Forschungsmethoden und Statistik für die Soziale Arbeit. Mathias Blanz

Forschungsmethoden und Statistik für die Soziale Arbeit - Mathias Blanz


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nach Zufall ausgewählt). Dies ist in Abbildung 4 in dem ersten Beispiel (ganz oben) dargestellt. Die Personen sind dabei ausschließlich in Hinblick auf das Populations-definierende Merkmal gleich (Kinder des Kindergartens X), weshalb dieses Vorgehen auch als einstufiges Auswahlverfahren bezeichnet wird. Die Zufallsauswahl kann dabei entweder ohne eine Systematik erfolgen (z. B. per Los; sog. einfache Zufallsstichprobe), bei der alle möglichen Kombinationen an MerkmalsträgerInnen entstehen können (z. B. die Kinder 2, 3, 5, 14 etc.), oder mit einer Systematik (z. B. jedes zweite Kind wird ausgewählt; sog. systematische Zufallsstichprobe), bei der nicht alle Kombinationen an MerkmalsträgerInnen auftreten können (z. B. die Kinder 2, 4, 6, 8 usw.). Bei der geschichteten Zufallsstichprobe (vgl. dazu das zweite Beispiel in Abbildung 4) wird zunächst die Grundgesamtheit nach einer Schichtungsvariablen (z. B. Geschlecht) unterteilt, und anschließend proportional zur jeweiligen Schicht eine Anzahl an Personen zufällig ausgewählt. Ein solches Vorgehen wird als zweistufiges Verfahren bezeichnet (erste Stufe: Schichtung, zweite Stufe: Zufallsauswahl). Befinden sich im Kindergarten X beispielsweise mehr Mädchen (zwei Drittel) als Jungen (ein Drittel), dann wird entweder per Los (ohne Systematik) oder per Position (mit Systematik) eine Stichprobe gezogen, die ebenfalls zwei Drittel Mädchen und ein Drittel Jungen beinhaltet.

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      Abb. 4: Varianten zufallsbasierter (probabilistischer) Stichproben (nach Selg & Bauer, 1971)

      Anstelle einer Schichtung können in einem zweistufigen Verfahren auch sog. Klumpen (oder Teilmengen) verwendet werden (vgl. drittes Beispiel in Abbildung 4). Im Unterschied zu Schichten (z. B. Geschlecht) stellen Klumpen »ein verkleinertes Abbild der Grundgesamtheit« (Ostermann & Wolf-Ostermann, 2012, S. 23) dar. Bezogen auf den Kindergarten X stellen beispielsweise die Bären-, die Krokodil- und die Hasengruppe drei Klumpen dar. Bei einer Klumpenstichprobe wird die Population zunächst in Teilmengen unterteilt (sog. Auswahleinheiten) und anschließend einige dieser Teilmengen nach dem Zufallsprinzip (ohne oder mit System) als ganze Gruppen zur Datenerhebung ausgewählt (z. B. die Bären- und die Hasengruppe; sog. Erhebungseinheiten). Eine gelungene Klumpenbildung setzt voraus, dass die MitgliederInnen eines Klumpens keine größere Ähnlichkeit zueinander aufweisen als die Merkmalsträger der Population. Wird diese Voraussetzung verletzt, führt dies zu einem vergrößerten Stichprobenfehler. Schließlich besteht noch die Möglichkeit, anstelle ganzer Klumpen eine Zufallsauswahl aus den jeweiligen Teilmengen zu ziehen. Dies stellt das letzte Beispiel zufallsbasierter (probabilistischer) Stichproben in Abbildung 4 dar (ganz unten) und wird als mehrstufige Stichprobe bezeichnet. Im Beispiel würde man dazu aus der Bären- und der Hasengruppe nach Zufall (ohne oder mit Systematik) einzelne Kinder für die Stichprobe auswählen.

      Ein solches Vorgehen ist insbesondere dann ratsam, wenn die Grundgesamtheit über ein großes räumliches Gebiet verstreut ist. Dazu noch ein weiteres Beispiel: Es soll eine Befragung zu den Arbeitsbedingungen von Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen in kommunalen Beratungsstellen durchgeführt werden. Da es schwierig ist, alle SozialpädagogInnen in allen deutschen Beratungsstellen zu befragen, wird eine mehrstufige Stichprobe gebildet. Hierfür wird zunächst eine vollständige Liste mit allen Kommunen, die Beratungsstellen anbieten, erstellt. Danach wird eine zufällige Auswahl von den zu untersuchenden Kommunen getroffen. Im nächsten Schritt werden alle Arten von Beratungsstellen (z. B. für Ehe und Familie, Sucht, Senioren und Menschen mit Behinderungen, Schwangere usw.) der zu untersuchenden Kommunen aufgelistet und per Zufall jeweils eine davon ausgewählt. Im Anschluss wird eine zufällige Auswahl von SozialpädagogInnen aus den gezogenen Einrichtungen getroffen.

