Handbuch Qualitätsmanagement im Krankenhaus. Heidemarie Haeske-Seeberg
konventionellen Operationsinstrumentarium. So stiegen die Kosten deutscher Krankenhäuser von 1996 bis 2017 von 48,4 Mrd. € auf insgesamt rund 91,3 Mrd. €.13
1.2.3 Entwicklung der Informationstechnologie
Auch im Gesundheitswesen sind die Auswirkungen der Entwicklung der Informationstechnologie zunehmend spürbar. Der Einsatz von Chipkarten, die Digitalisierung von Röntgenbildern, der Einsatz von Telemedizin sind nur einige Beispiele. Auch die schnellere Verfügbarkeit von Forschungsergebnissen und die Möglichkeit der Recherche im Internet und in großen Datenbanken sind zu nennen.
Auch dies ist eine Entwicklung mit Auswirkungen in zwei Richtungen: Einerseits kann es zur Effizienzsteigerung beitragen, wenn z. B. durch den Einsatz von Telemedizin Spezialisten online früher oder regelmäßiger in Behandlungen einbezogen werden, da auf elektronischem Wege Konsile und Beratungen durchgeführt werden können. Andererseits trägt die Entwicklung dazu bei, dass sich neue Erkenntnisse aus der Forschung schneller als früher in der Routine verbreiten, was den erforderlichen Ressourceneinsatz schneller als bisher steigert.
1.2.4 Ansprüche der Patienten an das Gesundheitssystem
Auch im Verhalten der Bevölkerung in Bezug auf das Gesundheitswesen gibt es Trends zu beobachten. In der Trendstudie der Zukunftsinstitut GmbH wird im Trend 16, Can-Do-Medizin folgender Trend beschrieben: Zukunftsstudie Horx:14 »Doch die Patienten mucken auf. Gesundheit wird heute von vielen Menschen als Teil ihrer Selbstbestimmtheit gesehen. Ein starkes Bedürfnis nach Selbstbehandlung und Selbstheilung entsteht.«
Für die Bevölkerung stehen Gesundheitsinformationen heute leichter zugänglich als bisher zur Verfügung. Durch die weite Verbreitung des Internets haben Patienten heute einfachen Zugang zu Forschungsergebnissen, medizinischen Leitlinien, Anbieteradressen und Benchmarking-Ergebnissen. So sind über die Internet-Seiten der AWMF mit stark wachsender Tendenz derzeit bereits ca. 500 Leitlinien aus nahezu allen medizinischen Bereichen zugänglich. Auch durch englische, kanadische, amerikanische oder holländische Organisationen wird eine Vielzahl von Leitlinien im Internet präsentiert.
Auch Ergebnisse von externen Krankenhausvergleichen sind im Internet zu finden. Hier finden sich ausländische Beispiele. Das Health Net®, eine kalifornische Versicherung, veröffentlichte bereits 1998 auf der Basis von Patientenzufriedenheitsbefragungen sogenannte »Report Cards«, die Auskunft über Ergebnisse der einzelnen Ärztegruppen, mit denen Versorgungsverträge bestehen, in verschiedenen Zufriedenheitsdimensionen geben.15 Diese Veröffentlichungen sollen ausdrücklich der Information der Versicherten über ihre behandelnden Einrichtungen und Ärzte dienen. Sie sollen aber auch die gezielte Auswahl von Anbietern unter Qualitätsgesichtspunkten unterstützen.
Auch über die Internetseiten des englischen National Health Service wurden 1997 erstmals und seither regelmäßig eine Vielzahl von angebots- und qualitätsbezogenen Informationen über Krankenhäuser der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Um die oft schwierige Interpretation der Daten zu unterstützen, wurde zeitgleich eine Vielzahl von Interpretationshilfen veröffentlicht. Inzwischen sind auch vergleichende Ergebnisse im Internet für Jedermann einsehbar.
Durch die deutschen Aktivitäten von Qualitätskliniken.de und die Initiative Qualitätsmedizin sind vergleichende Ergebnisse von Anbietern seit etwa zehn Jahren verfügbar. Dies wird ergänzt durch die Weisse Liste oder auch klinikbewertungen.de.
