Ende gut, alles gut. u.a.

Ende gut, alles gut - u.a.


Скачать книгу
eine ruhige Ecke«, antwortete Michelle, als hätte ihr das jemand eingegeben.

      »South Pointe Park?« Er hob die Augenbrauen und sah sie über den Spiegel an. »Oder nicht doch lieber Shopping? Ocean Drive?«

      »Park klingt gut. Wenn es da ruhig ist«, gab Michelle zurück.

      »Okay.« Er wandte seinen Blick in Richtung des Seitenspiegels, schaute nach hinten und fuhr los.

      Während der Fahrt sah Michelle zwar durch das Fenster hinaus, aber in Wirklichkeit sah sie nichts. Und sie blickte auch nicht auf ihr Handy oder Tablet, wie sie es normalerweise tat, wenn ihre Chauffeurin sie fuhr oder sie in einer fremden Stadt in irgendeinem Taxi saß auf dem Weg zu einer geschäftlichen Konferenz oder Besprechung.

      Nein, geschäftlich war das hier nicht. Es war eindeutig privat. Sehr privat.

      Dieser private Teil ihres Lebens hatte massiv zugenommen, seit sie mit Cindy verheiratet war. Und er hatte schon vorher zugenommen, eigentlich fast schon seit dem Moment, als sie Cindy kennengelernt hatte. Spätestens aber, seit Cindy nach Disney World gekommen war. Erst jetzt erkannte sie, dass das ihr Leben praktisch auf den Kopf gestellt hatte. Weit mehr als jede von Keith’ Intrigen oder alle Angriffe, die sie beruflich hatte abwehren müssen.

      Denn so sehr sie sich innerlich auch gewehrt hatte, sich auf eine private Beziehung, die über reinen Sex hinausging, einzulassen, äußerlich hatte es keinen Grund gegeben, Cindy abzuwehren. Sie war viel zu sanft und verständnisvoll, um so etwas herauszufordern.

      Ja, es hatte Momente gegeben . . . Damals mit LaVerne McNamara zum Beispiel . . . Aber das war etwas anderes gewesen. Immer, wenn es um sie beide gegangen war, hatte Cindy eine unendliche Geduld bewiesen.

      »Wir sind da, Lady.« Der Taxifahrer blickte erst in den Spiegel, dann drehte er sich über die Schulter zu Michelle um, als sie nicht reagierte. »Hey. Wir sind da. Hier wollten Sie doch hin. South Pointe Park. Oder jetzt doch nicht?«

      »Doch. Natürlich.« Er hatte sie so aus ihren Gedanken gerissen, dass sie ihm nur ihre Kreditkarte reichte und ausstieg.

      »Hey! Soll ich die behalten?« Er ließ das Fenster herunterfahren und streckte seinen Arm hinaus.

      Sie schüttelte den Kopf, ging wieder zum Wagen zurück und nahm die Karte. »Zwanzig Prozent Trinkgeld haben Sie schon mit eingezogen?«

      »Nope.« Er streckte seine Hand wieder aus, nahm die Karte erneut und reichte sie Michelle kurz darauf wieder hinaus. »Danke, Lady.« Das erste Mal wirkte er etwas freundlicher. »Schönen Tag noch. Und . . . Frohe Weihnachten.« Die Seitenscheibe fuhr noch hoch, um die Kühle der Klimaanlage im Innenraum zu halten, während er sich schon auf die Straße einfädelte.

      »Frohe Weihnachten«, murmelte Michelle auch, aber das konnte er selbstverständlich nicht mehr hören.

      Zwar betrug die Lufttemperatur 26 Grad, wie sie an den hier aufgestellten Säulen ablesen konnte, die Wassertemperatur jedoch nur 22. Ein bisschen kalt zum Baden. Aber deshalb war sie ja auch nicht hergekommen. Obwohl sich einige Touristen, die aus Europa wahrscheinlich kälteres Wetter um diese Jahreszeit gewöhnt waren, johlend im Wasser tummelten.

      Es waren jedoch so wenige, dass der Lärm nicht störte. Aus dieser Entfernung wirkte er fast nur wie ein mildes, kaum zu identifizierendes Hintergrundrauschen. Der Taxifahrer hatte ihren Wunsch beachtet und sie tatsächlich an eine ruhige Ecke gebracht. Schon indem sie ein paar Schritte in den Park hineinging, quer über den grünen Rasen und unter den Palmen hindurch, merkte sie das.

      Es war selten, dass sie Zeit hatte, sich ihren Gedanken zu widmen. Ihren privaten Gedanken wiederum, denn im geschäftlichen Bereich nahm sie sich die Zeit. Einfach, weil es sein musste. Man musste Lösungen finden für Probleme, die sich jeden Tag stellten. Zehntausende von Mitarbeitern und Millionen von Besuchern sorgten dafür, dass sich das nie änderte.

