In deiner Kammer. Paul Keller

In deiner Kammer - Paul  Keller


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haben Sie mich richtig wiedererkannt?“

      Da machte sie ein geschäfts-kluges Gesicht.

      „Nu, ich wer’ doch! Sie sein ja immer mei bester Kunde gewesen.“

      Er lachte.

      „Haben Sie denn eine feste Kundschaft?“

      „O je, man muss wissen, wo man was herkriegt. Ich hol’ mir’s so auf der Strasse zusammen seit 15 Jahren. Sie sein wohl ganz von hier fortgemacht gewesen?“

      „Ja, Henselten, ja, das heisst, warten Sie mal ... es freut mich riesig, dass Sie mich wiedererkannt haben ... da, nehmen Sie nur ..., ich bin’s Ihnen lange genug schuldig geblieben.“

      Die Alte starrte auf das grosse Geldstück, das er ihr hinhielt.

      „Nehmen Sie’s nur, ... ich werd’ mich jetzt schon besser um Sie kümmern. Wo wohnen Sie denn?“

      Sie stammelte ihre Wohnung. In diesem Augenblicke nahte ein Schutzmann. Da griff sie scheu nach dem Geldstücke und humpelte mit langen Schritten davon.

      „Mein Herr, sind Sie von der Alten angebettelt worden?“

      „Angebettelt? Ich? Keine Idee! Wir sind alte Bekannte! Ich hab’ mich gefreut, sie wiederzusehen.“

      „Pardon! Wir haben nämlich die Frau neuerdings im Verdachte, dass sie bettelt.“

      Herr Berthold liess den findigen Polizeimann stehen und ging.

      Die Strasse endete, ein kleiner Platz kam. Den Einsamen befiel ein leises Zittern. Hier hatte er gewohnt. Ob er’s wagte, einmal bis an das Haus hinüberzugehen, in dem er so glücklich und so zum Tode verzweifelt gewesen war? Es waren kaum zweihundert Schritte.

      Er ging. Aber mitten auf dem Platze blieb er stehen. Dort drüben lag das Haus! Nummer 28... eine richtige Mietskaserne. Und doch sah’s jetzt nicht unschön aus. Fast aus jedem Fenster fiel Lichtschein. Das war ein Zeichen, dass lauter kleine Leute dort wohnten.

      Nur die Fenster, hinter denen er gewohnt hatte, waren dunkel. Minutenlang schloss er die Augen. Es störte ihn niemand; der Platz war nicht reich an Verkehr.

      Vor vierzehn Jahren war er dort drüben eingezogen, ein armer Kerl, aber doch ein glücklicher Mann. Sein Kleinod war die Margarete gewesen, sein junges, hübsches Weib. Jetzt wohnte er in einem viel schöneren Hause, jetzt hatte er ein anderes Weib ...

      O Gott! ...

      Ja, es ging doch nicht, dass er so erregt dastand, es würde auffallen. Langsam ging er vollends hinüber. Nummer 28! Ein Schild hing an der Haustür.

      „Freundliche Wohnung im zweiten Stock, drei Zimmer mit Zubehör, 480 Mark, bald zu vermieten.“

      Das musste „seine“ Wohnung sein. Er trat zurück. Richtig, die Fenster waren ohne Gardinen. Die Wohnung war frei.

      Mit raschem Entschluss trat er in das Haus. Ein Klingelzug war da, daneben stand: „Zur Hausmeisterin!“

      Er schellte.

      Lange musste er warten. Da endlich kam ein schlürfender Schritt die Kellertreppe herauf. Es war wirklich noch die alte, langsame Hausmeisterin. Er erkannte sie genau, doch sie kannte ihn nicht.

      „Bitte, wollen Sie mich in die freie Wohnung im zweiten Stock führen.“

      „Die Wohnung wird nur bei Tage gezeigt.“

      Er suchte in der Tasche und gab ihr ein Markstück.

      „Machen Sie eine Ausnahme, ich hatte nicht eher Zeit!“

      Da war sie willfährig und holte ein Licht.

      Sie stiegen die erste Stiege hinauf. Sie kam ihm sehr schmal und steil vor. Früher war ihm das nicht ausgefallen; jetzt war er verwöhnt. Im ersten Stock las er die Türschilder.

      „Ah, wohnen die Wendrichs immer noch hier?“

      „Ja! Der Herr kennt wohl die Madame Wendrich? Die Tochter ist jetzt verlobt.“

      „Die Luise?“

      „Ja, die Luise.“

      Na also! Vor 12 Jahren schon war das Mädel heiratsfähig und die Mutter hielt eifrige Ausschau für sie. Und jetzt ist sie schon verlobt. Nur Geduld muss man haben.

