Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. Eine Schwarzwälder Dorfgeschichte. Auerbach Berthold

Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. Eine Schwarzwälder Dorfgeschichte - Auerbach Berthold


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neunzig Schäfer hundert Betrüger sagt man im Sprüchwort, und es ist noch mehr als wahr. Drum will ich Nichts mehr davon.“

      Die Umsitzenden stimmten auch in die Klagen über die Schäfer ein und Jeder hatte zu erzählen, wie man seit des Erzvaters Jakob Zeiten um ihrer sicher zu sein, ihnen einige Schafe als Eigenthum bei der Heerde halten muss, wie sie diese aber zu gewöhnen wissen, dass sie den anderen stets das beste Futter wegfressen, wie sie den Hund abrichten, dass er nie ein Schäferschaf beisst, wie sie immer die besten und schönsten Lämmer haben und den Mutterschafen ihre nichtsnutzigen unterschieben; kommt dann der Herr dazu, so heisst es, wie das auch bei der natürlichen Mutter sein kann: es will noch nicht recht annehmen. Allerlei Schelmenstreiche von Schäfern wurden erzählt und das Gespräch schien sich fast ganz hierin zu verlieren, bis es Diethelm wieder auf den Handel brachte, aber er zuckte zusammen, als der Steinbauer, nachdem per das eingeschenkte Glas ausgetrunken hatte, ruhig sagte, er handle nur um baar Geld.

      ,,Bin ich dir nicht gut?“ fragte Diethelm trotzig.

      ,,Du bist mir gut, und dass du mir’s bleibst, ist baar Geld das beste,“ sagte der Steinbauer und schob seine Tabakspfeife in den linken Mundwinkel, während er aus dem rechten den Rauch blies. Er sah dabei nochmal so listig aus.

      „Ist dir mein Schwager, der Schäuflerdavid auch nicht gut?“ fragte Diethelm.

      ,,Der Schäuflerdavid? freilich, der ist auch gut; wenn er sich verbürgt, kann ich bis Fastnacht mit dem Geld warten.“

      Diethelm hob hastig beide Achseln, wie wenn er etwas abschütteln müsse, dann lachte er laut und sagte:

      ,,Komm jetzt, wir wollen, ’naus auf den Markt.“

      Der Steinbauer zog einen ledernen Geldbeutel, der dreifach verknüpft war, bezahlte, nahm seinen hohen Schwarzdornstock, der in der Ecke lehnte, und ging mit Diethelm.

      Auf dem Schafmarkt stand in einer Doppelreihe Hurde an Hurde, darin die Schafe eng zusammengedrängt, theils lagen, theils standen und wiederkäuten, Alle aber waren lautlos und das allezeit blöde Dreinsehen der Schafe hatte fast noch etwas Gesteigertes. Knaben mit flüssigem Zinnober in offenen Schüsseln liefen umher und gesellten sich zu Gruppen, wo mit lautem Geschrei und heftigen Geberden gehandelt wurde. Händler stiegen in die Hurden, zogen den Schafen die Augenlider auf und schauten nach den Zähnen, Andere bezeichneten mit einer in Zinnober eingetauchten Schablone die eingekauften und zählten dabei; dort sprang eine Heerde lustig aus der geöffneten Hurde, sich in der wiedergewonnenen Freiheit überstürzend, überall war buntes lebendiges Treiben. Der Schäfer Medard kam Diethelm entgegen und sagte, dass er noch nicht verkauft, aber sichere Hoffnung habe. Nun einigte sich Diethelm schnell mit dem Steinbauer, kaufte ihm seine Zeithämmel (jährige) ab und nahm auch die Bracken dazu.

      Er eilte mit dem Steinbauer in das Kaufhaus, ihnen vorauf lief das Gerücht, dass Diethelm bereits Schafe eingekauft habe und auch für die Wolle die besten Preise bezahle. Diethelm war aber noch nicht zum Wolleinkauf entschlossen, er hatte diesen Gedanken nur so in leichtfertiger Prahlerei hingeworfen um zu verdecken, wie sehr es ihm zum Verkaufen auf den Nägeln brenne; jetzt wurde ihm das Vorhaben immer genehmer und mit seltsamem Blicke betrachtete er seinen Genossen mit dem mehr als mannsgrossen Stocke, mit dem schlichten Anzuge und der selbstzufriedenen Miene; der wünschte wohl nicht, wie er, mit Wagen und Pferd in den Stuben umherzufahren; wie weit zurück lag ihm jetzt die Zeit, wo auch er so stolz sein konnte, statt dass er jetzt, um sich nicht zu verrathen, stolz thun musste.

      „Hast kein Fuhrwerk bei dir?“ fragte Diethelm, worauf der Steinbauer erwiderte:

