Schlagfertig. Michael Traindt
so ergibt es an manchen Stellen jedoch nur Sinn, wenn ich zu Ihnen auch persönlich ehrlich bin, indem ich wahre Begebenheiten aus meinem Leben erzähle und wie ich heikle Situationen gemeistert habe oder auch, was mir weniger gut gelungen ist. Damit nun meine Familie sowie mein Freundes- und Bekanntenkreis nicht unnötig nervös werden an dieser Stelle, so kann ich beruhigen: Auch mein privates Umfeld habe ich beim Schreiben geschützt beziehungsweise in einigen Fällen direkt um Erlaubnis gefragt, ob ich bestimmte Beispiele ansprechen darf. Ich gehe daher in Bezugnahme auf den Buchtitel davon aus, dass auch ich selbst noch weitere Familienfeiern »zu überleben« habe und nach der Veröffentlichung nicht überall ausgeladen werde.
Mehr ein Zugang oder eine Haltung als eine Sichtweise ist der Ansatz, dieses Buch humorvoll und mit einem Augenzwinkern zu schreiben, wie Sie hoffentlich ohnehin bereits auf den ersten Seiten bemerkt haben. Ich nehme zwar mein Thema und die Anliegen meiner Kundinnen und Kunden sehr ernst, doch ist es mir genauso wichtig, mich selbst auch mal »auf die Schippe« – oder auf Österreichisch »auf die Schaufel« – zu nehmen. Über sich selbst lachen zu können und damit Selbstironie zuzulassen ist gerade im Bereich der Schlagfertigkeit wichtig, auch wenn mir beides mal mehr, mal weniger gelingt. Ob es in diesem Buch klappt, überlasse ich Ihrem Urteil.
Kann man Schlagfertigkeit lernen?
Häufig wird mir als Trainer oder Vortragender die Frage gestellt: »Kann man Schlagfertigkeit überhaupt erlernen?« Dieser Frage liegt eine österreichische Grundeinstellung, die ich aber auch in Deutschland schon gefunden habe, zugrunde: »Entweder man kann es, oder man kann es eben nicht.« Keine Frage, Talent hilft sicherlich, aber es ist, wie in vielen Bereichen, alles eine Sache der guten Vorbereitung und erfordert sehr viel Übung.
Der für mich weltbeste Tennisspieler Roger Federer wurde in London von zwei Touristen mit einer Straßenkarte in der Hand gefragt, wie man nach Wimbledon kommt. Er antwortete sofort und ohne zu überlegen: »Mit viel Training.«2
Letztlich sind die besten Sportlerinnen, die besten Musiker und auch die schlagfertigsten Menschen jene, die am gründlichsten vorbereitet sind. Roger Federer hätte nur aufgrund seines außergewöhnlichen Talents niemals achtmal das Grand-Slam-Turnier in Wimbledon gewonnen. Es war die Kombination aus Talent und konsequentem sowie klugem Training. Klug deswegen, weil er sonst wohl kaum mit 40 noch Bestleistungen hätte abrufen können, und genau um diese Langfristigkeit geht es auch im Bereich Schlagfertigkeit: Es reicht eben nicht, einmal gut zu reagieren, um beruflich oder privat nachhaltig erfolgreich zu sein und persönliche Angriffe abzuwehren.
Ein Zitat von Keith Nelson, dem Leiter meiner Coachingausbildung in Großbritannien, ist mir noch immer sehr gut in Erinnerung:
»Die meisten Menschen überschätzen, was sie in einem halben Jahr erreichen können, aber sie unterschätzen, was sie in zwei, drei oder fünf Jahren schaffen können.«
Schlagfertiger werden braucht Zeit und ist ein Prozess. Das Lesen eines Buches ist ein guter Start, das Besuchen eines Seminars ebenso, die wirkliche Arbeit folgt aber in der Regel erst danach, in Ihrem beruflichen oder privaten Leben. Die gute Nachricht ist also: Sie können ganz sicher schlagfertiger und souveräner in heiklen Gesprächen werden. Die vielleicht schlechte Nachricht: Es braucht Übung.
Die schlagfertigsten Menschen sind jene, die am besten vorbereitet sind!
Ein Musiker wurde gefragt, wie er einen so schnellen und überraschenden Erfolg landen konnte, und seine Antwort war: »Ich habe mein ganzes Leben lang hart geübt, um dann über Nacht berühmt zu werden.« Es geht gerade bei der Schlagfertigkeit um die Vorbereitung, das »Nicht-überrascht-Werden«. Erfolg sowie auch die richtige Reaktion sind meist keine Überraschung, sondern alles, was vor dem Durchbruch, wie im Beispiel des Musikers, passiert ist, oder im Bereich der Schlagfertigkeit alles, was die Kommunikationsfähigkeiten bereits vor dem persönlichen Untergriff geschärft hat. Dies ist auch der Grund, warum sich letztlich alle Regeln in diesem Buch mehr oder weniger mit der Vorbereitung auf Gespräche beschäftigen. Vorbereitung ist (fast) alles!