Die Möglichkeit der Information für die Bevölkerung über gesundheits- bzw. gesundheitssystembezogene Daten und Fakten wächst also stetig. Der Gesetzgeber in Deutschland hatte im § 137 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) vorgesehen, dass im Jahr 2005 erstmalig für das Jahr 2004 jedes Krankenhaus einen Qualitätsbericht vorzulegen hat. Obwohl die Anforderungen an diesen Qualitätsbericht immer noch nicht ausreichend sind, um interessierten Bürgern und potenziellen Patienten einen Einblick in die Leistungsfähigkeit der Einrichtungen zu geben, ist dies doch ein Schritt in diese Richtung. Er wird ergänzt durch die vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) 2019 in Auftrag gegebene Entwicklung eines Vergleichsportals für Krankenhäuser.
Durch die gesteigerte Kaufkraft weiter Teile der Bevölkerung ist allgemein ein selbstbewussteres Auftreten vieler Menschen in ihren Kunden-Lieferanten-Beziehungen zu beobachten. Dies überträgt sich auch auf die Erwartungen der Patienten an Leistungsanbieter und Organisationen im Gesundheitswesen und ihr Verhalten ihnen gegenüber.
Stärker als bisher erwarten Patienten die Möglichkeit, diagnostische und therapeutische Entscheidungen selbst zu treffen und durch die Leistungserbringer in geeigneter Weise darin unterstützt zu werden. Aus passiven, leidenden Patienten werden in zunehmendem Maße Menschen, die die zu erwartende Qualität einer Dienstleistung vor der Leistungserbringung einschätzen und dementsprechend den Leistungsanbieter bewusst selbst auswählen wollen.16
Ein eindrucksvolles Beispiel hierfür liefert der Bereich Geburtshilfe, in dem – bedingt durch die Forderungen immer selbstbewusster werdender zukünftiger Eltern – die Angebote inzwischen weitgehend differenziert und kundenorientiert ausgestaltet, bedarfsgerecht vorgehalten und in Geburtsvorbereitungskursen, Informationsveranstaltungen für werdende Eltern oder im Internet den potenziellen Kunden kommuniziert werden. In nur wenigen Jahren hat die überwiegende Anzahl geburtshilflicher Einrichtungen eine breite Palette unterschiedlicher Angebote für die individuelle Gestaltung der Geburt entwickelt und hält diese vor. Zukünftige Eltern informieren sich im Vorfeld über Angebote und werden in ihrer potenziellen Kundenrolle regelrecht umworben.
Immer mehr Patienten, die sich in ihren Bedürfnissen nicht ernst genommen fühlen, wenden sich von der Schulmedizin ab und nehmen die Angebote des »anderen« Medizinmarktes mit alternativen Heilangeboten war. Eine steigende Zahl von Angeboten in Grenzbereichen der Prävention, Rehabilitation, aber auch alternativer Therapien belegt diesen Trend.
Badura und Schellschmidt17 beschreiben die Gründe für eine Neuorientierung im Gesundheitssystem hin zu mehr Bürgerorientierung wie folgt:
• Erhöhte Erwartungen der Bürger hinsichtlich Transparenz, Aufklärung und Mitgestaltung an das Gesundheitswesen, ausgelöst durch wachsende finanzielle Belastungen
• Unzureichende und zögerliche Reaktion des Gesundheitswesens auf veränderte Anforderungen durch den demografischen Wandel
• Unterbewertung der Rolle der Bürger bei Prävention, Gesundheitsförderung und Bewältigung chronischer Erkrankungen durch Leistungsanbieter
• Ungebrochene Ausrichtung der Medizin an technischem Fortschritt und technischen Möglichkeiten
• Dominanz von Trägern, Gesundheitseinrichtungen und Berufsgruppen in der Diskussion um Rahmenbedingungen, Strukturen und Prioritäten, zu geringe Beteiligung aufgeklärter Bürger, informierter Versicherter und qualifizierter Patienten
• Notwendigkeit der Stärkung der Rolle der Patienten in einem ordnungspolitisch gewollten Wandel in Richtung »Markt«
Viele der bereits als Rahmenbedingungen beschriebenen Phänomene spiegeln sich also auch aus der Bürger- bzw. Patientenperspektive. Trojan hat dies in einer Tabelle zusammengetragen (
Tab. 1: Rollenentwicklung im Gesundheitswesen (Quelle: vgl. Trojan 1998, S. 16)
Konzeption des GesundheitswesensAspekte