Tarzan – Band 6 – Tarzans Dschungelgeschichten. Edgar Rice Burroughs
Abzug der Schwarzen schwang sich Tarzan auf die Fährte hinab. Vorsichtig witternd umkreiste er die Ränder der Falle. Er hockte sich hin und kratzte das Ende eines Querträgers frei. Dann beroch er ihn, berührte ihn, legte den Kopf auf die Seite und beschaute ihn erst ein paar Minuten lang. Schließlich brachte er die Stelle wieder sauber in Ordnung, schwang sich hinauf in die Zweige und machte sich auf die Suche nach seinen behaarten Gefährten, den großen Affen von Kerschaks Horde.
Als ihm dabei der Löwe Numa über den Weg lief, hielt er einen Augenblick an, warf seinem Feind eine weiche Frucht in das knurrende Gesicht und schimpfte ihn Aasfresser und Bruder der Hyäne Dango. Numa starrte mit seinen feurigen, runden, gelbgrünen Augen voll tiefem Hass auf die tanzende Gestalt oben. Seine dicken Backen zitterten unter leisem Knurren und die Wut setzte seinen geschmeidigen Schweif in scharfe peitschende Bewegung. Aber aus alter Erfahrung wusste er, wie zwecklos es war, mit dem Affenmenschen auf weite Entfernung zu verhandeln, deswegen schlug er sich alsbald seitwärts in die Büsche, die ihn den Blicken seines Quälgeistes entzogen.
Tarzan schnitt seinem abziehenden Feinde eine affenartige Grimasse und schrie ihm eine letzte Dschungelbeleidigung nach, ehe er seinen Weg fortsetzte.
Eine Meile weiter trug ihm ein Windhauch einen scharfen vertrauten Geruch ganz aus der Nähe in die Nase und gleich darauf sah er unter sich ein ungeheures grauschwarzes Ungetüm geradewegs durch den Dschungel sich Bahn brechen. Tarzan griff neben sich und knickte einen kleinen Zweig und schon machte der wuchtige Körper bei dem plötzlichen Knacken halt. Große Ohren klappten nach vorne und ein langer, weicher Rüssel hob sich, um rasch auf der Suche nach feindlicher Witterung hin- und herzuschwanken, während zwei schwachsichtige, kleine Augen argwöhnisch aber erfolglos nach dem Urheber des Geräusches spähten, das seinen friedlichen Weg gestört hatte.
Tarzan lachte laut und kam dicht über den Kopf des Dickhäuters.
Tantor! Tantor! schrie er. Bara, der Hirsch, ist nicht so ängstlich wie du – du, Tantor, der Elefant, der größte von allem Dschungelvolk. Du, mit der Stärke von ebenso viel Numas als ich Finger und Zehen habe! Tantor, der die größten Bäume ausreißen kann, du zitterst vor Angst, wenn ein kleiner Zweig knackt!
Ein raschelndes Geräusch, das ebenso ein Zeichen der Verachtung wie der Erleichterung sein konnte, war Tantors einzige Antwort, als er den hocherhobenen Rüssel und die Ohren senkte und seinen Schwanz wieder wie gewöhnlich hängen ließ. Nur die Augen suchten weiter nach Tarzan. Tantor brauchte nicht lange zu warten, denn eine Sekunde später sprang der Jüngling auf den breiten Kopf seines alten Freundes herab. Dort streckte er sich lang aus, trommelte mit den Zehen auf der Haut und kratzte mit den Fingern die zarteren Stellen hinter den großen Ohren, während er Tantor den ganzen Dschungelklatsch erzählte, als ob das große Tier jedes seiner Worte verstünde.
