Dem dunklen Rächer verfallen. Inka Loreen Minden

Dem dunklen Rächer verfallen - Inka Loreen Minden


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an die Brust. »Himmel, haben Sie mich erschreckt!« Schnell machte sie einen Knicks. »Mylord.«

      »Miles!« Emily lächelte ihn offen an. Sie war die Einzige, die ihn bei seinem Vornamen nannte. »Warum spazierst du ganz allein durch den Garten? Ist alles in Ordnung?«

      »Natürlich.« Galant verbeugte er sich vor ihr und Claire. »Ich genieße nur ein wenig die Nachtluft.«

      Sie lachte. »Ich glaube eher, du bist auf der Flucht.«

      Kurz durchdrang es ihn heiß und kalt, bis er sich gewahr wurde, dass sie unmöglich etwas über sein geheimes Treffen mit Cole in der Bibliothek wissen konnte. Zu seiner Erleichterung setzte sie hinzu: »Die Ladys nehmen dich heute wohl wieder besonders in Beschlag?«

      Er grinste schief. »Ja, ich bin geflohen, du hast mich erwischt.«

      »Kein Wunder, du bist schließlich der begehrteste Junggeselle auf unserer Feier. Aber es darf nicht sein, dass du ganz allein hier draußen bist. Ich habe doch Lady Rowena Sauthersby versprochen, euch beide miteinander bekannt zu machen.«

      Er lächelte schelmisch, obwohl es ihm widerstrebte, dass es sich Emily an diesem Abend wohl zur Aufgabe gemacht hatte, ihn unter die Haube bringen zu wollen. Bereits am Tag zuvor hatte sie angedeutet, eine passende Frau für ihn zu finden.

      Emily zwinkerte. »Claire und ich werden natürlich in deiner Nähe bleiben, um sofort an deine Seite zu eilen, sollte ich an deinem Gesicht ablesen, dass dich Lady Sauthersby langweilt.«

      Miles schmunzelte und räusperte sich leise. »Dann wollen wir die Gute nicht warten lassen.« Auf diese Weise könnte er vielleicht auch Cole aus der Nähe beobachten.

      Er ging voran, und die beiden Frauen folgten ihm. Miles konnte der charmanten Emily einfach keinen Wunsch abschlagen und freute sich sehr für seinen Freund Hastings, dass er sie gefunden hatte. Er gönnte ihm sein Glück mit Emily von Herzen. Sie war gerade einmal sieben Jahre jünger als sein Freund, aber eine rothaarige Schönheit, die alle anderen Frauen in diesem Haus allein durch ihre Präsenz zu überstrahlen schien, dazu klug, redegewandt und großherzig. Sie hatte Hastings aus einem tiefen Loch geholt – in dem er, Miles, wohl für immer gefangen bleiben würde. Doch er wollte deshalb nicht den Kopf hängen lassen, schließlich war er ein Marquess, ihm fehlte es sonst an nichts. Cole hingegen … Verdammt, er bekam den jungen Mann einfach nicht aus seinen Gedanken.

      Natürlich hatte Miles längst versucht herauszufinden, ob seine Zuneigung zu Männern nur eine vorübergehende Laune der Natur war. Als junger Kerl an der Universität hatte er mit seinen Kommilitonen ständig über Frauen geredet und den jungen Damen bei Ausflügen in die Stadt schöne Augen gemacht. Den einen oder anderen Kuss hatte er sich auch von einer Bedienung der Dorfschänke oder einem Bauernmädchen gestohlen, allein schon deshalb, weil unter seinen Kameraden ein Wettstreit entbrannt war, wer am Jahresende die meisten Küsse auf seinem Konto zu verbuchen hatte. Die Burschen hatten ihn nie aus den Augen gelassen. Miles hingegen hatte die Jungs bereits damals interessanter gefunden. Beim Baden im See hatte er sie heimlich beobachtet und nachts von den knackigen Körpern geträumt. Es war die Hölle gewesen, seine Erregung zu verbergen, manchmal hatte nicht einmal mehr kaltes Wasser geholfen.

      Um sicherzugehen, dass er immer noch genauso empfand wie früher, hatte er vor ein paar Jahren mit der jungen, hübschen und recht freizügigen Witwe Elinor Hogarth geschlafen, die sich ihm auf einer Soiree regelrecht an den Hals geworfen hatte. Kurz hatte er überlegt, ob er sie zur Frau nehmen sollte. Doch allein die Vorstellung, jeden Morgen mit einer Frau an einem Tisch zu sitzen oder mit ihr das Bett teilen zu müssen, hatte sich für ihn völlig falsch angefühlt. Mit ihr intim zu werden, hatte erst geklappt, als er sich einen Männerkörper unter sich vorgestellt hatte, und der Akt war dadurch auf gewisse Weise sogar erregend für ihn gewesen – aber dennoch nicht das, was er für den Rest seines Lebens für sich wollte.

      Interessanterweise hatte das Abenteuer seinen Ruf als guter Liebhaber und Frauenversteher gefestigt, obwohl er im Grunde völlig unerfahren war, was Intimitäten anbelangte.