Weil die Vorbereitung so wichtig ist, stelle ich ausgewählte Vorbereitungsschritte für herausfordernde Gespräche an den Anfang des Buches. Es sind Schritte, die in der Praxis die größte Wirkung erzielt haben.
Vorbereitungsschritt 1: Die Beweggründe des Angreifers oder der Angreiferin verstehen
Die erste Frage guter Vorbereitung für schlagfertige Situationen ist: Warum greift man uns überhaupt persönlich an? Eine Antwort ist stets: »Weil sie oder er es kann«, zum Beispiel aufgrund von Position und Macht im Unternehmen oder aufgrund der Stellung innerhalb der Familie. Ein Zeichen von Stärke ist es aber nie, denn ich kann sachlich klar sowie durchaus auch hart sein und trotzdem respektvoll. Hinter persönlichen Angriffen stecken oft inhaltliche oder individuelle Schwächen. Ein Bereichsleiter oder eine Geschäftsführerin stehen zum Beispiel im unternehmerischen Handeln sehr unter Druck und sind unter Umständen auch fachlich nicht so im Detail involviert wie eine Mitarbeiterin, die sie dann im Gespräch persönlich angreifen nach dem Motto: »Angriff ist die beste Verteidigung.« Ich will damit nichts entschuldigen, aber für die Angreiferin oder den Angreifer ergibt eine Provokation in der konkreten Situation durchaus Sinn, zumindest kurzfristig: Ein Angriff lenkt von den eigenen Schwächen ab, ein Angriff stärkt zunächst scheinbar die eigene Position, ein Angriff lässt den Angreifer kurzfristig als Sieger erscheinen, ein Angriff vermittelt erst mal Durchsetzungsstärke im Sinne von »die traut sich aber etwas« oder »der ist wirklich bereit, seine inhaltliche Position mit allen Mitteln durchzusetzen«, und diese Liste ließe sich noch weiter fortsetzen. Eines aber ist klar: Für besondere Souveränität sprechen persönliche Angriffe in keinem Fall.
Unsere Gesprächspartnerin oder unser Gesprächspartner möchte mit einem persönlichen Angriff sehr häufig an unserem Selbstwert kratzen, sodass wir die Selbstkontrolle verlieren und damit womöglich auch unser Ziel und die Sache, um die es im Gespräch oder in der Verhandlung geht. Wir sollen aus der Bahn geworfen werden, damit wir zum Beispiel schneller inhaltlich einlenken oder schlicht, damit sich der Angreifer oder die Angreiferin auf unsere Kosten überlegen und besser fühlt.
In einem meiner Studentenjobs arbeitete ich als Platzzuweiser im Wiener Ernst-Happel-Stadion bei einem Fußballspiel. Unter anderem hatte ich es mit Prominenten zu tun, sogenannte A-, B- und C-Promis. Während in die Kategorie A und B jene Menschen fallen, die Außergewöhnliches leisten oder geleistet haben, sind die der Kategorie C oft jene, denen dieser Erfolg bisher verwehrt wurde, um es diplomatisch zu formulieren. Sämtliche A- und B-Prominenz begegnete mir sehr respektvoll und unterhielt sich mit mir auf Augenhöhe, während so mancher C-Prominente mich hatte spüren lassen, dass ich »nur der kleine Student« war. Besonders ein Herr behandelte mich richtig von oben herab, er griff mich persönlich an und erhöhte sich damit scheinbar auf meine Kosten. Die Pointe ist, dass genau jener C-Prominente vor wenigen Jahren bei mir ein Seminar besuchte. Er erkannte mich natürlich nicht wieder, und ich sprach ihn auch nicht darauf an, aber innerlich freute ich mich schon sehr. Warum erzähle ich diese Anekdote? Es ist für mich ein Beweis, dass persönliche Angriffe nach dem Motto »weil er oder sie es eben kann« nicht für Souveränität sprechen und sich der Spruch »man trifft sich immer zweimal im Leben« tatsächlich oft bewahrheitet.
Es kann bereits eine große Erleichterung sein zu verstehen, was die Beweggründe für einen Angriff gegen uns sind. Es hat sehr häufig nichts mit uns selbst zu tun, sondern vielmehr mit dem Angreifer oder der Angreiferin. Da die Motive für einen Untergriff in der Regel nicht aus einer Position der Stärke und Souveränität kommen, ist es ein lohnender Schritt zu hinterfragen: Warum greift mich ein Kollege, meine Chefin oder ein Familienmitglied an? Was ist sein oder ihr Grund dafür?
Vorbereitungsschritt 2: Klare Gesprächsziele definieren
Vor allem vor wichtigen Gesprächen, bei denen