Ende gut, alles gut. u.a.

Ende gut, alles gut - u.a.


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zum Opfer gefallen war, seinen Anfang genommen hatte. Freiwillig wäre sie niemals wieder dorthin zurückgekehrt.

      Aber um Freiwilligkeit ging es jetzt wohl nicht. Sie musste mit Cindy sprechen. Sie musste sehen, was sie . . . tat.

       Warum rufst du sie nicht an?

       Na, dich kenne ich ja schon gar nicht mehr.

      Michelle war überrascht, dass ihre innere Stimme sich meldete. So deutlich meldete, wie es schon seit langem nicht mehr der Fall gewesen war.

      Natürlich hatte sie schon zuvor daran gedacht, Cindy anzurufen. Spätestens, seit sie hier gelandet war. Und doch hatte sie es nicht getan. Dabei hätte sie es schon im Taxi tun können. Warum alles nicht ganz normal ablaufen lassen? Vielleicht verzichtete Cindy dann auf diesen . . . Auftritt, den Michelle sich sowieso nicht so richtig vorstellen konnte. Ein hautenges Kleid mit einem Schlitz bis zum Bauchnabel? Sie wusste gar nicht, dass Cindy so etwas besaß. Oder hatte Candice da geflunkert? Cindy das Kleid sogar geliehen? Um Michelle eifersüchtig zu machen? Eines von ihren, Candice’, Kleidern, denn sie besaß so etwas definitiv.

      Aber warum? Warum sollte sie Michelle eifersüchtig machen wollen? Sie liebte Cindy. Ja, das tat sie, auch wenn sie das lange Zeit nicht hatte zugeben wollen. Mittlerweile hatte sie jedoch keinen Zweifel mehr daran. Und sie betrog sie auch nicht. Sie wäre gar nicht auf den Gedanken gekommen. Es gab also gar keinen Grund für Eifersucht von Cindys Seite her, für den Michelle eine Art Bestrafung verdient gehabt hätte.

      Kurz blitzte in ihrem Kopf ein Bild auf, wie sie sich mit ausgebreiteten Armen vor die Tür des Clubs stellte und Cindy gar nicht erst hereinließ. Wenn sie nicht drin war, konnte sie auch nicht singen.

      Singen. Wieso überhaupt singen? Wieso auf einer Bühne auftreten? Und dann auch noch in einem so sexy Outfit? So etwas hatte Cindy bisher noch nie getan. Und auch nie ein Interesse dafür bekundet. Vielleicht sollte sie sie wirklich anrufen und fragen, was ihr da eigentlich in den Sinn gekommen war.

      Doch kaum hatte sie ihr Smartphone in der Hand, da meldete es sich auch schon. Cindys Bild erschien auf dem Display. Eine lächelnde Cindy, deren freundliche Augen Michelle liebevoll betrachteten.

      Sie nahm den Anruf an. »Ja?«

      »Störe ich dich?« Cindys Stimme klang entschuldigend. »Tut mir leid, ich weiß, es ist noch früh, und du bist sicher noch im Büro . . .«

      Jetzt hätte sie die Chance gehabt, die Wahrheit zu sagen. Hatte sie das nicht eben noch tun wollen? Und normalerweise log sie auch nicht. Aber etwas verschweigen war nicht lügen, oder?

      »Hm«, meinte sie unbestimmt. »Ist schon okay.«

      Sie war froh, dass Cindy sie nur anrief und keine Videoverbindung angefordert hatte, denn dann hätte sie diese Frage sicher nicht gestellt, weil sie die Palmen im Hintergrund hätte sehen können, auch wenn sie sich im schwachen Dämmerlicht nur noch wie Schattenrisse vom Himmel abzeichneten. Nun ja, auch in LA gab es Palmen . . .

      »Ich vermisse dich so«, flüsterte Cindy. »Aber ich weiß ja, wir fliegen nach Weihnachten nach Colorado . . . Damit versuche ich mich zu trösten.«

      Michelle schluckte. Sie schämte sich jetzt fast dafür, dass sie Colorado vorgeschlagen hatte. Denn aus Cindys Mund klang es wie Eiseskälte in der Hölle.

      So schlimm konnte es doch nicht sein. Oder doch? Sie war immer noch nicht an dem Punkt angekommen, an dem sie Cindy hundertprozentig verstand. Vielleicht hatte sie sie überhaupt noch nie richtig verstanden. Es war doch alles sehr schnell gegangen, und sie waren immer von irgendwelchen Katastrophen abgelenkt gewesen, sodass sie sehr wenig Zeit für sich selbst und ihre Beziehung gehabt hatten. So richtig war Michelle das noch nie aufgefallen, denn das war überhaupt nicht ihr Thema.

      Aber es war Cindys Thema. Das merkte sie jetzt deutlicher und deutlicher. Obwohl sie es natürlich auch vorher schon gewusst hatte. Doch vielleicht hatte sie es gar nicht so richtig wissen wollen. Cindy hatte dafür gesorgt, dass es diese Beziehung überhaupt gab, und dann dafür, dass sie weiterhin Bestand hatte, dass sie wuchs und sogar in eine Ehe mündete. Michelle war sich absolut dessen bewusst, dass nichts davon ihr Verdienst war.

