Zart und frei. Dr. Carolin Wiedemann

Zart und frei - Dr. Carolin Wiedemann


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ausspielt statt den Menschen klarzumachen, dass sie gemeinsam um Teilhabe und gegen alle Formen der Ausbeutung kämpfen müssten.

      Im Antifeminismus dieser Aussagen zeigt sich das Aufbegehren eines patriarchalen Systems und seiner Hauptfigur, des weißen, heterosexuellen cis Mannes, dessen Ordnungen zunehmend bröckeln. Zum Glück und zum Gewinn aller.

      Aller. Das müsse man den Menschen vermitteln, sagte die Kulturwissenschaftlerin Karin Harrasser 2017, die deutschsprachige Ikone des Cyborg-Feminismus. Sie und ihre Kolleg*innen, die postmodernen Theoretiker*innen, so Harrasser, hätten vergessen, die Menschen jenseits der Gender Studies mitzunehmen, als sie begannen, von Cyborgs, von der Überwindung der Geschlechterbinarität und einer anderen Welt zu schwärmen. Das sei einer der Gründe dafür, dass die Menschen jetzt Trump und die AfD wählen. Sie folgte damit gerade nicht dem Anti-Gender-Argument von Sigmar Gabriel, man habe sich zu sehr mit queeren Toiletten befasst und dabei die Arbeiterklasse aus den Augen verloren. Nein, Harrasser meinte, dass sie, die progressiven Intellektuellen, es versäumt hätten, allgemein verständlich zu machen, warum alle von den Gender Studies profitieren.

      Verständlich zu machen, dass alle Menschen gewinnen würden, wenn sie queerer werden, wenn sie die vermeintlich natürliche Unterteilung in zwei Geschlechter mit zugeschriebenen Eigenschaften immer weiter hinterfragen, wenn das »Cyborg-Manifest« weniger Utopie wäre, wenn gender, race und class keine Geltung mehr hätten, wenn Grenzziehungen verschwämmen und Herrschaftsverhältnisse verschwänden, wenn die Menschen sich weniger über Gene und Geld miteinander verbunden fühlen würden. Wenn sie stattdessen Familien jenseits von Mutter-Vater-Kind bilden würden, Wahlverwandtschaften, neue Formen der Solidarität jenseits alter Identitäten, wenn sie sich freier und zarter zugleich aufeinander bezögen, wenn sie freier und zärtlicher zugleich miteinander und beieinander schliefen.

      Denn es ist nicht nur so, dass Frauen, wie die Ethnografin Kristen Ghodsee kürzlich belegt hat, im Sozialismus besseren Sex haben. Alle hätten besseren Sex, wenn das Patriarchat beendet wäre. Auch darum wird es in diesem Buch gehen.

      Während ich im ersten Teil frage, wie sich das Patriarchat eigentlich aktuell konstituiert, wie stark es noch ist, wie beharrlich, und wie es antifeministische Strömungen über verschiedene Lager hinweg mobilisiert, gehe ich im zweiten Teil auf verschiedene gegenwärtige Phänomene ein, die patriarchale Ordnungen herausfordern, indem sie das Verständnis von Geschlecht und Sexualität zunehmend verschieben. Phänomene, die eine Befreiung aus der bürgerlichen Kleinfamilie, aus der Keimzelle der Nation bedeuten und damit andere, neue Formen der solidarischen Verbindung erschaffen: In Kursen zur kritischen Auseinandersetzung mit Männlichkeit lernen Typen, Männlichkeitsanforderungen zu unterlaufen, sie lernen etwa, leiser zu reden und gleichzeitig ihre Bedürfnisse besser zu artikulieren. In polyamoren Beziehungskonstellationen versuchen Menschen die Verquickung von romantischer Liebe und Besitzansprüchen zu überwinden, die überhaupt erst durch die kapitalistische, sexistische Arbeitsteilung entstehen konnte. Beim Co-Parenting kümmern sich Freund*innen-Kreise gemeinsam um Kinder, ganz egal ob sie die biologischen Eltern sind, und bewahren damit Alleinerziehende vor der Prekarität und Paare vor dem Gender-Trouble. Auf sexpositiven Partys wird feministischer Porno gefeiert und Pansexualität genau wie Asexualität, so wie es die Menschen gerade mögen.

      Ich will zeigen, dass sich jene neuen Umgangs- und Lebensformen, die von Kritiker*innen oft als elitär oder als neoliberal abgetan werden, nicht nur aus einer queerfeministischen Perspektive als subversiv deuten lassen. Zeigen, dass sie eine emanzipatorische Perspektive für alle bergen, und zwar auch deshalb, weil sie die Herrschaftsverhältnisse, welche die Menschen unterjochen, im Allgemeinen herausfordern.

