Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. Eine Schwarzwälder Dorfgeschichte. Auerbach Berthold

Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. Eine Schwarzwälder Dorfgeschichte - Auerbach Berthold


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er war dann froh, dass Niemand davon wusste und schlug sich Alles aus dem Sinn; aber innerlich verborgen konnte er doch eine gewisse Hoffnung des Unerwarteten nicht ertödten, er wusste nicht was und wie, aber doch blieb’s.

      Als dem Diethelm seine Fränz geboren war, hatte Medard dieser schon einen Ehemann bestimmt, lange bevor sie ein Wort sprechen konnte.

      Munde war acht Jahre alt geworden. Es war im hohen Sommer, im Thale war abgeweidet und der Pferch begann noch nicht, Medard hatte seinen sämmtlichen Schafen Schellen umgehängt, und es ging nun auf den Trieb ins hohe Waldgebirge. Das Schellengeläute währte unaufhörlich vom Morgen bis zum Abend, denn die Schase auf der Weide fressen beständig im Gehen und stehen meist kaum so lange still, um das Gras abzuraufen; Medard war immer in wundersamer Aufregung, und er dachte mit schweren Sinnen, dass dies der letzte Sommer sei, in dem er den Munde bei sich hatte; zu Ostern musste dieser bei Strafe endlich in die Schule. „Es ist vorher gegangen, es muss nachher auch gehen,“ tröstete sich Medard, wenn er überlegte, wie er diese Trennung ertragen werde. An einem Mittag, an dem die Nebel nicht von Berg und Thal wichen, sass Medard am Waldrande, an dem ein schmaler Holzweg sich hinzog, und vor ihm, den jähen Berghang hinab, weideten die Schafe; Munde stand weiter unten, just in der Biegung des Weges in einer Brombeerhecke und erlabte sich an der saftigen Frucht. Vom Walde oben vernahm man Hacken und Knacken der Holzhauer, und das Schellengeläute war so summend, dass Medard fast in Schlaf versinken wollte. Da hörte er über sich etwas poltern, er schaute rückwärts — hat sich ein Felsen aus seiner uralten Ruhe losgelöst? Da kommt es den Weg herab, ein in Schuss gerathener lediger zweirädriger Karren, Medard ist ganz erstarrt, er schaut auf und schaut hinab und ruft schnell: Munde, geh’ bei Seite, Munde, um Gottes Willen lug’ auf! Aber das Kind hörte nicht, und der Wagen ist schon so nahe; kommt er bei Munde an, stürzt er die Halde hinab und zerschmettert das Kind, es ist kein Stein am Wege, nichts, womit man einhalten kann. All’ dies Schauen, Denken, Rufen, wär das Werk eines Augenblickes, schon ist das zermalmende Rad nahe, Medard kann sich retten — aber das Kind! Schnell streckt Medard halb träumend, halb wissend, was er thut, den rechten Fuss weit vor, es knackt, der Karren steht still . . . Die Leute, denen der Karren entronnen war, kamen mit Geschrei hinterdrein, sie fanden Medard mit zerknicktem Fusse, leblos, sie warfen schnell das Holz ab und luden Medard auf den Karren und führten ihn nach dem Dorf, wo er Monate lang eingeschindelt lag. Um so lustiger aber sprang Munde um ihn her, und das erquickte den Leidenden mehr, als all’ die guten Tränkchen, die der alte Schäfer bereitete, und mehr als die sorgsame Abwartung der Meistersfrau. Medard war nicht so grossmüthig, seinem Bruder nie zu sagen, was für ein Opfer er ihm gebracht. Das Kind verstand dessen Bedeutung noch nicht, und als er in spätern Jahren es erkannte, war die That eine längst gewohnte, wenig beherzigte, wenn gleich Munde dem älteren Bruder mit kindlicher Hingebung zugethan war, und es ihm nie in den Sinn kam, eine Einsprache dagegen zu erheben, dass ihn Medard stets ,,Büble“ hiess. Medard konnte, wenn auch mit einem lahmen Fuss, seinem Geschäfte nachgehen; die Ruhe, die es mit sich brachte, war ihm nun besonders genehm. Munde war in der Schule und Medard blickte auf die Tage, da es ihm das Kind wie mit einem Zauber angethan hatte, mit verwundertem Lächeln zurück; und doch war etwas eingetroffen, und wer wusste, was noch daraus wird. Munde lebte im Hause Diethelms wie das eigene Kind, und es war nicht anders zu vermuthen, als Diethelm würde dem Munde gern seine Fränz zur Frau geben, denn Diethelm war wegen seiner Gutherzigkeit berühmt, die er allerdings zumeist nur auf seine Freundschaft (Verwandtschaft) anwendete. Munde war und blieb eben der Schäferprinz, wie ihn Medard oft im Stillen nannte. Bei all’ seiner Zärtlichkeit für das kleine Brüderchen und dessen grosse Hoffnungen versäumte indessen Medard doch seinen einstweiligen Vortheil nicht, er wollte für alle Fälle geborgen sein, er verstand es, wie man hier erst recht sagen kann, sein Schäfchen ins Trockene zu bringen und zwar mit so verschlagener List, dass Diethelm das unbedingteste Vertrauen in ihn setzte, obgleich er es ihm noch manchmal vorrückte, dass er ein Sträfling sei. Medard machte sich nicht im Entferntesten ein Gewissen daraus, das Vertrauen Diethelms zu missbrauchen; denn das ist das Unergründliche in des Menschen Brust, dass oft Betrügerei neben Treuherzigkeit, Verstocktheit neben Zartsinn friedlich zu wohnen vermag. Als Munde confirmirt war, wurde er Schäfer, aber der ältere Bruder gab seine Hoffnung noch nicht auf: Munde musste einst die Fränz heirathen; und je mehr das Mädchen heranwuchs, um so grösser wurde auch seine Liebe zu dem jungen Schäfer, immer hütete Medard den Bruder wie seinen Augapfel und diente ihm, als wäre er sein angeborener Herr. Erst als Munde Soldat werden musste und der Diethelm ihn nicht loskaufte, fasste Medard einen tiefen Hass gegen seinen Meister; es genügte ihm nicht mehr an den gewohnten kleinen Veruntreuungen, er wünschte sich eine gewaltige That, um Zorn und Rache loszulassen; nur die Meisterin that ihm leid dabei, und wenn sie nicht wäre, sagte er oft, hätte er den Meister schon im Stall erwürgt.