      »Hast du was?«, fragte Cindy mit einem besorgten Tonfall in der Stimme, weil Michelle nichts sagte. »Bitte, nicht böse sein. Ich weiß, ich hätte Colorado nicht erwähnen sollen. Oder Weihnachten. Aber . . .«, wahrscheinlich schluckte sie jetzt so, wie Michelle zuvor geschluckt hatte, »ich hatte mir das so schön vorgestellt.«

      »Ich könnte ja noch kommen.« Auf einmal flossen diese Worte aus Michelle heraus, als hätten sie nur darauf gewartet, endlich losgelassen zu werden.

      Sie hörte, wie Cindy heftig nach Luft schnappte. »Du würdest kommen? Jetzt? Zu mir?«

      »Ich glaube, es war falsch, dass ich das sofort abgelehnt habe«, sagte Michelle. »Mittlerweile habe ich mir so meine Gedanken darüber gemacht. Und ehrlich gesagt hat sogar Chris mich darauf hingewiesen. Obwohl sie, wie du ja weißt, nicht gerade sentimental ist.«

      »Chris?« Michelle konnte richtig sehen, wie Cindy jetzt die Stirn runzelte. »Was hat Chris denn damit zu tun?«

      »Gar nichts«, beruhigte Michelle sie und musste gleichzeitig lächeln. Es gab nicht den geringsten Grund für Cindy, auf Chris eifersüchtig zu sein, aber sie glaubte so etwas aus ihrer Stimme herauszuhören.

      Warum hatte sie ganz selbstverständlich angenommen, dass es nie Eifersucht zwischen ihnen geben würde? Doch nur, weil ihre vorherigen Beziehungen nie so tief gegangen waren, dass dieses Thema überhaupt hätte aufkommen können. Candice und sie hatten sich beispielsweise nie Treue versprochen. Das wäre überhaupt nicht gegangen. Bei Candice nicht und bei ihr selbst auch nicht.

      »Oh Michelle . . . Liebling . . .«, hauchte Cindy mit tränenerstickter Stimme. »Dann kannst du ja morgen schon da sein. Meine Mutter wird sich so freuen . . .«

      »Nur deine Mutter?«, fragte Michelle schmunzelnd.

      Anscheinend hatte Cindy sich wieder gefasst und lachte jetzt auf. »Wenn ich meiner eigenen Frau sagen muss, dass ich mich freue, sie zu sehen, und sie das nicht von selbst weiß, dann ist aber irgendetwas nicht in Ordnung.«

      »Da hast du wohl recht.« Michelle murmelte es nur, weil es eigentlich an sie selbst gerichtet war und nicht so an Cindy.

      »Wenn du mir sagst, wann du ankommst«, fuhr Cindy ziemlich aufgeregt fort, »hole ich dich am Flugplatz ab.«

      Michelle schüttelte den Kopf. »Ich weiß noch nicht, wann ich fliege, das kommt darauf an.«

      Kurz sagte Cindy nichts, dann akzeptierte sie offenbar das, was Michelle angedeutet hatte, nämlich dass sie sich nicht festlegen wollte. »Ist gut«, seufzte sie etwas enttäuscht. »Dann sehe ich dich eben, wenn du da bist.«

      Warum fragte sie jetzt nicht nach Candice? Aber das tat Michelle nicht. Sie wollte es gar nicht wissen.

      Eifersucht war eben keine Einbahnstraße. Sie wunderte sich, warum Cindy bei der Erwähnung von Chris auf einmal misstrauisch wurde, obwohl es dazu keinen Anlass gab und Cindy das auch wissen musste, aber umgekehrt? Ja, Candice hatte gesagt, dass es ihr nichts ausmachte, ob eine Frau verheiratet war oder nicht. Das wusste Michelle nur zu gut, denn Candice hatte mehr als einmal etwas mit jemandem gehabt, der diesen speziellen Ring am Finger trug. Aber auch wenn Cindy eine verheiratete Frau war, das musste doch nicht heißen . . . Dazu gehörten doch immer zwei. Und Cindy würde so etwas nie tun.

      Und doch war Vertrauen etwas sehr, sehr Neues für Michelle. Sie hatte ihr ganzes Leben lang gelernt, dass man keinem Menschen vertrauen konnte. Bei ihrer Mutter angefangen. Vor Cindy hatte es nie jemanden gegeben, der diese ihre Einschätzung widerlegt hätte. Wenn man jemandem vertraute, ging man immer das Risiko ein, belogen und betrogen zu werden. Da konnte sie sich jetzt nicht so schnell umstellen. Vertrauen war immer noch mehr ein Wort für sie als ein Gefühl, als etwas, das tief in ihr verankert war. Es hing nur lose an einem seidenen Faden.

      »Ja, dann siehst du mich, wenn ich da bin. Ich melde mich, wenn ich gelandet bin«, wiederholte


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