      „Nein, ich bin noch gut zuweg, mit dem Fahren hat’s Zeit bis ich alt bin.“

      Im Kaufhause sah Diethelm, dass die verpflichteten Wollsetzer seine Schepper (Vliesse) gut aufgesetzt hatten, sie standen an guter Stelle, nicht zu hell und nicht zu dunkel; seine spanische und seine Bastardwolle durfte sich sehen lassen. Sein nächster Nachbar war der Steinbauer, der sich darüber beklagte, dass er einen schlechten Platz habe, gerade neben der Feuerspritze und dem grossen Wasserfasse, die unter der Treppe standen. Diethelm stand mit übereinandergeschlagenen Armen ruhig neben seiner Lammwolle, als hastigen Schrittes der Reppenberger kam. Alles Blut schoss Diethelm zu Kopfe, indem er dachte, dass er vielleicht auch einst als Unterhändler hier sich tummeln, sich abweisen und anfahren lassen müsse, während Alles jetzt seine Nähe suchte und um seine Freundschaft buhlte. Diethelm war entschlossen, mindestens vom Steinbauern noch die Wolle einzukaufen. Zwar hatte er die Bürgschaft des Schwagers zu leichtfertig versprochen, aber der Steinbauer muss ihm vor der Hand glauben, und dann will er noch heute all das Mitgebrachte und das Erkaufte in der Stille versilbern, es sind dann drei Monate Zeit gewonnen, es gilt Luck auf und Luck zu zu machen, bis man den rechten Schick trifft, und der kann doch nicht ewig ausbleiben. Diethelm wurde auch hier schnell handelseins mit dem Steinbauer und als nun Andere sahen, dass dieser ihm das Seinige übergab, bestürmten sie ihn ebenfalls mit Anerbietungen. Er wehrte Anfangs ab; er wollte nicht weiter gehen. Aber vielleicht lässt sich gerade jetzt der rechte Schick machen, man darf ihn nicht aus der Hand lassen, mit so viel Waare lässt sich was Grosses versuchen — die Hand Diethelms wurde brennend von dem öfteren Handschlag, er wusste fast gar nicht mehr wie viel er eingekauft hatte und der Reppenberger brachte neue und immer bessere Gelegenheiten mit Zahlungsterminen auf Ostern oder noch weiter hinaus. Wie berauscht ging Diethelm von Stapel zu Stapel und wiederum hinaus auf den Schafmarkt von Hurde zu Hurde; ihm war’s, als hätte alles Besitzthum der Welt gesagt: ich will dein sein, du musst mich nehmen.

      Das Lärmen und Rennen um ihr her, das ferne verworrene Brausen des städtischen Marktgewühls, aus dem bisweilen einzelne Accorde der Musik, die jetzt zum Tanze aufspielte, wie aus dem Stimmengedränge heraus schlüpften, Alles das machte einen sinnverwirrenden Eindruck auf Diethelm; bald lächelte er Jedem und sein Antlitz war hochgeröthet, bald wurde es schlaff und verdrossen und alles Blut wich daraus zurück. Auf einem Wollsacke nicht weit von der grossen Feuerspritze, die im Hofe stand, sass er mit entblösstem Haupte und gekreuzten Beinen und sein Auge schaute hinein in die rothe Schreibtafel, in die er sich seine Einkäufe nach Sorte u. s. w. eingezeichnet hatte, um ihn her lagen in verschiedenen Papieren Wollproben. Diethelm fuhr sich mit der Hand über das Haupt und er meinte, er spüre es, wie ihm die Haare jetzt plötzlich grauer werden. Eben kam der Reppenberger wieder und brachte einen Mann, der eine überaus feine und haartreue Wolle habe, da sei jedes Härchen von unten bis oben gleich und Alles im Vliess gewaschen. Diethelm nebelte es vor den Augen und er ersuchte den Reppenberger, vor Allem einen guten Trunk Wein herbeizuschaffen; er fühlte sich so matt, dass er auf keinem Beine mehr stehen konnte, und besonders in den Knieen spürte er eine unerhörte Müdigkeit. Er gab den Umstehenden wenig Bescheid und starrte hinein in seine Schreibtafel und sprach mit den Lippen lautlos die Zahlen vor sich hin. Vom Hauptthurm der Stadtkirche bliesen eben die Stadtzinkenisten den althergebrachten Mittagschoral; sie standen eben auf der Westseite der Thurmgallerie und diese Posaunen und Trompeten strömten ihre langgezogenen Töne gerade zu Häupten Diethelms nieder. Er zuckte zusammen und schaute auf, als hörte er die Posaune des jüngsten Gerichtes vom Himmel herab; er fuhr sich in mit der breiten Hand langsam über das ganze Gesicht, dann schaute er hell auf, der Reppenberger rief ihm. Der herbeigebrachte Wein richtete ihn bald wieder auf und nun galt es, die begonnene Rolle muthig fortzusetzen. Die Stadtzinkenisten bliesen eben nach einer andern Himmelsgegend und die Klänge schwebten wie verloren über dem lauten Marktgewühle. Einmal sprach er eifrig und ganz allein mit einem fremden Händler und es verbreitete sich rasch die Sage, dass er im Auftrage dieses, der noch gar nichts eingekauft hatte, die Händel abschliesse. Diethelm merkte bald, dass sein Auftreten dem Markt eine ganz andere Wendung gegeben hatte; es kamen schon Unterhändler die sich im Auftrage Ungenannter nach dem Wiederverkaufe erkundigten. Eine Weile stockte er und gedachte mit mässigem Gewinn darauf einzugehen, aber der Reppenberger hatte Recht: jetzt im hohen Verkehr, wo Alles im Trab geht, kann man nicht hufen und rückwärts fahren; wenn Alles vorbei ist, dann lässt sich ein guter Treffer machen, dann hat man die ganze Geschichte allein in der Hand, drum jetzt nur muthig vorwärts. Und immer neue Zahlen stellten sich in die Schreibtafel Diethelms, er hatte schon dreimal die Schreibtafel in die Tasche gesteckt und die Hand darauf gelegt mit der Versicherung, dass er sie nicht mehr herausthue, und wenn er die Sachen halb geschenkt bekäme, er gehe nicht weiter ins Wasser, als er Boden habe; aber Alles schrie über seine Bescheidenheit,


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