      Als Medard jetzt den Bericht seines Bruders hörte, sagte er nichts, sondern stiess nur den Rauch der Pfeife immer rascher heraus.

      ,,Ich wollt’,“ schloss der Soldat, „der Diethelm würde über Nacht ein armer Mann, nachher könnt’ ich die Fränz heirathen ungefragt.“

      „Büble, du bist ein Narr,“ rief Medard, „du musst sie haben mitsammt ihrem Geld, und mag sie noch so hoffärtig sein, und ein Nückel ist und bleibt sie; aber freilich da drüber darf man mit dir nicht reden. Wenn ich nur wüsst’, wie’s mit dem Meister steht; sauber ist’s nicht, das glaub’ mir.

      Nun besprachen die Brüder das Leben des Meisters. Diethelm war ehedem ein wohlhäbiger, still arbeitsamer Bauer gewesen, er war als Knecht nach Buchenberg gekommen und hatte die reiche Wittwe, die Schwester des Schäuflerdavids, gegen den Willen ihres Bruders und ihrer ganzen Familie geheirathet. Stolz war er von je, und selbst seine vorherrschende Tugend, die ihm einen grossen Namen machte, schien davon nicht frei. Damals, als Diethelm die reiche Wittwe heirathete, lebten seine Eltern noch, aber sie wie ihre anderen sechs Kinder, die theils dienten, theils selber Familien gegründet hatten, lebten in äusserster Dürftigkeit. Das nahm nun schnell ein Ende, denn mit reicher Hand setzte Diethelm alle seine Angehörigen in Wohlhabenheit und Alles was Diethelmisch hiess, stand plötzlich in Ehre und Ansehen. Hatte Diethelm im Allgemeinen eine freigebige Hand, so war sie es noch besonders für einen auffälligen Zweck. Er kleidete nämlich gern die Armen und es war seine besondere Lust, dass Alles stattlich daher käme; und wurde er auch oft von Solchen missbraucht, die fremder Gabe gar nicht bedurften, immer wieder fand ihn Jeder bereitwillig und hülfreich. Wenn unser Meister nach Letzweiler kam, stand Alles still, als erschiene ein höheres Wesen und die Lippen bewegten sich wie zu Segenssprüchen, denn solch einen Wohlthäter hatte man noch nie gesehen und Diethelm hatte nur abzuwehren, dass ihm nicht Kinder und Greise die Hände küssten. Seine hülfreiche Mildthätigkeit war aber auch ohne Grenzen und man fabelte allerlei über seine unermesslichen Reichthümer: er habe ein grosses Loos in einer fremden Lotterie gewonnen, er habe einen Schatz gefunden und dergleichen mehr, Diethelm gefiel sich in dem Ruhm seines Reichthums und seiner Wohlthätigkeit. In den besten, manneskräftigen Jahren, als er Schultheiss geworden war, fiel es ihm auf Einmal ein, dass er genug gearbeitet habe. Er verpachtete daher seine Aecker und lief müssig und mit eingebildeten Krankheiten im Dorf umher; aber auch diess Leben verleidete ihm nach wenigen Jahren, zumal er mit den Pachtbeständern vielerlei Quengeleien hatte. Er wollte ändern, mochte aber nicht mehr zurück, verkaufte nun trotz heftigen Widerspruchs seiner Frau alle seine Aecker, nur die Wiesen behielt er und lebte von Zinsen. Bald aber fieng er einen kleinen Kornhandel an, der nicht ohne Gewinn war, und nun ging er Tag und Nacht auf sogenannte Spekulationen aus, die ihm auch meist glückten.

      Dieses Verwenden der ganzen Lebensarbeit seiner Dorfbewohner als blossen Werthgegenstandes hatte schon in sich etwas Herausforderndes, Feindseliges. Der ewige Kampf zwischen den Hervorbringenden und denen, die solches mühsame Händewerk mit Reden und Schreiben zu eigenem Vortheil verwenden, ist auf dem Lande naturgemäss ein Widerstreit gegen die Kornhändler, der sich je nach den Zeitläuften zu ausgesprochenem Hasse entwickelt. Das Vorhalten des Gedankens von dem grossen Weltverkehre und dass die Thätigkeitsergebnisse der ganzen Menschheit einander angehören, will bei dem, dessen Auge auf der beschränkten Stätte seiner Arbeit haften muss, nicht Eingang finden; in dieser wie in mancher andern Beziehung arbeitet die Zeit noch überall an der Erhebung zum Gedanken der grossen Weltgehörigkeit.

      Auch Diethelm erfuhr in seinem Thun mancherlei Hass und statt ihn zu versöhnen, reizte


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