      Abschließend sei noch auf Stichproben mit Messwiederholungen hingewiesen. So wird beispielsweise bei Längsschnittstudien dieselbe empirische Untersuchung (zumeist eine Befragung) zu mehreren Zeitpunkten durchgeführt und die Befunde der einzelnen Erhebungswellen miteinander verglichen. Während bei einer Panelstudie dieselben Personen mehrmals über einen Zeitraum erfasst werden (ein Beispiel ist das Sozio-oekonomische Panel, SOEP, bei dem jährlich über 12.000 Privathaushalte in Deutschland befragt werden), werden bei einer Trendstudie (auch: replikativer Survey) in jeder Erhebungswelle unterschiedliche Personen erfasst (ein Beispiel ist ALLBUS, die Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften, bei der i. d. R. alle zwei Jahre mehrere Tausend TeilnehmerInnen zu Einstellungen, Verhalten und Sozialstruktur interviewt werden) und in einer Kohortenstudie Personen bestimmter Altersklassen (Jahrgänge), wie zum Beispiel bei epidemiologischen und entwicklungspsychologischen Fragestellungen.

      Stichprobenumfang

      Die Stichprobengröße beeinflusst zusammen mit der Auswahlstrategie (zufallsbasiert versus nicht zufallsbasiert) und dem Forschungsdesign (explorativ, deskriptiv, explanativ) die Gültigkeit (Validität) einer sozialwissenschaftlichen Stichprobenuntersuchung. Die Bedeutung des Stichprobenumfangs hängt dabei jedoch von den beiden anderen Faktoren ab. Bei explorativen Studien kann die Anzahl der UntersuchungsteilnehmerInnen sehr klein ausfallen, wenn aus den Ergebnissen nicht auf eine Grundgesamtheit geschlossen werden soll. Das kann z. B. dann der Fall sein, wenn die explorative Studie lediglich dem Ziel dient, Hypothesen zu generieren, die dann anschließend an einer größeren Stichprobe empirisch überprüft werden. Oder, um ein anderes Beispiel zu nennen, wenn bei einer Voruntersuchung vor der Durchführung des (Haupt-)Experimentes die unabhängigen Variablen (das Vorgehen bei der Herstellung der Wenn-Bedingungen) und die abhängigen Variablen (das Vorgehen bei der Messung der Dann-Folgen) auf ihre Zuverlässigkeit exemplarisch überprüft werden sollen. Auch in diesem Falle ist die Zuverlässigkeit dieser Instrumente in der späteren Hauptuntersuchung zu bestätigen.

      Für deskriptive (populationsbeschreibende) Untersuchungen besteht eine starke Abhängigkeit der Stichprobengröße von der Auswahlstrategie. Ein anwachsender Stichprobenumfang erhöht die Repräsentativität in solchen Studien nämlich nur dann, wenn die Auswahl »unverzerrt« erfolgt (siehe Koch, 1998): Liegt hingegen eine ungünstige Selektionsstrategie vor (z. B. ein nichtprobabilistisches Verfahren), dann wird die Stichprobe kaum dadurch verbessert, dass man sie vergrößert. Verwendet man in deskriptiven Studien jedoch ein zufallsbasiertes (probabilistisches) Auswahlverfahren, dann steigt die Repräsentativität mit dem Umfang der Stichprobe. Dies liegt darin begründet, dass mit zunehmendem Stichprobenumfang der Stichprobenfehler (Standardfehler), d. h. die Ungenauigkeit der Schätzung von Populationsparametern durch Stichprobenstatistiken, immer kleiner wird (image Kap. 6). Allerdings ist der Zusammenhang zwischen Stichprobengröße und Stichprobenfehler nicht »proportional« (in einem linearem Verhältnis zueinander), d. h. eine Erhöhung der Stichprobe von 100 auf 200 Personen bewirkt eine wesentlich stärkere Reduktion des Stichprobenfehlers (und eine Verbesserung der Repräsentativität) als eine Erhöhung von 1000 auf 1100 Personen. Bortz & Döring (2006, S. 420 ff.) bieten spezielle Tabellen, aus denen man die notwendige Stichprobengröße deskriptiver Studien bestimmen kann.

      Bei explanativen Untersuchungen, d. h. bei Experimenten, hängt der Stichprobenumfang nicht nur von der Repräsentativität der teilnehmenden Personen ab, sondern von weiteren Aspekten wie z. B. der Anzahl der Versuchsbedingungen. Ist bei der Versuchsplanung beispielsweise nur eine unabhängige Variable mit drei Abstufungen (z. B. »keine Rezeption von Mediengewalt«, »1 Stunde Gewaltrezeption«, »2 Stunden Gewaltrezeption«) vorgesehen, liegen drei Versuchsgruppen vor, wird hingegen zusätzlich ein zweiter Faktor (unabhängige Variable) eingeführt, der z. B. aus zwei Abstufungen besteht (»realistische« versus »fiktive« Darstellung der Mediengewalt), dann resultieren bereits 3 ⋅ 2 = 6 Versuchszellen. Für experimentelle Studien sollte der Stichprobenumfang umso größer ausfallen, je mehr Versuchszellen vorliegen. Als grobe Orientierungshilfe kann ein Minimum von 20 Personen pro Zelle dienen. Für das Beispiel mit 6 Versuchsbedingungen wären also wenigstens 120 Teilnehmer zu rekrutieren und gleichmäßig auf die Versuchszellen zu verteilen.

      Vollständige Repräsentativität ist ein Ideal, das wohl in den seltensten Fällen in sozialwissenschaftlichen Studien erreicht wird. Die Annäherung an dieses Ideal vollzieht sich in der Forschungspraxis i. d. R. dadurch, dass zumindest schwer wiegende Argumente, die für die Nicht-Repräsentativität einer Stichprobe


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