Wir mussten einander finden. Anny von Panhuys
ich, damit mein Ruhm als Künstlerin wächst und so groß wird, daß er sich neben dem Namen Frohnstainer, dem Namen der Familie, aus der du stammst, Mutter, behaupten kann. Urgroßvater Josef Frohnstainer war ein ganz Großer, und die Geige von ihm, die durch dich in meine Hände gekommen, gebe ich nicht für alle Schätze der Welt.“
Die Aeltere fuhr sich über die Augen, die sich mit einem feuchten Schimmer überzogen hatten.
„Hast recht, Kind, die Geige festzuhalten. Dein Vater und ich haben sie festgehalten in Stunden bitterer Not und hätten uns oft damit helfen können. Wir haben sie für dich aufgehoben. Schon damals, als du, kaum sechsjährig, so verlangend die Händchen ausstrecktest, wenn dein Vater darauf spielte, gelobten wir uns, allen Versuchungen zum Trotz, die Geige geben wir nicht her.“
Ulli lächelte: „Und die Geige gebe ich nicht her, auch wenn alle goldstarken Handelsherren Hollands mich heiraten wollen.“
Trude Gregorius nickte. „Jetzt spiele, Kind, danach gehen wir noch ein wenig aus, essen irgendwo und bringen später unser Gepäck in Ordnung. Ich freue mich auf die Heimreise nach Deutschland, freue mich auf unser stilles, kleines Zuhause nach dem monatelangen Herumreisen von Land zu Land.“
Ulli blickte versonnen.
„Wo waren wir doch überall! In Oesterreich und der Tschechoslowakei, in Rumänien und Italien. In Frankreich, Belgien und zuletzt in Holland. Ueberall war es anders, aber in dem für mich Wichtigsten doch gleich, denn überall hatte ich das Glück, vor vollen Häusern zu spielen, großen Beifall zu ernten und glänzende Besprechungen in den Zeitungen zu erhalten.“ Ihr Blick liebkoste das Antlitz der Mutter. „Wie sehr danke ich es dir und Vater, daß ihr mich meiner Neigung folgen ließet und euch nur die besten Lehrer Berlins gerade gut genug für mich schienen, obwohl es euch schwer genug wurde, das Geld dafür aufzubringen.“
Sie legte die Arme um den Hals der Mutter. Sie waren beide gleich groß, etwas über Mittelgröße, beide gleich schlank, und so standen sie Gesicht an Gesicht, blickten sich voll Liebe an, während die Jüngere sagte: „Kannst du es auch nur halbwegs nachempfinden, Mutterchen, wie selig die Augenblicke für mich sind, wenn man meinem Spiel Beifall spendet? Was ich da empfinde! Welche Seligkeit mich durchströmt, wenn ich höre, man dankt mir für mein Spiel! Und ahnst du, welches Glück in mir ist, wenn ich vor dem Publikum spiele? Ahnst du, daß ich manches liebe Mal ganz taumelig bin von einer Art Schöpferwonne, obwohl ich das, was ich spiele, doch gar nicht geschaffen habe, sondern es nur wiedergebe auf meiner Geige.“ Ihre Augen leuchteten, waren ganz dunkel von dem Glanz, der jetzt in ihnen war. „Wenn ich die Frohnstainer ansetze und mein Kinn auf ihren feinen schlanken Körper drücke, sie damit festhalte, kommt eine wundersame Kraft und Ruhe über mich, eine unbeschreibliche Sicherheit. Ich durchlebe dann alles im Herzen, was mein Bogen aus dem kleinen Geigenkörper lockt. Ich lebe, ich leide, ich weine, ich jauchze und lache, wie die Frohnstainer leidet und jauchzt und lacht. Sie versteht mich, ich verstehe sie, Mutterchen, es ist dann, als wäre Blut in ihr und Denken. Als wäre sie ein Mensch wie ich, der zu mir gehört. Ein Mensch gleichen Blutes und gleicher Denkungsweise.“ Ihre Stimme ward leise und raunend. „Weißt du, Mutter, wenn ich die Frohnstainer spiele, und vor dem Publikum spiele ich sie ja immer, dann mußte ich siegen. Sie führte mich zum Sieg, sie führt mich zum Ruhm, sie macht mich groß. Das kommt daher, weil Urgroßvater die Geige gebaut hat, Urgroßvater, der längst zu den bedeutendsten Geigenbauern aller Zeit gezählt wird. Er hat in seine Geigen all seine Liebe zur Musik mithineingebaut und mithineingepinselt in den Anstrich. Davon haben seine Geigen Wärme und Leben bekommen, und was Urgroßvater einmal beim Ausproben in die Geige hineingespielt an Seele, das singt und klingt in seinem Spiel. die Frohnstainer Künstlerseele Urgroßvaters grüßt die Urenkelin. Mich, Mutter, mich! Verstehst du das, Mutter, sage, verstehst du das?“
Die Aeltere lächelte weich.
