Der versäumte Frühling. Hans Scherfig

Der versäumte Frühling - Hans Scherfig


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ist ein Sadist. Sie können vielleicht verstehen, daß es nicht gerade ein Spaß ist, mit ihm verheiratet zu sein.‘“

      „Mein Gott! Wäre es da nicht besser, ihr würdet euch scheiden lassen?“

      „Nein. Das ist völlig ausgeschlossen. Eine Scheidung ist in Skjern ein unerhörter Skandal. Denk an meine Stellung. Ich muß auf meinen Ruf achten. Wir würden ins Gerede kommen. Ein Polizeidirektor kann nicht geschieden sein. Ich wäre dann in meiner Position unmöglich. Und übrigens bin ich ein prinzipieller Gegner von Scheidungen. Das führt nur zu Verantwortungslosigkeit und moralischer Zügellosigkeit. Nein, Hyänen muß man ertragen können!“

      „Aber das wird doch einmal ein Ende haben? Wie lange mag denn so eine Analyse dauern?“

      „Analyse? Davon ist jetzt überhaupt nicht mehr die Rede. Nun sind sie auf etwas ganz Neues verfallen, auf die sogenannte vegetative Therapie. Das hat etwas damit zu tun, daß man sich entspannt und niemals etwas tut, wozu man keine Lust hat. Man bekommt Hemmungen, wenn man sich selbst Zwang antut. Schon die geringste Selbstbeherrschung richtet einen nicht wiedergutzumachenden Schaden an. Und das ist natürlich für meine Frau gerade das richtige! Sich nicht beherrschen müssen! Wenn man zum Beispiel Mayonnaise mag, dann soll man auch Mayonnaise essen. Denn man soll sich ja seinen Trieben völlig hingeben, predigt Riege. Sich bloß nicht beherrschen!

      Unser Hausarzt hat festgestellt, daß meine Frau zu dick wird. Er hat ihr geraten, sich beim Essen etwas zu mäßigen. ,Sich mäßigen?‘ sagt Riege, ,das ist ja das allerschlimmste. Man darf sich niemals Zurückhaltung auferlegen.‘ Und deshalb schickt sie nun, wenn sie auf Mayonnaise Appetit hat, das Mädchen los und läßt sich ein halbes Pfund holen, und dann liegt sie im Bett und stopft das Zeug in sich hinein, futtert es direkt aus dem Papier und wird dabei mit jedem Tag fetter. Sie zum Aufstehen zu bewegen ist fast ein Ding der Unmöglichkeit. Sie liegt im Bett und entspannt sich. Sie war schon immer ziemlich träge, aber jetzt ist sie völlig unbeweglich und ungehemmt. Wir müssen zwei Mädchen haben, die sie bedienen. Und die beiden haben, weiß Gott, keine Zeit zum Entspannen. Die haben den ganzen Tag über stramm zu tun. Ein teures Vergnügen. Ein sehr teures.“

      „Furchtbar! Und Riege läßt sich seine Behandlung wohl auch gut bezahlen?“

      „Ja, das kannst du mir glauben! Ich mag gar nicht sagen, was er bekommt. Und obendrein noch die Reisekosten …“

      „Kommt er denn von Kopenhagen zu euch?“

      „Nein, er wohnt in Århus. Da hat er eine vegetative Klinik. Und von dort aus unternimmt er seine Reisen. Also muß man auch noch die Kosten für Benzin und so weiter bezahlen.“

      „Das ist ja ein starkes Stück!“

      „Mich wollte er auch von meinen Hemmungen befreien. Wenn wir uns beide behandeln ließen, sagt er, bekämen wir Rabatt. Aber davor soll mich der Himmel bewahren! Ich kann meine Hemmungen einfach nicht entbehren. Uff, ich hab direkt Angst vor ihm. Was er sich auch vornimmt, er findet bei allem die merkwürdigsten Sachen heraus. Und alles sei nur pure Liederlichkeit. Die normalsten Dinge haben für ihn eine liederliche Bedeutung.“

      „Ich halte das alles für Unsinn.“

      „Das mag ja sein. Aber es ist schlimm genug. Denn es ist nicht gerade ein Vergnügen, wenn die Frau den ganzen Tag über im Bett liegt. Und sich mit Mayonnaise vollstopft und dazu Likör trinkt.“

      „Trinkt sie denn richtiggehend?“

      „Ja, sie trinkt lila Bols – und ißt Mayonnaise dazu. Für die ist Likör bloß süßes Zeug. Daß er auch Prozente hat, will sie nicht wahrhaben. Und man dürfe ihr nicht widersprechen, sagt Riege. Sie braucht den Likör als Ersatz für Erotik.“

      „Wirklich sonderbar.“

      „Für mich ist das zumindest sehr unangenehm. – Und dann die Schlafzimmertür, die sie immer und ewig verschlossen hält. Das ist für mich sehr schwer. In Skjern gibt es ja nicht so gewisse Damen. Deshalb muß ich ab und zu bis nach Aalborg fahren. Aber das geht auch ins Geld. Und wenn man eine Frau hat, ist das schließlich ja nicht der Sinn der Sache. Wie kommst du denn damit so in Holstebro zurecht?“

      Der Amtsrichter bekam einen roten Kopf.

