieb wich nicht zurück, zeigte keine Angst vor dem Messer. Stattdessen keuchte er überrascht auf und fragte erstaunt: »Bist du der dunkle Rächer?«
Verdammt! Er trug heute die Maske nicht. Der Kerl durfte sein Gesicht auf keinen Fall sehen! »Du hast meine Frage nicht beantwortet«, sagte Miles mit düsterer Stimme. »Was suchst du hier?«
»Nur das, was mir zusteht«, erwiderte der Bursche, jetzt wieder wütend, und ließ sich blitzschnell auf den Rücken fallen.
So entwischte er vielleicht Miles’ Klinge, aber nicht ihm selbst. Noch bevor der Kerl sich herumdrehen und davonlaufen konnte, warf Miles sich auf ihn und begrub den fremden Körper unter seinem.
Der Mann keuchte auf und rammte ihm die Faust gegen das Schulterblatt. Miles verlor sein Messer, doch er konnte beide Arme des Angreifers packen und neben dessen Kopf in den Staub pinnen. »Hör endlich auf, dich zu wehren, Kleiner. Du hast keine Chance gegen mich!«
»Weil du der dunkle Rächer bist?«, knurrte der junge Mann.
»Nein, verflucht!«, rief Miles.
»Schade«, murmelte der Bursche schwer atmend und grinste frech. Helle und einigermaßen gerade Zähne kamen zum Vorschein.
Verflixt, jetzt hatte der Kerl seine Aufmerksamkeit erregt. »Warum?«, fragte Miles möglichst kühl.
»Ich wäre ihm gerne mal begegnet. Er ist ein Held.«
Miles schnaubte. »Du verehrst ihn, obwohl du selbst ein Dieb bist?«
Die Lider des jungen Mannes verengten sich. »Der dunkle Rächer jagt die echten Verbrecher. Ich bin nur jemand, der sich geholt hat, was ihm zusteht.«
Sie maßen sich mit Blicken – wobei sich Miles sicher war, dass der Bursche ihn unter der Kapuze nicht wirklich erkennen konnte – und Miles musste fast die ganze Zeit auf dessen leicht geöffneten, sinnlich geschwungenen Mund starren. Eine feine Narbe zog sich durch die Unterlippe, und die keuchenden Atemzüge, die gegen Miles’ Kinn schlugen, bewirkten etwas in ihm. Etwas, das er jetzt absolut nicht gebrauchen konnte!
Der junge, muskulöse Körper, der sich immer noch leicht unter ihm wand, erregte ihn. Das war erbärmlich und fühlte sich falsch an … und doch so richtig.
Sein Herz raste – einmal noch wegen des Kampfes, aber auch aus anderen Gründen. Wild klopfte sein Puls bis tief in den Bauch.
»Was hast du jetzt mit mir vor, Fremder?«, fragte der Kerl herausfordernd. »Was wirst du tun?«
»Ich werde dich dem Commissioner übergeben.« Er überlegte, ob er das Bürschchen persönlich bis zum Gefängnis schleifen sollte. Meistens fesselte er die Verbrecher ordentlich und versteckte sie in der Nähe des Tatorts, um anschließend der Polizei einen anonymen Hinweis zu geben. Doch heute hatte er kein Seil dabei. Bestimmt würde Miles in dieser Gegend etwas finden, womit er den Kleinen verschnüren konnte. Aber er wollte ihn nicht wehrlos hier liegen lassen. Ihm könnte sonst etwas passieren. Doch im Gefängnis würde es ihm nicht besser ergehen. Dagegen war das Leben auf der Straße das Paradies.
Gerade als Miles den Kerl fragen wollte, was er überhaupt gestohlen hatte – um abzuschätzen, ob er ihn laufen lassen sollte –, fragte der frech: »Übergibst du deine Trophäen immer dem Commissioner, dunkler Rächer?«
Miles wollte protestieren und dem Kleinen erneut klarmachen, dass er sich irrte, als dieser einfach den Kopf hob, um die Lippen auf seinen Mund zu drücken.
Miles keuchte auf und erstarrte, völlig schockiert über den unerwarteten Angriff. Er ließ den Mann allerdings nicht los, sondern wollte zurückweichen. Aber er schaffte es nicht. Stattdessen senkte sich sein Kopf wie von allein tiefer, und Miles gab sich den überwältigenden Zärtlichkeiten hin. Der junge Mann wusste seine Zunge zu benutzen, verflucht!
Miles verlor sich in dem Mund des sündhaften Betörers, schnappte nach den weichen Lippen und stieß dem Dieb seine Zunge entgegen. Sie duellierten sich regelrecht, als wäre das