Schlagfertig. Michael Traindt
Scheitern, vor der Bloßstellung oder sein Gesicht zu verlieren, berichten. Dieser Angst habe ich fast alles, was ich heute an meinem Beruf liebe, zu verdanken. Wenn oft Kunden oder Kundinnen zu mir sagen: »Herr Traindt, Sie sprechen einfach gern vor Menschen und können gar nicht verstehen, wie sich das anfühlt. Ihnen macht das Freude, für mich ist es wie eine Hinrichtung, wie eine Höllenangst«, so ist mir bewusst, was ich meinem achtjährigen Ich zu verdanken habe. Ich kenne das Gefühl sehr gut und aus Angst vor Buchstaben, die für mich oft keinen Sinn ergaben, wurde die Liebe zur Sprache, die Bedeutung und Kraft hat.
EINLEITUNG
Kennen Sie die Situation, dass Sie in einem Gespräch sind und persönlich verbal angegriffen werden, Ihnen aber nichts einfällt, was Sie darauf erwidern könnten? Sie haben zwar das Gefühl, »das ist jetzt nicht in Ordnung und ich sollte mich verteidigen«, und dennoch reagieren Sie nicht. Sie lassen sich angreifen. Später auf dem Heimweg – im Auto, in der U-Bahn – oder erst daheim im Wohnzimmer fällt Ihnen eine gute Reaktion ein, und Sie denken sich: »Warum fällt mir das erst jetzt ein und nicht dann, wenn ich es brauche? Es wäre doch so einfach gewesen!« Sollten Sie diese oder ähnliche Situationen kennen, dann habe ich dieses Buch für Sie geschrieben.
An alle, die das Gefühl kennen, »sprachlos« zu sein, und den Wunsch, »im Boden zu versinken«, und an alle, die an besseren beruflichen sowie privaten Gesprächen interessiert sind, richtet sich mein Buch.
Das Hauptziel ist es, zentrale Regeln aufzustellen, die in heiklen Gesprächen schützen und damit sachliche Kommunikation sowie inhaltliches Arbeiten ermöglichen. Wie bereits im Titel angekündigt, können diese Regeln aber nicht nur im Berufsleben wichtig sein, sondern auch im Privatleben – sei es in der Familie, im Freundes- oder Bekanntenkreis.
WAS IST SCHLAGFERTIGKEIT?
Im Wesentlichen gibt es zwei völlig unterschiedliche Arten von Schlagfertigkeit: Einerseits geht es um die Fähigkeit, schnell und mit passenden, treffenden, witzigen Worten auf etwas zu reagieren, und andererseits geht es darum, wie ich mich vor Untergriffen oder »blöden Sprüchen« schütze und eben nicht sprach- oder reaktionslos werde.
Die erste Variante der Schlagfertigkeit, also der humorvolle Umgang mit einer Situation, trifft für mich dann zu, wenn es sich nicht um ein heikles Gespräch handelt, sondern etwa ein Gespräch unter Freundinnen und Freunden oder mit guten Kolleginnen und Kollegen bei einem Kaffee. Die Stimmung sowie die Beziehung sind also prinzipiell gut oder sogar sehr gut. Es ist ein mehr oder weniger lustiges Scherzen, wobei der Respekt hier nie verloren geht.
Ich bin zum Beispiel Teil einer Reisegruppe von Freundinnen und Freunden aus meiner Studienzeit. Regelmäßig, um nicht zu sagen immer, machen sie sich über meine Eigenart lustig, dass ich überpünktlich am Bahnhof oder am Flughafen sein möchte. Mein Rekord liegt übrigens bei fünf Stunden vor Abflug am Flughafen zu erscheinen, und das für eine Strecke von Wien nach Barcelona. Sie dürfen gern an dieser Stelle lachen. Natürlich ist das leicht verrückt, und ich höre dann Sprüche wie: »Warum verbringst du nicht gleich die Nacht davor auf einer Bank am Flughafen, wenn es dir dort so gut gefällt?« Ich erwidere dann, dass für mich der Urlaub damit bereits fünf Stunden früher beginnt und ich in Ruhe ein Buch oder Zeitungen lese. Darauf höre ich: »Dafür haben wir drei Stunden länger geschlafen, aber gut, du arbeitest wohl an einem Rekord im Zu-früh-Sein, oder?« Ich entgegne, dass ich einen neuen Rekord sicher noch schaffe und mich auf den Tag freue, »an dem ihr alle zu spät kommt, und dann hat das Sich-über-mich-lustig-Machen ein Ende. Der frühe Vogel fängt den Wurm, und der frühe Michael erwischt den Kranich«1. Sie können sich vorstellen, wie dieses »Spiel« weitergeht. Ein Hin und Her, aber ohne böse Absicht. Dies ist jedoch nicht die Schlagfertigkeit, die ich in diesem Buch behandeln möchte. Vielmehr geht es im Folgenden um echte, persönliche Angriffe, die ein sachliches Arbeiten oder ein gutes sowie konstruktives Gespräch schwer oder sogar unmöglich machen.
