In deiner Kammer. Paul Keller

In deiner Kammer - Paul  Keller


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auch wieder Lehrer sein können. Ich danke dir, Margarete, denn das wusstest nur du!“ — — —

      Die alte Hausmeisterin kommt. Sie erhebt ein grosses Lamento über ihren Enkel, der sich sehr verletzt habe, und bittet um Entschuldigung wegen ihres langen Ausbleibens.

      „Schon gut, Frau Völker, es ist schon gut! Ich miete die Wohnung! Hier haben Sie eine Anzahlung, und hier ist meine Adresse. Ich komme bald wieder, da regeln wir alles. Gute Nacht, Frau Völker!“

      „Gute Nacht, mein Herr!“

      Verwundert geht die Frau auf den Flur an eine Gasflamme.

      „Woher er bloss meinen Namen weiss!“

      Sie liest: „Franz Berthold.“

      „Herr Berthold, — Jeses, — Herr Berthold! Herr Berthold!“

      Der hört sie nicht mehr. Er geht unten bereits wieder über den Platz.

      Die Eisenbahn.

      Der Schluss einer Geschichte.

      Er sieht wieder nach der nahen Berglehne, über die der Weg nach der Stadt führt. Der Wind geht heute; da ist die Luft klar, und er wird vielleicht die Eisenbahn sehen können. Zwei Stunden sind’s ganz gut bis dahin, aber er hat schon einmal am Damme gestanden und die Bahn ganz nahe gesehen.

      Auf der Berglehne steht eine Windmühle, die ist der Stolz des ganzen Dörfchens, denn sie hat fünf Flügel. Der Joachim hat einmal den Müller gefragt: ob es ihm denn nicht auch so vorkäme, als zeige die Windmühle beim Drehen mit ihren fünf Fingern immer hinüber nach der Stadt. Doch der Müller hat gelacht und gesagt, die Windmühle hätte ja gar keine Finger.

      „Und sie hat doch Finger!“

      Der Joachim lehnt sich am Feldrain zurück und versinkt ins Träumen. Zwei- oder dreimal meldet ihm der Schäferhund, dass nicht alles in Ordnung sei. Er beachtet’s nicht. Er ist dem Hunde gram und den Schafen noch mehr.

      Dass er wandern wird, steht fest; aber nicht nach Berlin, wie er bisher wollte, sondern lieber nach Hamburg, wo das Meer ist. — Oder nach Breslau! — —

      Eine schwere Röte zieht über das Gesicht des Burschen, und er schaut sich um: ob auch kein Mensch in der Nähe sei. Er ist ganz allein. Da wird er mutig und spinnt seinen Gedanken fort. Nach Breslau!

      Ja, das ist sicher: sie hat zu ihrem Vater gesagt, er hätte ein interessantes Gesicht und kleine, schöne Hände. Die Martha hat’s aufgeschnappt und ihm wiedererzählt. Seit der Zeit spricht er öfter mit der Martha als sonst. Aber sie erzählt nichts Neues mehr.

      Warum sie nur vorgestern so heulte, die Martha, das dumme Ding? Sie hat’s doch gut, sie ist so viel um das Fräulein und darf ihr die meisten Dienste tun. — —

      Wie das Fräulein doch so klug, so reich und so engelsschön sein kann! Weit in der Ferne, in der grossen Stadt, gibt es vielleicht noch mehr solche Mädchen. Doch es soll ja nicht mehr geben, nur diese eine, nur diese!

      Nach einer Weile fängt der junge Schäfer an zu rechnen und wälzt sich dann schwer im Grase. Es sind wirklich fünf Wochen, dass sie da ist, und ist nur noch eine Woche Zeit.

      Joachim seufzt schwer. Der Winter ist so lang und der Sommer so kurz, und nur im Sommer ist er glücklich.

      Die Sommergäste hat er immer verehrt — alle, sogar die dicke Kaufmannsfrau aus Posen. Die Sommergäste sind alle reich, sie brauchen nicht zu arbeiten, sie sind nicht grob zueinander und tragen nie schmutzige Kleider.

      Joachim schaut an sich hinunter. Er hat die Sonntagsstiefel an und würde sogar den Sonntagsanzug zum Schafehüten anziehen, wenn er nur nicht gar zu sehr ausgelacht würde. Er möchte sich immer halbtot schämen vor ihr ... so in diesen Lumpen.

      Ob sie heute aufs Feld kommen wird, oder ob sie im Walde liest? Gestern hat sie ihm im Vorbeigehen nur zugenickt, aber vor vier Tagen ist sie mit ihrem Vater bei ihm stehen geblieben. Ob denn die Schafe nicht auch manchmal krank würden, hat sie gefragt. Da ist er glücklich gewesen, ihr alle Schafkrankheiten aufzählen zu können, die er kannte, und hat auch die Mittel angegeben, sogar die geheimen.

