Ende gut, alles gut. u.a.
hat für sie nicht direkt eine Bedeutung. Jedenfalls keine positive.«
»Ich weiß.« Lindsay Ann nickte. »Aber ich bin nicht ihre Mutter, nur ihre Schwiegermutter. Ich habe noch nie von ihr verlangt, dass sie Mutter zu mir sagt. Dennoch gehört es sich einfach, dass man Weihnachten mit der Familie verbringt. Ist ja nicht so, dass sie Flaschen sammeln müsste, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie verdient genug. Und du hast auch dein Auskommen. Mehr als das. Also gibt es keinen Grund, an einem Feiertag zu arbeiten. Vor allem nicht an diesem Feiertag.«
»Aber was soll ich machen, wenn sie nicht will?«, fragte Cindy und biss sich auf die Unterlippe.
Kurz schien ihre Mutter zu überlegen. »Ich glaube, sie hat Angst«, sagte sie dann.
»Michelle? Angst?« Verblüfft lachte Cindy auf. »Höchstens die, ihren Job zu verlieren«, ergänzte sie in Erinnerung an all das, was geschehen war. »Und die Gefahr besteht nicht mehr. Seit wir das mit dem Brand damals geklärt haben, sitzt sie sehr fest im Sattel.«
Lindsay Ann schüttelte den Kopf. »Auch wenn ihr Job immer ihr Leben war, aber ich glaube nicht, dass das das ist, was ihr am meisten Angst macht im Leben«, sagte sie. »Nach allem, was du mir erzählt hast, hat sie vor allem Angst vor Gefühlen. Und da ist Weihnachten natürlich ganz besonders gefährlich.«
Nachdem sie sich das kurz hatte durch den Kopf gehen lassen, nickte Cindy nachdenklich. »Damit könntest du recht haben. Es ist jedes Mal ein Kampf mit ihr, wenn es um Gefühle geht. Obwohl sie sie hat.« Um Verständnis flehend schaute sie ihre Mutter an. »Sie hat sie. Ganz bestimmt, Mum. Das hat sie mir schon oft gezeigt. Aber wenn andere Leute dabei sind . . .«
»Und ich bin natürlich andere Leute. Für sie.« Scheinbar resigniert atmete Lindsay Ann durch. »Da muss man mal überlegen . . .«
Cindy kannte ihre Mutter gut genug, um zu wissen, dass sie sich nie so schnell geschlagen geben würde. Nicht, wenn es um die Familie ging. »Warum?«, fragte sie deshalb vorsichtig. »Was hast du vor?« Sie wartete kurz auf eine Antwort, die nicht kam. »Was denkst du gerade?«, fügte sie aus diesem Grund jetzt doch etwas alarmiert hinzu.
»Oh, mir geht so einiges durch den Kopf.« Lindsay Ann tat ziemlich harmlos, aber Cindy wusste, dass nichts, was jetzt in ihrem Kopf vor sich ging, harmlos war. Nicht für Michelle.
»Bitte, Mum . . .« Cindy fühlte sich hin und her gerissen, denn sie wusste, dass alles, was ihre Mutter jetzt dachte, darauf hinauslief, doch noch ein schönes Weihnachtsfest zu haben. Mit Michelle.
Gleichzeitig wusste sie, dass Michelle einen Wutanfall kriegen würde, wenn sie herausfand, dass sie manipuliert worden war. Das liebte sie gar nicht. Nein, das war zu schwach ausgedrückt. Sie hasste es.
»Du musst das verstehen . . .«, setzte sie erneut vorsichtig an.
Aber sofort wurde sie von ihrer Mutter unterbrochen. »Ich verstehe das durchaus.« Lindsay Ann schürzte die Lippen. »Aber ich unterstütze so etwas nicht. Manche Leute müssen eben zu ihrem Glück gezwungen werden. Und ich denke, Michelle gehört dazu.« Leicht bedauernd verzog sie das Gesicht. »Weil sie anscheinend immer noch nicht wirklich weiß, was Glück ist.« Gleich darauf wandelte sich ihr Gesichtsausdruck jedoch wieder und wurde geradezu spitzbübisch. »In der Beziehung ist sie glaube ich tatsächlich wie ein Mann. Die muss man auch manchmal in die richtige Richtung schubsen. Sie dürfen es nur nicht merken.« Sie grinste fast wie ein Teenager, der sich einen Streich ausgedacht hat.