      Das patriarchale Geschlechterverhältnis ist mit der Entwicklung kapitalistischer Ausbeutung innerhalb der gegenwärtigen nationalstaatlichen Ordnung zutiefst verbunden. Angesichts dieser Verknüpfung klärt sich, inwiefern jene antipatriarchalen Phänomene das Potenzial haben, die bürgerliche Gesellschaft und ihren Ausbeutungsapparat im Gesamten zu erschüttern. Alexandra Kollontai sagte: Ohne Sozialismus keine Befreiung der Frau, ohne Befreiung der Frau kein Sozialismus. Und so lässt sich noch immer hoffen, dass wir, wenn es keinen Kapitalismus, keinen Nationalstaat und kein Patriarchat mehr gibt, zart und solidarisch miteinander sein können, geborgen und frei.

      Das Buch soll nicht diejenigen umerziehen, die weiter von den tradierten Ordnungen profitieren wollen und daher all jene, die ihnen ihre Privilegien streitig machen, als minderwertig diffamieren. Aber vielleicht kann es denen die Hand reichen, die verunsichert sind, die insgeheim selbst lieber in einer anderen Welt leben würden, aber keine Ideen von ihr haben, die unter Druck stehen, ihre Männlichkeit zu beweisen, Überlegenheit und Erhabenheit zu performen, obwohl sie doch gern freier und gleichzeitig geborgener wären. Und vielleicht kann es auch diejenigen inspirieren, denen das Wort »Gender« noch fremd ist, denen die aktuellen politischen Entwicklungen, der Erfolg von Politikern wie Trump, der AfD und der FPÖ aber Sorge bereiten, die sich fragen, wo der Fortschritt, an den sie einmal glaubten, geblieben ist.

      Und es kann hoffentlich denen Mut machen, die sich seit Langem mit sexistischen Geschlechterverhältnissen und anderen Formen der Herrschaft auseinandersetzen, sie bekämpfen und sich selbst aber doch so oft in ihrem Alltag nicht aus ihnen befreien können.

       1.Patriarchat

      Auf dem Fahrrad mit kurzer Hose durch Berlin. Eine Strecke von 20 Minuten. Einer ruft mir »Fotze« hinterher, ein anderer pfeift mir nach. Durchschnittliche Quote.

      Ich bin auf der Geburtstagsfeier einer Freundin, spreche mit zwei Journalisten, die gegen den Kapitalismus schreiben. Sie fragen nach meinen Themen. Ich erzähle von einem Interview zur Frage, wie sich die misogyne und queerfeindliche maskulinistische Bewegung über Social Media organisiert. Der eine schlägt dem anderen auf den Oberschenkel und ruft: »Mensch, sie ist uns auf die Schliche gekommen!« Beide lachen lauthals.

      Der Physiotherapeut duzt mich ungefragt und tätschelt mir die Wange.

      Der Bekannte, der seine Lippen zum Abschied auf meine drückte und seine Zunge hervorschnellen ließ, obwohl ich den Kopf zum höflichen Wangenkuss zur Seite gedreht hatte, schreibt wieder eine SMS: Dass er traurig sei, dass ich mich so selten melde. Ob wir nicht mal wieder was trinken gehen wollen. Meine Email mit der Erklärung, warum ich sein Verhalten übergriffig fand, hat er wahrscheinlich schon vergessen.

      Mein Kollege fragt: Warum denn vom Patriarchat schreiben? Warum immer so negativ? Wir hätten schließlich eine Kanzlerin. Ein anderer pflichtet bei: Spätestens nach #MeToo seien die Beschwerden nun wirklich übertrieben.

      Es gibt einen Zusammenhang zwischen diesen Erfahrungen, die ich alltäglich mache. Und die andere alltäglich machen. All jene, die nicht als männlich gelten: Die Erfahrung von Abwertung und die gleichzeitige Erfahrung, dass diese nicht ernst genommen wird. Die Grade der Abwertung sind unterschiedlich, doch strukturell sind alle Frauen und Queers von ihr betroffen.

      »Patriarchat« ist der Begriff für diese Struktur. So wird sie von denen genannt, die sie bekämpfen.

      1.1Kurze Geschichte der Patriarchatskritik

      Ein paar Monate nachdem mehrere Frauen die ersten Vorwürfe gegen den Filmproduzenten Harvey Weinstein wegen Vergewaltigung und sexualisierter Belästigung erhoben hatten, schaltete Steve Bannon in Washington seinen Fernseher ein, um sich die Preisverleihung der Golden Globes anzusehen. Natalie Portman sollte die Nominierten in der Kategorie »Regie« vorstellen, die zehn männlichen Nominierten, wie sie bitter betonte. Die Frauen und Queers im Saal, Schauspieler*innen, Regisseur*innen und Filmemacher*innen, die allesamt Schwarz trugen, schüttelten empört die Köpfe. Bis Oprah Winfrey ihre Rede hielt und ins Mikrofon rief, sie seien zu lange nicht gehört worden, zu lange habe man ihnen nicht geglaubt, wenn sie es doch wagten zu sprechen. Die Zeit der mächtigen Männer sei vorbei. Ein neuer Tag sei schon am Horizont zu sehen, rief sie ins Publikum, und das rief sie auch all den jungen Menschen zu, die die Verleihung zuhause verfolgten.

      Als Bannon das sah, so schilderte er es seinem Biografen, sei


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