„Ob ich das verstehe, Kind! Bin doch auch eine Frohnstainer, habe doch auch einmal eine Künstlerin werden wollen, aber meine Mutter war etwas hausbacken, sie mochte das Gefiedel nicht. Vielleicht war mein Talent aber auch nicht groß genug, sonst hätte es sich wohl trotzdem durchgerungen.“
Die letzten Worte hatten etwas Ergebenes, und ihr Lächeln war verschwunden. Doch gleich war es wieder da. „Ich bin glücklich, daß du eine große Künstlerin geworden bist und daß ich deine Erfolge miterleben darf. Und nun spiele, Kind, übe, ich höre dir von nebenan zu.“
Sie brachte der Tochter die Geige und ging dann aus dem Salon wieder zurück ins Nebenzimmer, in die Schlafstube, in der sie mit ihrer Tochter gemeinsam schlief während des viertägigen Aufenthaltes in Amsterdam, wo Ulli zwei Konzerte gegeben.
2.
Mynheer Willem van Xanten war außer sich vor Aerger. Als er heute den Weg zu der Geigerin angetreten, hatte er ganz sicher geglaubt, sie würde ihm die so heiß begehrte Geige verkaufen. Er hatte sich ja vorgenommen, eine unerhört hohe Bezahlung dafür zu bieten, und er hatte die Summe, die er sich als äußersten Preis vorgenommen, im Eifer des Besitzenwollens noch um das Doppelte erhöht. Er hatte der Geigerin schließlich sogar seine Hand angeboten, aber alles war umsonst gewesen, die hochmütige blonde Geigenprinzessin hatte glatt gedankt und ihm die Geige verweigert.
Hölle und Teufel, er war es nicht gewohnt, sich Wünsche zu versagen.
In Mailand, wo er sich gerade befand, hatte er Ulli Gregorius zum erstenmal spielen gehört, hatte in einer Kritik dort erwähnt gefunden, daß sie eine Frohnstainer Geige spiele! Eine Frohnstainer! Schon lange hatte er sie für seine Geigensammlung begehrt. Also schrieb er sofort an Ulli Gregorius und machte ihr ein großzügiges Angebot für die Geige. Sie antwortete höflich ablehnend. Nun wagte er einen Besuch, es war kurz vor ihrer Abreise nach Paris, brachte seinen Wunsch mündlich vor.
Ulli Gregorius aber bedauerte, ihm den Wunsch nicht erfüllen zu können, und reiste ab. Er reiste ihr kurz entschlossen nach. Reiste ihr nach Paris nach und nach Brüssel. Saß in ihren Konzerten, berauschte sich an dem wundersamen Klang der Frohnstainer Geige, erhöhte seine Angebote mündlich und schriftlich und folgte Ulli Gregorius nach Amsterdam, wo er wohnte. Er, der niemals an eine zweite Ehe gedacht, weil seine erste so mordsöde und unerfreulich gewesen, er, der ein Junggesellenleben ganz nach seinem Geschmack führte, hatte sogar das Opfer seiner Freiheit bringen wollen, um mit Hilfe des Eheringes zu der heftig begehrten Geige zu gelangen, und hatte sich einen Korb geholt.
Beim Himmel, wozu hatte er denn sein vieles Geld, wenn er sich nicht einmal seinen größten Wunsch damit erfüllen konnte? Eine Frohnstainer Geige war sein heißer Wunsch seit Jahr und Tag. Und niemals hatte er eine aufspüren können, nur gelesen hatte er darüber. Die wenigen Meisterwerke Josef Frohnstainers befanden sich im Besitz von Menschen, die sie nicht verkauften und nicht zu verkaufen brauchten. Hinter denen keine Not stand. Er hatte in Erfahrung gebracht, eine der Geigen besaß ein englischer Herzog, der mit dem englischen Königshause nahe verwandt war, eine andere zierte die Instrumentensammlung eines rheinischen Kohlengewaltigen, eine dritte lag in einem Pariser Museum, und eine weitere hatte ein Multimillionär über das große Wasser mitgenommen. Die Spuren sonstiger Meisterwerke aus Josef Frohnstainers berühmter Werkstätte am Fuße des Karwendelgebirges waren verweht. Die einzige, Willem van Xanten erreichbar scheinende Frohnstainer Geige gehörte Ulli Gregorius, und gerade diese Geige schien am unerreichbarsten.
„Eigensinniges Weibsbild!“ brummte Willem van Xanten vor sich hin, nachdem er das Auto bestiegen, das vor dem Hotel gewartet hatte, in dem die deutsche Geigerin wohnte. Willem van Xanten drückte sich fest in die Polster, und während die Limousine leicht dahinflog, blickte er zum Fenster hinaus, dachte wütend, daß er trotz seiner bombastischen Worte, die er vor dem Gehen Ulli Gregorius entgegengeschleudert, eigentlich völlig machtlos war, seinen Willen durchzusetzen, daß er sich würde fügen müssen und auf die Geige verzichten. Damit schwand aber auch die Hoffnung, überhaupt jemals eine Frohnstainer Geige sein Eigen zu nennen, darüber war er sich klar.
Ganz übertrieben und albern bombastisch kamen ihm jetzt die Worte vor, die er Ulli Gregorius zugerufen. Lachen mußte sie ja, wenn sie daran dachte, daß er sich wütend gebrüstet: Ich bin mächtiger als Sie, und wenn Willem van Xanten etwas will, verschafft er es sich. Auch die Frohnstainer Geige wird mein Eigentum