Ablehnend schüttelte Cindy den Kopf. »Ich will nicht unehrlich zu ihr sein, Mum. Das verträgt sie nicht. Ganz und gar nicht.« Sie holte tief durchatmend Luft. »Man weiß nie, was dann passiert.«
Kurz schaute ihre Mutter besorgt, doch dann lachte sie. »Sie hat dich schon ziemlich gut erzogen, hm? Du bemühst dich immer, sie wie ein rohes Ei zu behandeln. Aber glaub mir, das ist nicht nötig. Sie hat eine ganz schön harte Schale. Auch wenn das Innere butterweich ist.« Ihre Mundwinkel zuckten. »Kommt öfter vor. Du bist nicht die erste Frau, die damit zu kämpfen hat. Aber auf die Dauer ist es ziemlich anstrengend, jedes Wort auf die Goldwaage zu legen und so einen Eiertanz aufzuführen. Deshalb solltest du da jetzt schon einen Riegel vorschieben. Sonst hast du in deiner ganzen Ehe damit zu tun. Und das ist nicht schön.«
Cindy schnappte nach Luft. »Du willst mir doch nicht etwa erzählen, dass Dad –?«
Ihre Mutter schüttelte den Kopf. »Nein, nicht dein Dad. Aber ist dir schon mal in den Sinn gekommen, dass dein Vater nicht der einzige Mann war, den ich näher gekannt habe?«
»Mum!« Der Ausruf entfuhr Cindy unvermittelt, ohne dass sie es wollte.
Gespielt missbilligend schüttelte Lindsay Ann den Kopf. »Ts, ts. Ihr Kinder immer . . . Selbst die tollsten Sachen veranstalten, aber wir Eltern sollen die reinsten Engel gewesen sein, als wir jung waren? Findest du das nicht ein bisschen unlogisch?«
Das musste Cindy zwar zugeben, aber trotzdem konnte sie sich ihre Mutter nicht als eine wilde Peggy Sue vorstellen.
Lindsay Ann beobachtete ihr Gesicht und lachte dann ganz laut auf. »Du müsstest jetzt mal dein Gesicht sehen. Nein, ich habe kein ›kleines schwarzes Buch‹.« Sie schüttelte erneut den Kopf, wurde dabei jedoch wieder ernst. »Aber ich habe leider die eine oder andere Freundin, Bekannte, Nachbarin gehabt, die sich da sehr vertan hat. Und das hatte höchst unangenehme Folgen.« Besänftigend hob sie die Hände, als sie sah, wie Cindy die Lippen öffnete, um zu widersprechen. »Ich will ja gar nicht behaupten, dass Michelle so ist. Aber wie ich schon erwähnte, mein Rat ist: Wehret den Anfängen. Das ist immer das Beste.«
So grundsätzlich konnte Cindy dem kaum widersprechen. Das war eine immer gültige Wahrheit. »Ich möchte einfach nur ein schönes Weihnachtsfest haben«, murmelte sie etwas selbstvergessen vor sich hin. »Mit meiner Frau. Ist das denn zu viel verlangt?«
Lindsay Ann lachte. »Selbstverständlich ist das nicht zu viel verlangt.«
Cindy zuckte fast zusammen, weil sie mehr zu sich selbst gesprochen hatte als zu ihrer Mutter und jetzt beinah überrascht war, dass sie ihr antwortete. »Ich wusste, wie sie ist, als ich sie geheiratet habe«, seufzte sie. »Wenn ich ein Heimchen am Herd hätte haben wollen, hätte ich jemand anderen heiraten müssen.«
»Ihr habt schon so viel miteinander durchgemacht.« Lächelnd betrachtete Lindsay Ann ihre Tochter auf dem Bildschirm des PCs vor sich, an dem sie saß. »Da wird jetzt doch Weihnachten nicht das piece de resistance sein, das ihr nicht zusammen genießen könnt.«
»Ach Mum . . .« Bis jetzt hatte Cindy gestanden, während sie mit ihrer Mutter telefonierte, nun ließ sie sich auf die Couch fallen und hielt das Handy über sich in die Luft. »Vielleicht war ich doch zu . . . naiv.« Sie seufzte erneut. »Ich glaube, niemand, der nicht das durchgemacht hat, was sie in ihrer Kindheit durchgemacht hat, als sie aufgewachsen ist, kann das nachempfinden. Und ich bin nicht so aufgewachsen. Noch nicht mal ansatzweise. Ganz im Gegenteil.«
Ihre Mutter atmete tief durch. »Da bin ich natürlich auch überfragt. Ich weiß aber, dass das langwierige Folgen haben kann. Selbst wenn man so erfolgreich ist wie Michelle. So richtig bekommt man das wohl sein Leben lang nicht mehr los.«
»Sie tut immer so, als hätte sie alles im Griff, aber in Wirklichkeit ist sie glaube ich sehr . . . verunsichert«, stellte Cindy bedrückt fest. »Sie kämpft ständig dagegen an, und das kostet sie sehr viel Kraft. Die ihr dann in anderen Dingen fehlt.«
»In Gefühlsdingen zum Beispiel«, vermutete Lindsay Ann, ohne dass es eine Frage war.
Dazu konnte Cindy noch nicht einmal etwas sagen, denn plötzlich hatte sie einen Kloß im Hals. »Ich liebe sie so, Mum«, brachte sie dann tränenerstickt hervor. »Und ich bin glücklich mit ihr. Sie ist alles, was ich will. Aber manchmal habe ich das Gefühl –« Sie brach ab, sonst hätte sie ein Schluchzen nicht mehr zurückhalten können.
Ihre Mutter verstand sie sofort. »Manchmal hast du das Gefühl, dass du nicht alles bist, was sie will«, setzte sie den Satz mit einem mitfühlenden Nicken fort. »Sie würde für dich niemals ihren Job aufgeben. Das