Tarzan konnte Tantor vieles verständlich machen und obgleich sein Geschwätz von der Jagd über die Begriffe des großen, grauen Dschungel-Fürchtenichts ging, stand dieser doch mit funkelnden Augen und leise schwingendem Rüssel, als ob er jedes Wort mit vollstem Verständnis in sich aufnehme. In Wirklichkeit liebte er die angenehme freundliche Stimme, die liebkosenden Hände hinter den Ohren und die enge Vertraulichkeit des Freundes, den er schon so oft auf dem Rücken getragen hatte. Tarzan hatte sich einst noch als kleines Kind dem großen Tier furchtlos genaht, weil er bei dem Dickhäuter die gleichen freundlichen Gefühle voraussetzte, die sein eigenes Herz erfüllten. Tarzan hatte in den Jahren ihrer Freundschaft entdeckt, dass er eine unerklärliche Macht besaß, seinen mächtigen Freund zu leiten und zu lenken. Von so weit her als Tantor mit seinen scharfen Ohren die schrillen durchdringenden Rufe des Affenmenschen noch vernehmen konnte, kam er auf dessen Ruf herbei, und wenn Tarzan dann auf seinem Kopfe hockte, brach Tantor in jeder Richtung durch den Dschungel, die ihn sein Reiter zu gehen hieß. Es war das Übergewicht des menschlichen Verstandes über den des Tieres und die Wirkung war gerade so, als ob sie beide den Grund gewusst hätten, obgleich keiner von ihnen eine Ahnung davon hatte.
Eine halbe Stunde lang spreizte sich Tarzan dort auf Tantors Rücken. Einen Zeitbegriff kannten sie beide nicht. Das Leben, wie sie es auffassten, bestand hauptsächlich aus der Aufgabe, sich den Magen zu füllen. Für Tarzan war diese Arbeit weniger schwer als für Tantor, denn Tarzans Magen war kleiner und als Omnivore, als Allesfresser, fand er leichter Nahrung. Wenn er die eine Art nicht bald genug fand, gab es immer noch viele andere, um den Hunger zu stillen. Er war in der Lebensweise nicht so eigen wie Tantor, der von einigen Bäumen nur die Rinde fraß, das Holz wieder von anderen, während ihm wieder von noch anderen nur das Laub schmeckte und auch das nur zu bestimmten Jahreszeiten.
Infolgedessen musste Tantor den größten Teil seines Lebens damit zubringen, seinen Magen für die Bedürfnisse seiner mächtigen Muskeln zu füllen. So geht es allen Tieren – ihr Leben ist mit Nahrungssuche und Verdauung so voll beschäftigt, dass ihnen wenig Zeit für andere Erwägungen bleibt. Zweifellos hat sie diese Belastung gehindert, sich ebenso rasch wie der Mensch, dem mehr Zeit zum Nachdenken über alles bleibt, weiterzuentwickeln.
Doch ließ sich Tarzan durch solche Gedanken nur wenig stören und Tantor schon gar nicht. Der erstere wusste nur, dass er sich in der Gesellschaft Tantors wohlfühlte. Warum, wusste er nicht. Er verstand nicht, dass er als Mensch – als normal empfindender, gesunder Mensch – sich nach einem Lebewesen sehnte, dem er seine Zuneigung schenken konnte. Die Spielgefährten seiner Kindheit unter Kerschaks Affen waren nunmehr große, mürrische Bestien geworden. Sie konnten Vorliebe weder hegen noch erwecken. Mit den jüngeren Affen spielte Tarzan noch gelegentlich und liebte sie in rauer Weise, aber als Kameraden waren sie weder befriedigend noch ruhig genug. Tantor dagegen war ein Berg von Ruhe, Gesetztheit und Zuverlässigkeit. Es war eine Erholung und Befriedigung, sich auf seinem rauen Schädel auszustrecken und ihm unklare Hoffnungen und Ziele in seine großen Ohren zu erzählen, die dann so gewichtig und verständnisinnig vor- und zurückklappten. Seit ihm Kala genommen war, hegte Tarzan von allem Dschungelvolk für Tantor die größte Liebe. Manchmal hätte Tarzan gerne gewusst, ob Tantor diese Zuneigung erwiderte, aber es war schwer, das herauszufinden.
Die Stimme des Magens – die dringendste und beständigste Forderung, welche der Dschungel kennt – brachte schließlich Tarzan wieder auf die Bäume und auf die Nahrungssuche, während Tantor seinen unterbrochenen Marsch in entgegengesetzter Richtung wieder aufnahm.
Eine Stunde lang ging der Affenmensch auf Nahrung aus. Ein luftiges Nest gab seinen frischen, warmen Inhalt her. Früchte,