      Die zweite Stiege!

      „Warten Sie mal! Langsamer, — langsamer — ich — ich hab’ etwas kurzen Atem.“

      „Wir sind gleich da. Hier — rechts ist die Wohnung!“

      Er bleibt auf den letzten Treppenstufen stehen und hält sich an das Geländer. Die Kräfte drohen ihm zu schwinden — eine Angst packt ihn — eine furchtbare Scheu, da hineinzugehen.

      „Sie! Ich glaube doch, es ist besser, wenn ich bei Tage wiederkomme.“

      „Nu da! Jetzt, wo der Herr oben ist! Nee, nee, — ich hab’ hier ’n Stückchen Licht — bitte, kommen Sie nur! — Also das hier ist das Entree — es ist sehr geräumig —“

      „Jawohl,“ sagt er, indes er in der offenen Tür lehnt, — „4 Meter 20 lang und 1 Meter 80 breit.“

      „Na, sowas, — so ein Augenmass, — gestern erst ist’s ausgemessen worden! Das stimmt ja aufs Haar! Das is ja rein die Unmöglichkeit.“ —

      „Zeigen Sie mir rasch die andere Wohnung, — ich — ich muss dann wieder fort — jawohl, ich hab’ nicht viel Zeit —“

      „Gleich, lieber Herr! — Nanu, was ist ’n das für’n Geschrei dort unten? Jeses, das is der Julius, mein Enkelsohn, lieber Herr, — der is gewiss wieder gefallen, — das Kind, das Kind — ’n Augenblick bloss, lieber Herr, muss ich mal runter, — ich bin gleich wieder da — der Julius — entschuldigen Sie nur — der Junge —“

      Sie drückt ihm das brennende Stearinlicht in die Hand und lässt ihn allein.

      Regungslos steht der Fremde. Es ist totenstill um ihn her. Nur die Flamme knistert leise, und ein wenig Stearin tropft auf die Diele. Da wendet er scheu den Kopf und zuckt kurz zusammen vor seinem eigenen Schatten, der sich dunkel von der Wand abhebt.

      Endlich geht er auf die eine Tür zu und legt die Hand auf die Klinke. Aber er bleibt zögernd stehen, als ob er in ein Mysterium eindringen sollte.

      Wenn er öffnete, und der Tisch wäre gedeckt da drin wie einst, und sie stünde in der Stube und säh’ ihn an mit ihren freundlichen Augen! Die Hand zittert ihm heftig, und da geht die Tür auf.

      Ein leerer, dunkler Raum. Nur das Stearinlicht wirft einen unsicheren Schimmer über das Gemach hin.

      Das war ehemals seine Wohnstube! Dort stand das Sofa, dort der Tisch, dort sein kleiner Schreibtisch, dort ihr Nähtisch. Er weiss noch alles, er weiss, wo jedes Bild gehangen hat an der Wand. Und jetzt ist alles fort; das Sofa, der Tisch, die Bilder und — sie!

      Der Mann legt die Hand über die Augen. Dann rafft er sich auf und sieht sich genauer in der Stube um. Es ist eine andere Tapete, aber es stecken noch ein paar Nägel in der Wand von seiner Zeit her. Auch der Ofen hat noch die zwei zersprungenen Kacheln, die er kennt.

      Die Scheu vermindert sich, ein Heimatgefühl überkommt ihn. Da tritt er in das zweite Zimmer. Es war ehemals seine „gute Stube“. Er wollte ja eigentlich gar keine gute Stube, aber Margarete bestand darauf nach Frauenart. Es war eine ihrer wenigen kleinen Eitelkeiten. Er muss ein wenig lächeln. Wie klein und niedrig dieses Zimmer war! Seine jetzige Küche ist doppelt so gross als diese „gute Stube“. Und doch war es eine gute Stube, so sehr gut, dass er sich jetzt keiner einzigen bösen Stunde erinnert, die er hier verlebte.

      Er tritt ans Fenster. Dort drüben liegt ein grosses dunkles Haus. Eine Volksschule ist’s, und er hat vor Jahren dort amtiert. Jetzt ist er längst nicht mehr Lehrer, jetzt ist er Grosskaufmann, Fabrikbesitzer, Stadtverordneter, Gott weiss, was er jetzt alles ist. Ja, ja, er ist gewaltig in die Höhe gekommen, sein Vermögen hat sich vermehrt,


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