Ende gut, alles gut. u.a.
weil sie sich nicht ganz sicher war, was Chris mit diesem Ruf meinte, und nicht darüber diskutieren wollte. »Was ist nun mit den Sicherheitsmaßnahmen?«
»Wer wird hier übernehmen, solange du in Florida bist?« Chris beugte sich herunter und zeigte auf einen Punkt auf dem Bildschirm, als hätte er irgendetwas mit ihrer Frage zu tun.
»Solange ich in Florida bin?« Das war Michelle ja ganz neu. Wo kam denn diese Vermutung her?
»Na ja, Cindy ist ja schon unten. Und ihre Mutter lebt doch dort. Also . . . ihr seid doch . . . eine Familie.« Ganz erstaunt blickte Chris sie an. »Deshalb bin ich natürlich davon ausgegangen –«
Ungläubig schüttelte Michelle den Kopf. »Anscheinend geht jeder davon aus. Aber das habe ich nie gesagt. Ich bin immer bei der Arbeit an Weihnachten. Das war noch nie anders.«
»Du warst vorher aber auch noch nie verheiratet.« Diese nüchterne Feststellung machte Chris so, wie sie auch schon als Polizistin die Dinge immer von der Faktenseite her betrachtet hatte. Wenn es nicht gerade um Sheryl ging . . .
»Das scheint ein entscheidender Punkt zu sein.« Michelle seufzte.
»Siehst du das nicht so?« Nun runzelte Chris verständnislos die Stirn. »Willst du nicht mit Cindy zusammensein an Weihnachten?«
So hatte Michelle sich die Frage eigentlich noch nie gestellt. Ob sie das wollte. Nach ihren Wünschen ging es hier nicht. Es ging darum, was getan werden musste.
»Der Flug nach Miami ist eine Tagesreise«, sagte sie. »Einmal quer über den Kontinent von der Westküste in den äußersten Südosten.«
Chris zuckte mit einer einzelnen Augenbraue. »Soll das jetzt ein Argument sein?«
Nein, es war nur eine Ausrede, das wusste Michelle selbst. Aber das hätte sie nie laut gesagt. Sie war sich vieler Dinge bewusst, ohne sie auszusprechen. Auch wenn es keine Geheimnisse waren, behielt sie vieles lieber für sich. Eine alte Gewohnheit aus Kindertagen, als es ohnehin keinen Sinn gehabt hatte, etwas zu sagen, um etwas zu bitten oder sich zu beklagen.
Und ehrlich gesagt hatte ihr das im Geschäftsleben auch schon sehr oft geholfen. Je weniger das Gegenüber wusste, desto besser. Je weniger irgendjemand wusste . . .
Wutanfälle – ja, so konnte man seine Gefühle schon zeigen. Das schüchterte die Leute ein und brachte sie dazu, das zu tun, was man wollte. Was auch immer sie in so einem Wutanfall von sich gegeben hatte, das bedeutete gar nichts. Und das verriet auch nichts von ihren innersten Gefühlen. Von ihren wirklichen Gefühlen. Es war ungefährlich.
»Und wieder zurück«, setzte sie hinzu. »Das sind schon zwei Tage. Aber nur«, sie verzog das Gesicht, »wenn ich gleich wieder umkehre.«
»Das heißt, da ist die Weihnachtsfeier noch nicht drin.« Chris gab es auf, das Thema Sicherheitsmaßnahmen noch einmal auf den Tisch zu bringen, und stützte sich neben Michelle ab, um ihr in die Augen zu sehen. »Disneyland wird nicht zusammenbrechen, Boss, wenn du nicht hier bist.« Sie grinste. »Auch wenn du das denkst. Vertrau uns doch mal ein bisschen.«
»Uns?« Verständnislos hob Michelle die Augenbrauen.
»Sheryl und mir zuerst mal«, erklärte Chris geduldig. »Wir sind auf jeden Fall da und passen auf. Sheryl wird im Feuerwehrhaus schlafen, wenn es sein muss, das weißt du.«
»Dann habt ihr aber auch kein schönes Weihnachtsfest«, wandte Michelle ein.
»Ist das wichtig?« Chris richtete sich auf und schüttelte den Kopf. »Wir sind zusammen. Das ist alles, was zählt.« Sie schmunzelte. »Dann schlafe ich eben auch im Feuerwehrhaus.«
Auf einmal wurde Michelle misstrauisch. »Warum wollen mich alle hier weghaben?«, fragte sie.
Das brachte Chris dazu, die Augen zu rollen. »Niemand will dich hier weghaben«, widersprach sie. »Aber kannst du dich erinnern, was du mir damals gesagt hast, als wir dieses . . . Gespräch hatten?«
So taff sie war, die große Chris, sie wurde fast ein wenig rot. Solche ›Frauengespräche‹ lagen weder ihr noch Michelle, und doch war es damals nötig gewesen. Genauso wie Chris es offenbar jetzt für nötig befand, obwohl es ihr sichtlich peinlich war. Aber ein Feigling war sie nicht. Ganz im Gegenteil.