Davon handelt die zweite Variante der Schlagfertigkeit, bei der es weniger um Humor und auch nicht zwingend um Schnelligkeit geht, sondern um die Abwehr von Angriffen. Unter einem persönlichen, verbalen Angriff versteht man einerseits einen Angriff mit Worten, der die klare Absicht hat, die Angesprochene oder den Angesprochenen zu irritieren, zu treffen oder zu kränken. Andererseits kann es sich um eine Aussage handeln, die verletzt, ohne dass diese Absicht vorhanden ist. In diesem Buch zeige ich Möglichkeiten auf, wie man sich solch einer unfairen Kommunikationsform entgegenstellen kann. Im Wesentlichen gibt es dafür zwei Arten: Entweder mit Gegenangriffen nach dem Motto »möge die oder der Stärkere gewinnen« oder konstruktiv. Ich möchte Ihnen die zentralen Elemente der konstruktiven Schlagfertigkeit näherbringen.
Die Regeln in diesem Werk haben nicht zum Ziel, dass ich bei Angriffen »witzig, schnell oder hart zurückschlagen« kann, sondern sollen im Kern die folgenden Fragen beantworten: Wie mache ich mich weniger angreifbar? Wie bleibe ich selbst auf der Sachebene? Wie kann ich meine Kommunikationsfähigkeiten in heiklen Gesprächssituationen verbessern? In meiner Praxis als Schlagfertigkeitstrainer und auch als Coach habe ich die Erfahrung gemacht, dass diese innere Haltung weit effektiver am Weg zu mehr Schlagfertigkeit oder mehr Reaktionssicherheit in heiklen Gesprächen ist als etwa das Auswendiglernen von Antwortphrasen oder witzigen Satzmustern, die meist weder witzig noch hilfreich sind.
Es wird im Folgenden nicht darum gehen, immer etwas zu kontern oder »nie mehr sprachlos« zu sein, sondern möglichst in jeder Situation eine angemessene Reaktion zu zeigen. Auch ein bewusstes Schweigen kann eine ausgezeichnete schlagfertige Reaktion sein. Für einen Angreifer oder eine Angreiferin ist es oft schlimmer, wenn man »das Spiel der Untergriffe« überhaupt nicht mitspielt. Es geht nicht darum, überhaupt etwas zu sagen, sondern im richtigen Zeitpunkt das Wesentliche zu artikulieren, um sein Gesprächsziel zu erreichen.
Mein persönlicher Zugang zum Thema
Damit Sie besser einordnen und verstehen können, welche Inhalte und vor allem welche Beispiele ich für dieses Buch ausgewählt habe, ist es hilfreich, wenn Sie meinen persönlichen Zugang zum Thema Schlagfertigkeit kennen. Ich habe dieses Buch so aufgebaut, dass ich folgende drei Bereiche meines Lebens miteinfließen lasse:
1)Die Sicht des Schlagfertigkeitstrainers und des Coaches: Es ist, wenn man so will, mein »täglich Brot«, mich mit den Untergriffen und Angriffen, die mir Kundinnen und Kunden in meinem Coachingraum berichten, auseinanderzusetzen und gemeinsam wirkungsvolle Strategien zu entwickeln. Ich werde viele Beispiele aus meiner Tätigkeit als Schlagfertigkeitstrainer und auch als Coach anführen. Die konkreten Praxisfälle sind aus Gründen der Vertraulichkeit selbstverständlich anonym und auf eine Weise verfremdet, dass die Anonymität meiner Kundinnen und Kunden garantiert ist. Die Kernaussagen und die gezogenen Lehren der Praxisbeispiele bleiben trotzdem vollkommen erhalten.
2)Die Sichtweise des Politiktrainers und Politologen: Neben meinem Studium der Politikwissenschaften in Kombination mit Rechtswissenschaften in Österreich und Großbritannien liegen meine Anfänge in der Kommunikation und Rhetorik ebenfalls in der Politik. Bis heute zählen Politikerinnen und Politiker zu meinen Kundinnen und Kunden. Daher bringe ich auch aus diesem Bereich Beispiele und versuche aufzuzeigen, welche Techniken wir daraus auch in privaten Situationen und beruflichen Kontexten wirkungsvoll anwenden können. Sie müssen also keine Politikerin oder Politiker sein, um für Ihr Leben etwas mitnehmen zu können. Auch die Vertraulichkeit meiner Kundinnen und Kunden aus dem Politbetrieb wird in diesem Buch geschützt, und auf Fragen bei Vorträgen, für wen konkret ich in dem Feld arbeite, antworte ich immer mit einem Lächeln: »Nur für die Guten.«
3)Die dritte Sichtweise ist eine sehr subjektive: Wie bereits die Anekdote im Vorwort zeigt, gibt es sehr persönliche Beweggründe, warum ich begonnen habe, mich mit Kommunikation und später konkret mit Schlagfertigkeit zu beschäftigen. Ich weiß selbst sehr gut, wie es sich anfühlt, »sprachlos« zu sein, und musste mir vieles im Bereich der Schlagfertigkeit für mein