      Jetzt taucht ihm auch der Wunsch auf sie möchte einmal krank werden, er würde dann Tee für sie suchen. Aber er kann nichts für sie tun — gar nichts. —

      Der Joachim ist ein wenig müde, darum lässt er von der Zukunft ab und denkt ans Vergangene — an alle Begegnungen mit ihr. Diese Gedanken sind ganz mühelos, weil sie ihm so geläufig sind.

      Am liebsten stellt er sie sich vor, wie er sie zuerst gesehen hat; damals, als er mit der Herde heimtrieb und sie in der Haustüre stand. Er hat jetzt herausgefunden, dass das runde Fenster in der Tür, das im Abendlichte glänzte, ausgesehen habe wie eine Krone über ihrem Haupte oder wie ein goldener Heiligenkranz. Manchmal, wenn er sehr lebhaft daran denkt, kommen ihm Tränen in die Augen.

      Aber wenn er an die andere Geschichte denkt, wie sie ihn fragte, ob es wahr sei, dass er Gedichte machen könne, wird er wild — wild über sich selbst.

      „Es ist ja erst gar nicht wahr.“ Das sagt man doch zu keinem solchen Fräulein. Und dann überhaupt, was war er für ein Esel, dass er sich so schämte! Er hätte sein Glück machen können. Er hätte einfach „ja“ sagen und das blaue Heft zeigen sollen, dann hätte sie doch gesehen, dass er kein so erbärmlicher, dummer Kerl ist.

      Nun weiss sie von allem nichts.

      Wenn sie ihn noch einmal fragte, nur noch ein einziges Mal fragte! Aber er weiss schon, damit ist’s nichts mehr, sie hat’s übel genommen.

      Er müsste selbst anfangen!

      Joachim gerät in grosse Erregung, steht auf und macht einen Gang um die Herde. Dann setzt er sich wieder auf den früheren Platz.

      Sein alter Plan ist wieder vor ihm aufgetaucht; der Traum von der grossen Stadt, von Ruhm und Reichtum. Den Zeitungsfetzen, auf dem von dem Dichter Peter Rosegger gedruckt steht, der jetzt berühmt und reich sei und doch ehemals bloss ein ungebildeter Schneidergeselle war, trägt er noch immer bei sich. Er liest die Geschichte alle Tage, denn wenn er sie bloss auswendig vor sich hinsagt, glaubt er sie nicht. Dass es so etwas wirklich geben könne, hat ihn ja so glücklich und so faul gemacht. Vor dem Winter wird ihn der Bauer fortjagen. Das macht der Geiz.

      Es ist alles egal. Wenn er nur wüsste, wo der Schneider und Dichter Rosegger wohnt; da würde er einmal einen Brief an ihn schreiben, wie man’s anfangen müsse, wenn man ungebildet sei und dichten könne. Aber die Adresse steht nicht in der Zeitung.

      Jetzt zieht er das blaue Heft unter der Weste hervor und beginnt in halblautem, singendem Tone Gedichte zu lesen. Plötzlich erstirbt seine Stimme zum Flüstern:

      „Es kann nicht sein,

      Du bist so fein

      Doch du so weit und ich hier allein,

      Das — das kann erst recht nicht sein!“

      „Adieu, Joachim! Wir reisen heute schon! Adieu! Adieu!“

      Der Schäfer schrickt auf. Drüben auf der Strasse sieht er die Droschke seines Bauern vorbeifahren, darin sitzt sie und ihr Vater.

      „Adieu, Joachim!“

      Der sitzt wie versteinert. Der Wagen fährt weiter. Sie wendet sich um und winkt noch einmal, auch der Vater. Und der Anton sitzt vorn auf dem Bock und knallt mit der Peitsche. Das alles sieht Joachim, aber er vermag kein Glied zu rühren. Er starrt nur dem Wagen nach, der den Berg hinauffährt. Erst wie er ihn jenseits des Hügels verschwinden sieht, öffnen sich seine Lippen. Ein kurzes, lallendes Lachen kommt ihm vom Munde:

      „Sie ist fort!“

      Dann sitzt er wieder ganz still — eine Viertelstunde lang; nur einen Stengel Sauerampfer kaut er gedankenlos. Schliesslich legt er sich hin, mit dem Gesicht auf die Erde, und bleibt so liegen eine halbe Stunde lang.

      Plötzlich springt er auf. Er reisst die Mütze vom Kopfe und schlägt mit ihr Räder in die


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