      „Ich, hm – in dieser Beziehung ist mein Bedarf nicht gerade übermäßig groß. Ich bin ja Junggeselle. Und das ist wohl mehr eine Sache der Gewohnheit.“

      „Es ist eine wahre Wohltat, darüber mal zu reden“, sagte der Polizeidirektor. „Gut, daß man sich bei einem alten Freund aussprechen kann. Zum Wohl, Alter! Du mußt uns mal in Skjern besuchen. Das ist wirklich ein hübsches Städtchen. Die neue Anlage ist recht schmuck geworden. Und meine Frau würde sich bestimmt freuen, dich kennenzulernen.“

      „Vielen Dank für die Einladung.“

      Die Fähre näherte sich Korsør. Man nahm vor der Gangway Aufstellung. Denn nun galt es, im Zug einen guten Platz zu erwischen.

      „He! He! Sie dahinten! Drängeln Sie nicht so! Das ist doch die Höhe! Ein Skandal!“ ereiferte sich der Polizeidirektor.

      11. Kapitel

      In dem in Hellrot gehaltenen Lokal warteten die Herren, daß das Festessen beginnen sollte. Sie lachten, tauschten alte Erinnerungen aus und strichen die Asche ihrer Zigarren an künstlerischen Keramikgebilden ab, auf deren Boden biblische Gestalten abgebildet waren.

      Neunzehn Herren waren erschienen. Das war eine ganze Menge. Mehr als erwartet.

      Wer fehlte denn eigentlich?

      Der Dicke ist nicht da. Dygesen. Der Klasse dicker Knabe, wie ihn Studienrat Blomme so spaßig zu nennen pflegte. „O feister Crassus! Habe die Güte, uns die Lektion zu übersetzen!“ Sie können allesamt Studienrat Blommes Stimme nachahmen. Dabei ist Studienrat Blomme seit vielen Jahren tot. Gestorben an einem vergifteten Bonbon. Auf niederträchtige und abstoßende Weise ermordet. Und der dicke Dygesen ist im Osten. Irgendwo auf der anderen Seite des Erdballs herrscht er über Scharen von Kulis. Sein Fernbleiben ist also entschuldigt. Er hat es nie zu einem Staatsexamen gebracht. Er wandte sich dem praktischen Leben zu und wurde Geschäftsmann. Und dort drüben in der Hitze soll er ganz mager geworden sein.

      Auch Hurrycane ist nicht erschienen. Ach ja, Hurrycane. Ursprünglich hieß er Hansen, dann nahm die Familie jedoch den Namen Hurrycane an. Darunter machte man es nicht. Und daß Hurrycane nicht gekommen ist, dazu läßt sich nichts sagen. Dort, wo er nun sitzt, sind eiserne Gitterstäbe vor dem Fenster. Die Einladung wird wohl kaum zu ihm gelangt sein.

      Über Hurrycane spricht man nicht laut. Er ist ein Schandfleck für den Jahrgang. „Da war irgend etwas mit Betrug, nicht wahr?“ flüstert man. „Ja, und er hatte sowieso schon Bewährung“, kann Richter Ellerstrøm mitteilen. Das mit Hurrycane ist eine peinliche Geschichte. Er paßte eigentlich nie so recht zu ihnen. Er stand sich auch mit keinem aus der Klasse besonders gut. Immer war er derjenige, der von den anderen gehänselt wurde. So einen gibt es in jeder Klasse. Selbst wenn Hurrycane auf freiem Fuß gewesen wäre, würde es gar nicht einmal so sicher sein, daß er mit seinen Plagegeistern das Jubiläumsfest hätte feiern wollen.

      „Ein paar von uns sind wohl schon tot? erkundigt sich Chefarzt Thorsen.

      Nur einer ist gestorben. Aage Mørdrup, der wilde Mørdrup, der immer so wütend und ungebärdig wurde. „Ein übles Element“, nannte ihn der Rektor stets. Doch Mørdrup war eigentlich ganz in Ordnung. Und die Ärzte fachsimpeln über seine mögliche Todesursache.

      „Es ist erstaunlich, daß sich nur einer von uns davongemacht hat. Das ist ein verdammt gesunder Jahrgang gewesen. Aber wenn wir das nächste Mal Jubiläum feiern, sind wir nicht mehr so viele!“

      Thorsen und Riege haben sich nur kühl gegrüßt. Und sie vermeiden es auch, miteinander ins Gespräch zu kommen. Jeder verachtet die Arbeit des anderen. Ihr ironisches Lächeln soll zeigen, was einer vom anderen hält.

      Es sind jedoch noch mehr Ärzte da. Dr. Møller und Dr. Nederby. Und sie sehen zu Thorsen auf, der von ihnen der Größte ist und die beste Karriere gemacht hat.


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