Sexualität – Eine Zukunft für die Zukunft. Anand Buchwald

Sexualität – Eine Zukunft für die Zukunft - Anand Buchwald


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die Hand nehmen.

      Und wie bereits ausgeführt, ist die Sexualität von dieser Evolution nicht ausgenommen, sondern ein Teilaspekt von ihr. Diese Evolution hat uns eine eben typisch menschliche Sexualität beschert, und unsere mentale, vitale, soziale und religiöse Entwicklung hat aus dieser ursprünglichen und halbwegs unbeschwerten Form einen Quell stetiger Konflikte gemacht, aber auch eine überbordende und zu tierische Sexualität etwas gezähmt und bewusster gemacht, doch nur im Rahmen eines sozialverträglichen Mindestmaßes und hat dabei die angeführten künstlichen Probleme geschaffen, die durch die Instrumentalisierung der Sexualität nach der Devise „Teile und herrsche“ das unbedarfte Volk, wenn auch nicht ohne Rückwirkungen auf die weltlichen und religiösen Herrscher, leichter beherrschbar machten. Für unsere weitere sexuelle Evolution müssen wir uns nun nicht nur von diesen Klammern befreien, sondern auch nach einem Weg in die Zukunft suchen.

      Die Sexualität unterliegt wie alle Bereiche des menschlichen Lebens der Evolution, und wie bei allen anderen Bereichen auch sind auftretende Probleme eine Folge und ein Ausdruck mangelnder Bewusstheit. Wenn wir diese Probleme und die schwerwiegenden Folgeprobleme wirklich lösen und in den Griff bekommen wollen, dann müssen wir einen Prozess der Bewusstwerdung anstoßen und dauerhaft beibehalten. Dieser Prozess muss alle wichtigen Aspekte der Sexualität aufgreifen und in ihrer Beziehung zu allen wichtigen Bereichen des menschlichen Lebens studieren. Und in diesem Bewusstwerdungsprozess werden sich auch wie selbstverständlich Lösungsmöglichkeiten für alle echten und vorgeblichen Probleme einstellen.

      Als Fahrplan für diese Erforschung der Sexualität und für die progressive sexuelle Bewusstwerdung dient Michel Montecrossas Bewusstseinsrad, das schematisch die Entwicklung des Bewusstseins beschreibt und mit dessen Hilfe man die wesentlichen Bewusstseinsbereiche aufgreifen und dann zu einem großen und integralen Bewusstseinsbild zusammensetzen kann. Diese Bereiche folgen in der individuellen Bewusstseinsentwicklung wie auch in der Evolution der Gesellschaft aufeinander und ermöglichen so eine umfassendes Bild, das zum Beispiel in diesem Fall die menschliche Sexualität und ihre verschiedenen Aspekte und Entwicklungsstufen darstellt.

      Näheres hierzu:

      Michel Montecrossa, Zeichen der Zeit, Mirapuri-Verlag

      2. Kapitel

      Kunst

      Der Ausgangspunkt des Bewusstseinsrades ist der Bereich der Kunst. Diese gehört in der menschlichen Entwicklung zu den ersten Bewusstseinsäußerungen. Die Kunst mag sich vielleicht zuerst beim Erlernen der Sprache im Spiel mit den Lauten ausdrücken, greift dann aber noch ungelenk das Spiel mit Farben und Linien und die Anordnung von Formen auf. Die Kunst zählt zu den ältesten kulturellen Errungenschaften der Menschheit, etwa in Form der Höhlenmalereien von Lascaux, der Petroglyphen der australischen Aborigines oder der Venus von Willendorf. Und nicht vergessen sollte man in diesem Zusammenhang auch die Lautmalerei mit ersten primitiven Klangkörpern, der eigenen Stimme und die rhythmischen Bewegungen dazu, den Tanz. Zwar kann man auch den Einsatz von Steinkeilen als kulturelle Errungenschaft würdigen, aber auch höher entwickelte Tiere kennen schon den Einsatz von Werkzeugen; was sie nicht kennen, ist die bewusste Schöpfung von Kunstwerken.

      Ursprüngliche Kunst hatte anfangs einen sehr spontanen Charakter und diente als Gebrauchskunst der Verzierung von Personen, Alltagsgegenständen und der Lebensumgebung, aber zunehmend, insbesondere beim Tanz, auch der Darbringung an das Göttliche, da sie möglicherweise auch als Gabe Gottes betrachtet wurde. Von der ornamentalen Kunst abgesehen, war der Gegenstand der künstlerischen Darstellung im Wesentlichen das Leben der damaligen Menschen und das, was sie darin bewegt hat.

      Aber was ist Kunst eigentlich? Das ist eine Frage, die auch die Gerichte beschäftigt, wenn sie sich mit der Reichweite der künstlerischen Freiheit versus Politik, Gesellschaft, Moral oder Kommerz auseinandersetzen müssen. Wenn man die Definition sehr weitläufig halten möchte, könnte man sagen, dass Kunst der kreative Umgang mit den Dingen des Lebens ist. In diese Definition wäre dann beispielsweise auch der Lebenskünstler eingeschlossen, der mit den Umständen des Lebens jongliert und versucht, sie zum Besten zu verwenden, statt sie schicksalsergeben hinzunehmen.

