Sexualität – Eine Zukunft für die Zukunft. Anand Buchwald

Sexualität – Eine Zukunft für die Zukunft - Anand Buchwald


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werden, dass manche Menschen an diesem Job auch Spaß haben, dass nicht jeder öffentlichen Sex als schmutzig oder verwerflich betrachtet und vor allem, dass Ausnutzung in unserer Gesellschaft überall gang und gäbe ist; jeder Arbeitgeber, der Menschen einstellt, die einen Job nicht machen würden, wenn sie nicht darauf angewiesen wären, nutzt letztlich eine Notlage aus. Das Problem ist hier nicht in erster Linie das Symptom der Ausnutzung, sondern die Ursache, die in einer nicht genügend entwickelten, egoistischen Gesellschaft wurzelt. Und wie immer (mit Ausnahme der Homöopathie) ist es so, dass man Symptome am Besten loswird, indem man die Ursachen beseitigt.

      Ähnlich verhält es sich mit der durchaus existierenden Pornografiesucht, die im Grunde genommen nur eine Sonderform der Mediensucht darstellt. Süchte weisen immer auf Defizite hin, auf Probleme beim Umgang mit der Realität. Auch wenn man Alkohol, Tabakwaren, Rauschdrogen, Computer- und Fernsehnutzung oder Pornografie verbietet, so ändert sich doch nichts an dem Defizit.

      Das Defizit bei der Pornografiesucht liegt vermutlich in Kontaktproblemen oder darin, ganz allgemein Partner zu finden, oder Partner zu finden, welche die eigenen Fantasien oder Fetische teilen oder in inneren Schamgefühlen, die etwa daher kommen, dass man in einer Umgebung aufgewachsen ist, in der Sexualität totgeschwiegen oder gar dämonisiert wurde. Auch hier ist keine Pornografie auch keine Lösung. Diese liegt vielmehr darin, sich mit den Dingen auseinanderzusetzen, sich den Dämonen zu stellen und stetig im Bewusstsein zu wachsen, ob nun mit Hilfe der Pornografie, indem man sich mit seinen Ängsten und Defiziten befasst und sie sich vor Augen führt und bewusst macht, oder ohne. Solange wir diese Arbeit nicht getan haben und uns aus der Umklammerung un- und unterbewusster Ängste, fehlgeleiteter Erziehung und sozialen, religiösen und gesellschaftlichen Atavismen befreit, sind wir nicht Herr über unser Leben und unsere Sexualität, sondern werden fremdgesteuert und sind nicht frei.

      Nicht nur in dieser Hinsicht kann Pornografie durchaus eine Hilfe sein, wenn man sich ihrer bewusst als Werkzeug bedient. Ein Aspekt des Nicht-Bewusstseins, das unser Leben begleitet, ist das Nicht-Wissen. Wissen entsteht durch Offenheit, durch Erleben und durch bewusstes Weitergeben. Was die Sexualität betrifft, so haben die Einführung und das Aufkommen der Scham und die daraus resultierenden Traditionen, vor allem in den letzten Jahrhunderten, den Aufbau und die Weitergabe eines sexuellen Wissenspools verhindert, so dass wir in unserer Lebenskunst in diesem Bereich viele leere oder dunkle Flecken aufweisen und dadurch behindert sind. In den Zeiten davor, als die Sexualität noch nicht so stigmatisiert, sondern ein selbstverständlicher Teil des Lebens war, gab es einen solchen Wissenspool bereits, auch wenn er naturgemäß durch mangelhafte biologische Kenntnisse und kulturelle Vorstellungen beschränkt war und keinen deutlichen Bezug zu einem starken sexuellen Bewusstsein hatte.

      Dieses sexuelle Bewusstsein bildete sich erst langsam in der Folge der Auseinandersetzung mit der schließlich allgegenwärtigen Prüderie und Stigmatisierung heraus, welche unglaubliches Leid in Form von Angst, Selbsthass, sexueller Verstümmelung, Verdrängung, Masturbationsverboten, Schauergeschichten, unglücklichen Ehen, ungewollten Schwangerschaften, rohem Sex usw. verursacht hat. Die erste Gegenbewegung und Bemühung um Bewusstwerdung fand etwa in der Zeit des Jugendstils statt und wurde spätestens durch den Zweiten Weltkrieg zunichte gemacht. Erst in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts begann mit dem Aufkommen der Pille und der dadurch notwendig werdenden Aufklärung eine neue Bemühung, die Altlasten wieder loszuwerden. Allerdings sitzt die Mentalität, die während der viktorianischen Epoche und dem Beginn der Industrialisierung in den Menschen Fuß gefasst hatte, also die Tabuisierung der Sexualität und ihre Verknüpfung mit Schmutz und Abscheu und ihre Abtrennung vom gesellschaftlichen Leben in Form von Bigotterie, Zensur und Selbstzensur, der Angst vor öffentlicher Nacktheit und sexueller Unbewusstheit noch immer tief in uns. Daran konnte auch die ­Flower-Power-Bewegung und die sexuelle Revolution nicht wirklich tiefgreifend etwas ändern. Bi- und Homosexualität sind trotz aller rechtlichen Regelungen noch nicht wirklich in der Gesellschaft angekommen, und Selbstbefriedigung oder sexuelle Techniken sind auch im engeren Freundeskreis keine Gesprächsthemen. Um dieses Gift der Prüderie aus dem gesellschaftlichen Körper auszuscheiden, dauert es sicherlich noch einige Generationen, was neben der natürlichen Altersstruktur auch daran liegt, dass dieser Bewusstwerdungs- und Wachstumsprozess nicht absichtlich und bereitwillig und offen vonstatten geht, sondern uns von den Umständen und einigen wenigen progressiven Geistern aufgezwungen wird.