»Manchmal muss man über seinen Schatten springen«, fuhr sie deshalb fort. »Wo wäre ich jetzt, wenn ich damals nicht deinen Rat befolgt hätte? Ich weiß noch nicht einmal, ob ich je wieder mit Sheryl gesprochen hätte.« Sie ließ das so im Raum stehen, als wollte sie, dass Michelle darüber nachdachte und selbst zu dem für sie richtigen Schluss kam.
Statt etwas zu sagen, nahm Michelle jedoch nur das Tablet auf und betrachtete Chris’ Vorschläge. »Das ist gut so«, sagte sie dann. »Ich wüsste nicht, was man besser machen könnte.« Sie blickte zu Chris hoch und reichte ihr das Tablet. »Ich verlasse mich auf dich.«
Das war ein großer Vertrauensbeweis, und das wusste Chris auch. Sie zögerte noch kurz, dann nickte sie Michelle zu und ging hinaus.
4
Miami. Meine Lieblingsstadt. Mit einem innerlichen Grummeln biss Michelle die Zähne zusammen, als sie auf dem Flughafen in Miami ankam.
Früher hatte sie nie etwas gegen Miami gehabt, doch seit die Sache mit Cait passiert war . . . Aber Cait war nicht mehr hier. Jetzt war Miami die Stadt, in der Cindy war. Aus der sie stammte und in der ihre Mutter immer noch lebte, auf dem Familiensitz der Claybournes. Also sollte sie das Grummeln vielleicht vergessen.
Sie kannte den Club, von dem Candice gesprochen hatte. Es war der Club, in dem sie, Michelle, und Cindy sich kennengelernt hatten. Auch nicht gerade die beste Erinnerung . . . Bis auf die Tatsache an sich, dass Cindy und sie sich dort kennengelernt hatten. Sodass Cindy dann in Disney World auf Michelle zugekommen war, eben weil sie sich schon kannten. Auf eine intime Art, die dieser einen Begegnung auf keinen Fall entsprach. Michelle wollte lieber nicht daran denken, wie peinlich ihr das gewesen war. Nach dem, was vorher passiert war. Und alles nur wegen Cait . . . Nun biss sie doch noch einmal die Zähne zusammen.
Aber diese Zeiten waren vorbei. Cait war Vergangenheit. Cindy war die Gegenwart. Und die Zukunft.
Endlich konnte sie es nicht mehr verhindern zu lächeln. Obwohl sich ihre Stirn dann gleich wieder bewölkte. Würde Cindy sich überhaupt freuen, dass sie nun doch kam? Sie hatte ja sicher schon gar nicht mehr damit gerechnet, denn Michelle hatte sich nicht angekündigt. Vielleicht hatten Cindy und Candice tatsächlich schon –
Nein, das war unmöglich. Nicht Cindy. Aber so ganz sicher war sie sich trotzdem nicht. Vertrauen war für sie immer noch eine Art sehr fragiles Konstrukt.
Es stand für sie außer Frage, dass sie nicht in das Haus der Claybournes gehen würde. Lindsay Ann Claybourne war zwar jetzt ihre Schwiegermutter – daran konnte Michelle sich immer noch nicht gewöhnen, da sie altersmäßig gar nicht so weit auseinanderlagen –, aber genau das, diese selbstverständliche, freundliche Mütterlichkeit, konnte sie im Augenblick überhaupt nicht vertragen. Sie musste erst einmal allein hier ankommen.
Das würde Cindy wahrscheinlich nie verstehen. Für sie waren Menschen keine Bedrohung und auch keine Figuren auf einem Schachbrett, die man verschob oder in verschiedene Richtungen schickte, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Sie waren einfach . . . Menschen. Und Cindy nahm jeden Menschen so, wie er war. Egal, wie er auf sie zukam.
Wofür Michelle nur dankbar sein konnte. Denn so, wie sie das erste Mal auf Cindy zugekommen war . . . damals in jenem Hotelzimmer . . . das trieb ihr heute noch die Schamesröte ins Gesicht, obwohl sie überhaupt nicht dazu neigte, rot zu werden. Das wäre im Geschäftsleben äußerst schädlich gewesen. Da nahm einen kein Mann mehr ernst. Was sie ohnehin oft schon deshalb nicht taten, weil sie klein und zierlich war. Auch wenn die roten Haare es ein wenig wieder ausglichen.
Sie ging ganz automatisch auf den Taxistand zu und setzte sich in den ersten Wagen in der Reihe.
»Wohin, Lady?«, fragte der Taxifahrer