      Deshalb war diese plötzliche Ruhe ungewohnt. Sie wurde fast nervös davon. Langsam schlenderte sie weiter und blieb dann an einer Art Aussichtspunkt stehen, von wo man den Strand, ankommende und abfahrende Schiffe und dahinter das weite Meer in all seiner Unendlichkeit sehen konnte. Das Meer hatte sie in Kalifornien auch, aber sie stellte wieder einmal fest, dass es hier an der Ostküste und zudem noch im Süden, nur einen Katzensprung entfernt von den Bahamas, völlig anders war als im vom Smog erdrückten Los Angeles.

      Das ergab sich jedoch schon aus der Natur der Sache, denn Kalifornien grenzte an den Pazifik, den sogenannten Stillen Ozean, und Florida an den Atlantik. Dennoch war es in Kalifornien nicht still und hier nicht wilder. Wenn nicht gerade ein Hurricane tobte. Im Gegenteil, in diesem Moment kam sie sich so vor, als wäre sie im Auge des Sturms gelandet, in dem es absolut ruhig war.

      Es gab jedoch gar keinen Sturm und demgemäß auch kein Auge, jedenfalls nicht, wenn man die äußeren Wetterbedingungen betrachtete. Die Wetterbedingungen in ihrem Inneren – das war eine ganz andere Geschichte. Sich mit ihren Gefühlen zu beschäftigen war ihr immer noch fremd. Lösungen für Probleme zu finden war ihr wesentlich vertrauter. Und da fühlte sie sich auch mehr auf der sicheren Seite, denn damit kannte sie sich aus.

      Zudem gab es auch immer eine Lösung, man musste sie nur finden. In Gefühlsdingen war das nicht unbedingt der Fall. Dort konnte es auch einfach nur darum gehen, darüber zu reden. Ohne dass man nach einer Stunde – oder auch nach vier Stunden – auch nur einen Schritt weiter war. Merkwürdigerweise befriedigte das die meisten Frauen durchaus.

      Michelle war aber nicht so. Was hatte sie also hierhergetrieben? Was erwartete sie überhaupt davon, dass sie hergekommen war? Wäre es nicht besser gewesen, einfach zu akzeptieren, dass Cindy und sie unterschiedliche Vorstellungen davon hatten, wie man Weihnachten feierte – beziehungsweise nicht feierte? Sich also darüber zu einigen, dass man sich nicht einig war?

      Sie atmete tief durch und sog die feuchte Meeresluft wie ein Lebenselixier, das sie jetzt unbedingt brauchte, in ihre Lungen ein. Ihr war ganz klar, sie suchte immer noch nach einer Lösung, und dabei konnte sie noch nicht einmal so richtig das Problem benennen. Sicherlich, sie hatte bis jetzt noch nicht viel Erfahrung als Ehefrau. Aber musste eine Ehe es nicht auch einmal aushalten, dass man verschiedener Meinung war?

      Eine Weile starrte sie übers Meer, und als ob sich dadurch, dass der Himmel blau und klar über ihr schwebte, auch in ihrem Inneren etwas klärte, kamen ihr plötzlich Gedanken, die sie so noch nie gehabt hatte. Zum Beispiel dieser: Sie hatte Cindy nicht zugehört.

      Ihre Stirn runzelte sich ganz von selbst, als sie das dachte. Langsam kam ihr zumindest ein Teil des Problems zu Bewusstsein. Statt den Vorschlag ihrer eigenen Frau sofort abzuschmettern, weil er nicht zu ihrer üblichen Routine passte, zu dem, was sie gewöhnt war und auch für notwendig hielt, hätte sie mit Cindy darüber reden sollen. Vielleicht hätten sie dann eine Lösung gefunden, die zu ihnen beiden passte.

      Aber das wäre auf jeden Fall ein Kompromiss gewesen. Und sie hasste Kompromisse.

      Da sie es sich nicht hatte nehmen lassen, am Morgen – oder eher halb in der Nacht, bis die Sonne kaum aufgegangen war – noch ein paar Stunden im Büro zu verbringen und erst danach abgeflogen war, neigte sich der Tag nun bereits seinem Ende zu. Der Sonnenuntergang fand um diese Jahreszeit immer so gegen halb sechs statt, das wusste sie noch sehr gut aus ihrer Zeit in Orlando. In Los Angeles ging die Sonne noch früher unter, und so hatte sie durch ihren Flug nach Südosten sogar eine gute Dreiviertelstunde mehr Sonnenlicht gewonnen.

      Woran ihr im Moment allerdings nicht sehr viel lag. Die wenigen Menschen, die sich bis vor kurzem noch im Wasser getummelt hatten, und auch die paar, die hier mit einem Segway durch den Park gefahren oder eher lautlos geglitten waren, schienen wie auf einen Schlag verschwunden. Auf einmal herrschte eine fast gespenstische Ruhe, als wäre dies hier wirklich das Ende der Welt, das niemand erreichen konnte.

      Der Sonnenuntergang war fantastisch, aber das bekam sie kaum mit, weil sie immer noch zu sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt war. Es war noch zu früh, um in den Club zu gehen. Da würde jetzt noch nichts los sein. Wahrscheinlich war er noch nicht einmal auf.

      Was sie sich jedoch fragte, war: Was würde später


Скачать книгу