      Kaum hatte Miles den Salon durch die Terrassentür betreten, wehten ihm warme Luft und der Geruch von Essen sowie diverser Körperausdünstungen entgegen. Normalerweise machten ihm diese Düfte nichts aus, doch heute schlugen sie ihm auf den Magen. Vielleicht deshalb, weil Cole ihn mit Ignoranz strafte, sobald sich ihre Blicke kreuzten. Miles wollte nicht, dass der junge Mann ihn verachtete. Der kleine Dieb sollte ihm sogar dankbar sein, nicht den Job verloren zu haben! In Cole steckte anscheinend ein richtiger Rebell.

      Emily führte ihn schnell und sicher durch die Leute zu Lady Rowena Sauthersby. Die Siebzehnjährige war die erste Tochter eines Dukes und keine Schönheit im klassischen Sinne, weil sie mit ihrer mageren Figur und den viel zu fülligen Lippen nicht dem antiken, griechischen Ideal entsprach. Dennoch fand Miles sie mit ihrem vollen braunen Haar, der makellosen Haut und dem eher burschikosen Gesicht nett anzusehen. Er hatte nur das Beste von ihr gehört, sie aber bisher nie persönlich zu Gesicht bekommen, da sie erst vor Kurzem in die Gesellschaft eingeführt worden war. Verehrer schien sie genug zu haben, denn ihre Tanzkarte war bereits, bis auf einen Platz, voll, wie Emily mehrfach auf dem Weg durch den Garten betont hatte. Die Quadrille hatte die junge Frau jedoch extra für Lord Rochford freigehalten.

      Er würde wohl nicht umhin kommen, sowohl Lady Rowena Sauthersby als auch Emily diesen Wunsch zu erfüllen, und trug sich in die Karte ein, gleich nachdem er die junge Frau begrüßt hatte. Miles lächelte und nickte an den hoffentlich passenden Stellen, als sie ihm euphorisch etwas über Porzellanteller erzählte, die sie mit Blumenmotiven bemalte, denn er konnte sich kaum auf ihre Ausführungen konzentrieren. Ständig versuchte er, Cole zu erspähen, der die Gäste mit Getränken und Häppchen versorgte. Intensive grüne Augen funkelten ihn jedes Mal wütend an, wenn sich ihre Blicke trafen. Miles wollte dann immer grinsen, nur um den Mann zu ärgern. Doch natürlich hielt er sich bedeckt. Das Risiko, jemand könnte etwas über seine wahre Natur erfahren, war einfach zu groß.

      Nachdem er mit der jungen Lady die Quadrille getanzt hatte, war er leicht außer Atem und durstig. Deshalb holte er sowohl für sich als auch für seine Tanzpartnerin eine Limonade von Coles Tablett – wobei Miles ihn diesmal mit Nichtachtung strafte – und verabschiedete sich anschließend von ihr, um sich mit anderen Gästen zu unterhalten.

      Natürlich musste er sofort Emily Bericht erstatten und erklärte ihr, dass ihm Lady Rowena Sauthersby zu jung sei – obwohl sie sich im Grunde im besten heiratsfähigen Alter befand.

      Cole war bloß ein paar Jahre älter, doch seine Gesellschaft würde er definitiv bevorzugen. Bestimmt hatte er viele aufregende Geschichten zu erzählen, in denen es sich nicht ums Sticken oder Tellerbemalen drehte. Schade, dass Miles bis auf seinen Namen noch nichts von ihm wusste.

      So soll es auch bleiben, ermahnte er sich, aber der Kerl zog ihn an wie eine Jahrmarktsattraktion!

      Statt auf seine Vernunft zu hören, ertappte sich Miles dabei, sich ausgerechnet von Coles Tablett mit Köstlichkeiten zu versorgen. Das ist nur Hunger, redete er sich ein, während er sich mehrere Häppchen direkt vor Coles Augen genüsslich in den Mund schob und sie provokant langsam kaute. Beim letzten leckte er sich den Daumen ab und ignorierte Coles geradezu mörderischen Gesichtsausdruck.

      Das Spiel war so verboten wie erregend. Sie beide wussten, dass es längst nicht mehr um die kleinen Leckereien ging. An Coles Schläfe bildete sich eine Schweißperle, und er floh regelrecht aus dem Raum, als sein Tablett leer war.

      Enttäuscht schaute Miles ihm hinterher. Am liebsten hätte er Cole in der intimen Atmosphäre seines Schlafzimmers mit den Kanapees gefüttert, sie ihm direkt in den Mund geschoben. Bestimmt hatte der junge Mann nie zuvor so etwas Leckeres gekostet. Falls Cole ihn einmal besuchen würde, wollte er ihn verwöhnen so gut er konnte und dem Mann jeden Wunsch von den schönen Augen ablesen.

      Als Cole mit einem Tablett voller Champagnerkelche zurück in den Salon kam, begab er sich zielstrebig in eine entfernte Ecke, nicht ohne Miles einen vernichtenden Blick über die Menge hinweg zuzuwerfen.

      Der unterdrückte ein Grinsen. Plötzlich fühlte er sich unfassbar durstig. Gemächlich schlenderte er durch die Gäste, plauderte hier ein wenig und grüßte


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