      Man könnte zur Kunst auch all jene Ausdrucksweisen zählen, die es uns erlauben, der objektiven Welt noch eine subjektive hinzuzufügen, indem man durch Darstellungsmethoden der verschiedensten Art, also etwa Wort, Bild, Ton und Bewegung, versucht, die individuelle, subjektive Wahrnehmung so aufzubereiten, dass sie für andere wahrnehmbar werden kann, was freilich eine gewisse Empfänglichkeit beim Wahrnehmenden voraussetzt und eine identische Interpretation der Darstellungselemente. Wer schon einmal auf einer Vernissage gewesen ist und gehört hat, was der Redner alles in die vorgestellten Kunstwerke hineinlegt, der weiß, wie schwierig bis unmöglich es ist, Subjektives objektiv wiederzugeben und wahrzunehmen, denn schon die Wahrnehmung von Kunst ist ein schöpferischer Akt – das Kunstwerk entsteht also sozusagen in uns noch ein zweites Mal.

      Aus dieser Überlegung kann man noch eine weitere, einfache Definition der Kunst ableiten: die Anwendung und Pflege schöpferischer Kraft in der Auseinandersetzung mit sich selbst und seiner Umwelt. Und nichts anderes haben die urzeitlichen ersten Künstler getan, und nichts anderes machen auch Kinder, wenn sie beginnen, ihre Eindrücke zu sortieren und ihre Ausdrucksmöglichkeiten zu trainieren. Und die unmittelbare Wahrnehmung eines Menschen gilt nicht den sozialen Errungenschaften, mit denen er sich umgibt, sondern seinem äußerlichen Mensch-sein und dem innerlichen Eindruck, den er auf uns macht.

      Nacktheit

      Demzufolge spielte auch Kleidung in der ursprünglichen Kunst keine große Rolle. Sie gehörte nicht wirklich zum Menschen, sondern war eher ein Schutzmittel gegen eine ungnädige Umwelt oder gar eine Ver-Kleidung. Und das änderte sich auch für sehr lange Zeit nicht. Die bildliche Darstellung der Nacktheit begleitete die Entwicklung der Kunst Jahrtausende lang, angefangen mit einer der ältesten bekannten Skulpturen, der Venus von Willendorf. Aber langsam wurde Kleidung, wie etwa bei den ägyptischen Pharaonen oder ganz allgemein der politischen Oberschicht, immer mehr zu einem Statussymbol und Nacktheit zu einem Armutszeugnis. Mit dem Aufkommen der abrahamitischen Religionen und der Geschichte von der Vertreibung aus dem Paradies bekam dann diese selbstverständliche Nacktheit erste Risse, insbesondere im Islam, wo sie am stärksten tabuisiert wurde, vor allem die weibliche Nacktheit, und verstärkt durch das Bilderverbot, was den künstlerischen Ausdruck auf Ornamentik und Architektur begrenzte. Aber auch im offiziellen Christentum wurde sie zunehmend misstraurischer beäugt, was allerdings die mittelalterliche Freizügigkeit und Badekultur und auch die künstlerische Darstellung von Nacktheit nicht wirklich beeinträchtigte. Hier breitete sich erst im viktorianischen Zeitalter nicht nur eine Ablehnung von Nacktheit, sondern eine ziemlich umfassende, allgemeine Prüderie aus, die alles Freudige, Vergnügliche und vor allem Sexuelle ablehnte und dieser Ablehnung, wie etwa bei der Frage der Selbstbefriedigung, durch Horrorgeschichten und ganz physisch durch Beschneidungsmaßnahmen Nachdruck verlieh.

      Spätestens hier wurden für viele Generationen Weichen gestellt, die das Selbstwertgefühl, das eigene Selbstverständnis, die eigene Natürlichkeit und Unmittelbarkeit und auch die Wahrnehmung Anderer extrem negativ beeinflusst haben. Als etwa die Europäer auf indianische Kulturen trafen, wurde deren natürliche Haltung zu Nacktheit als Barbarei verortet und die Indianer und Indios entsprechend „minderwertig“ eingestuft, verstärkt natürlich durch religiöse Ignoranz, Missionarismus und sehr zweifelhafte Vorstellungen von Kultur.

      Hier kann man klar sehen, wie sexuelle, oder vielmehr pseudo-sexuelle Fehlhaltungen und kultureller Absolutismus ganz gravierende globale Auswirkungen haben können. Und dabei ist die Nacktheit ja noch nicht einmal eine unmittelbar sexuelle Angelegenheit, sondern erst einmal ein ganz natürlicher Zustand. Die kontinuierliche Verhüllung des menschlichen Körpers, vor allem der Genitalregion und der weiblichen Brüste, wirkt wie eine Gehirnwäsche und schafft Tabus, die man sich später teilweise wieder abgewöhnen muss, wenn man in der Umkleide und den Duschräumen von Fitnessstudios und anderen Sport- und Freizeiteinrichtungen


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