      Einer dieser Umstände ist die Pornografie, ein anderer ist sexuelle Neugier, die sich in der modernen Informationsgesellschaft und in den bereits aufgeweichten Prüderiegrenzen leichter Informationen verschaffen kann. Die schulische Aufklärung kann nur mit Mühe die Tabugrenzen überwinden und ist bislang nur geeignet, eine Art Basiswissen zu vermitteln oder dieses nur kurz anzureißen. Sie kratzt den Gesamtwissens- und Bewusstseinspool zur Sexualität nur ein wenig an; sie ist sozusagen ein Grundkurs oder zumindest eine Einführungsvorlesung. Darauf aufbauend könnte man die Pornografie als Vertiefungskurs betrachten, die uns einen weiteren Teil des Pools zu erschließen vermag. Sie kann uns Techniken lehren, die nicht Bestandteil schulischen Unterrichts sind und die uns vielleicht auch mangels Fantasie oder Experimentierfreude oder wegen unterbewusster Schuldgefühle verborgen geblieben wären. Freilich ist sie eine Kunstform mit den genreüblichen Übertreibungen hinsichtlich männlicher Standfestigkeit und Potenz, die einem bei unbewusstem und unkritischem Konsum durchaus Minderwertigkeitskomplexe einimpfen kann. Und dass manche Abläufe, wie etwa der Analverkehr, der ja längst keine homosexuelle Erfindung ist, einer gewissen Vorbereitung oder Übung bedürfen, wird zumindest in der filmischen Pornografie nicht erklärt, bisweilen aber wohl in den schriftlichen Formen. Trotzdem kann Pornografie für uns eine Hilfestellung sein, um Sexualität bewusster wahrzunehmen, sie offener auszuüben, Komplexe abzubauen, Neues zu entdecken und ein sexuell erfüllteres Leben zu führen. Eine gesellschaftliche Anerkennung der Pornografie und ein Teilhaben am künstlerischen Mainstream kann dazu führen, dass sie in Zusammenhang mit verbesserter Aufklärung und einem individuellen wie gesellschaftlichen Bewusstwerdungsprozess ihre Funktion der Vermittlung von Wissen und Zusammenhängen besser wahrnehmen kann und den Wissenspool besser repräsentiert.

      Aber letztlich ist Pornografie nur eine Darstellung, ein Hilfsmittel bei der Ausübung der Sexualität. Die Praxis, die Sexualität selbst, ist eine eigene Kunstform. Dass dies oft nicht bemerkt wird, liegt vielleicht an dieser seltsamen religiösen Einstellung zur Sexualität und der in diesem Zusammenhang oft strapazierten und völlig fehlinterpretierten Naturrechtslehre, die auf dem Bild einer statischen und den Menschen determinierenden Natur beruht. Hier ist die Sexualität ein Mittel zur gottgewollten Fortpflanzung und ausschließlich als Solches zu gebrauchen und aus Gründen, die wohl nicht im Naturrecht liegen, gleichzeitig eine schmutzige Angelegenheit, an der man, bei ganz puritanischen Ansichten keine Freude haben sollte. Ein solches Bild führt im Extremfall zu einer lieblosen und neurotischen Rein-Raus-Sexualität, bei der die Frau ihre Vagina für den Orgasmus des Mannes zur Verfügung stellt, was äußerlich durchaus dem Verhalten mancher Tierarten entspricht, bei denen Männchen und Weibchen kurz zusammenfinden, ohne großes Vorspiel die Kopulation vollziehen und dann so tun, als sei nichts gewesen.

      Aber diese Art der Sexualität reduziert den Mann zu einem Lustmolch und die Frau zur Sexsklavin, denn eigentlich kommt nur der Mann dabei zu einem kurzen orgastischen Höhepunkt. Das liegt daran, dass die Natur beim Menschen, anders als – vermutlich – bei den meisten Tieren die sexuelle Erregbarkeit bei Mann und Frau unterschiedlich eingerichtet hat. Der Mann ist leicht und schnell erregbar, während die Frau nur langsam in Schwung kommt und mehr Stimulation benötigt, um zu einem Orgasmus zu gelangen. So gesehen könnte man sagen, dass Mann und Frau nicht zueinander passen, wenn man nicht aus dem Naturrecht schließen möchte, dass der Orgasmus der Frau nicht von Bedeutung ist, was dann im Extremfall zu Auswüchsen wie der Vaginalbeschneidung bei vielen afrikanischen Stämmen führen kann.

      Wenn man das Thema aber evolutionär angeht und sich fragt, warum die Natur (oder Gott) so scheinbar unlogisch handelt, dann führt uns das zurück zum Prinzip der sozialen Evolution. Wenn man davon ausgeht, dass die Frau nicht dem Manne untertan ist und auch das gleiche Recht auf Freude und sexuelle Erfüllung hat, dann führt das notwendigerweise dazu, dass der Mann sich anstrengen und auf die Bedürfnisse der Frau eingehen muss, um ihr einen Orgasmus zu ermöglichen, der gleichzeitig


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