Der Schuss aus dem Schatten. Hans Heidsieck
auf eine Spiegelscheibe, die einen Riss und ein Loch von etwa zehn Millimeter Durchmesser aufweist.
„Was ist das?“ fragt Krell verblüfft.
„Ein Ausschuss. Aus diesem Raum ist geschossen worden!“
„Wer wohnt in der Villa?“ fragt Krell, der mit den örtlichen Verhältnissen noch nicht so vertraut ist.
„Professor Köster — ein eigenartiger Kauz. Man nennt ihn hier in der Stadt nur den „Mondprofessor“. Die Villa soll ein einziges Laboratorium sein.“
„Ah — der Raketenforscher!“
„Richtig! Sie haben wohl auch schon von ihm gehört?“
„Allerdings. — Ruhig mal — — war da nicht ein Geräusch?“
Plötzlich flammt hinter den Scheiben blendendes Licht auf. Ein alter, weisshaariger Mann mit stechenden Augen, einen Revolver krampfhaft in der Rechten haltend, steht vor den Blicken der beiden Männer in einer Halle, die weiter nichts als ein grosses, marmornes Becken ziert.
„Herr Professor!“ ruft Thoma, die Ruhe bewahrend, „wir sind keine Räuber! Wir sind Detektive und gehen bloss einer Spur nach.“
„Hä — das kann jeder behaupten. Sie bleiben dort stehen, bis Sie abgeholt werden! Rühren Sie sich, so schiesse ich unerbittlich!“
Die Mienen des Mannes verraten, dass er es ernst meint. Den beiden Beamten bleibt schliesslich nichts anderes übrig, als regungslos zu verweilen.
Inzwischen geht der Professor langsam zur Seite, hält aber die Waffe weiterhin auf die beiden gerichtet.
Man sieht ihn nach einem auf einem Sockel stehenden Telefonapparat greifen.
Zehn Minuten später ist schon das Überfallkommando zur Stelle. Thoma und Krell werden identifiziert. Das Kommando zieht wieder ab.
„Wir müssen mit Ihnen sprechen, Herr Professor!“ sagt Thoma. Der Alte blickt ihn durch seine dicken Brillengläser scheu an.
„Entschuldigen Sie bitte, Herr Kommissar, dass ich vorhin — — man wird halt sehr misstrauisch mit der Zeit!“
„Aber gewiss, Herr Professor — ich kann’s verstehen.“
„Wenn man so viele relativ wichtige Dinge in seinen Räumen birgt — man hat Neider — Feinde — der neue flüssige Brennstoff — Sie haben wohl schon in der Zeitung davon gelesen!“
„Gewiss, Herr Professor — — Sie sollen da eine phänomenale Sache erfunden haben.“
„Sache — äh was: Sache! — Objektiv gesprochen, meine Herren: eine Umwälzung. Endlich wird es nun möglich sein, mit Raketen den Mond zu beschiessen, was bisher eine relativ unmögliche Angelegenheit war.“
„Verzeihen Sie, Herr Professor — wir dürfen den Zweck unseres Besuches dabei nicht vergessen — — draussen ist jemand erschossen worden.“
„Äh — hab’ ich ihn doch getroffen?!“
„Wie? Was —? Sie haben geschossen?“ fragt Thoma und streicht sich über die Hakennase.
Professor Köster schaut ihn mit seinen stechenden Augen an.
„Selbstverständlich — — ich habe geschossen.“
„Herr — — Herr Professor — — wie ist das gekommen?“
„Ich bin, wie gewöhnlich, wieder mal durch das Haus geschlichen —“
„Sie — sind durch das Haus geschlichen?“
„Ja — manchmal mache ich das — nachts — — wenn alles im Schlummer liegt. Es ist eine relativ gute Methode.“
„Ich verstehe das nicht, Herr Professor.“
„Schlafen Sie immer des Nachts?“
„Wenn ich nicht dienstlich verhindert bin, allerdings, Herr Professor!“
„So. Äh — na ja. Ich nicht. Ich bin alt. Wenn man alt wird, braucht man nicht so viel Schlaf. Ich experimentiere auch häufig nachts. Und dann gehe ich im Dunkeln durch alle Räume.“
„Im Dunkeln?“
„Jawohl — im Dunkeln. Ich habe Katzenaugen, Herr — — Herr Kommissar.“
„Und warum tun Sie das?“
„Man beschleicht mich, belauert mich, — will mir meine Erfindungen rauben. Ich habe Feinde. Sehr viele Neider und Feinde — ganz objektiv gesprochen.“
„Hm — und dann schleichen Sie nachts im Dunkeln durch sämtliche Räume?“
„Ja.“
„Na — und wie war das nun heute?“
„Heute? Da war ich gerade in diesem Raum, als ich tappende Schritte hörte.“
„Wo, auf der Strasse?“
„Nein, auf der Terrasse hier. Plötzlich huschte ein Schatten vorüber. Ich sah ihn relativ deutlich. Da packte mich doch die Wut — ich weiss nicht mehr, wie mir geschah, — aber ich war ganz benommen — packte meinen Revolver — — und schoss auf den Schatten.“
„Sie haben einen Herrn auf der Strasse getroffen.“
„Was? Einen Herrn? Ich habe auf den Schatten geschossen!“
„Wo befand sich der Schatten?“
„Hier auf der Terrasse — ganz dicht — — gleich hinter der Scheibe. Draussen brennt die Laterne. So ist der Schatten entstanden.“
„Wie sah er aus?“
„Aus —? Sah aus? Wie ein Schatten halt aussieht. Er huschte vorüber.“
„Hörten Sie einen Aufschrei?“
„Nein. Ich sah und hörte nichts mehr. Ein Schwächeansall muss mich bei der Erregung ergriffen haben. Vielleicht sind Minuten vergangen, bis ich erwachte. Ich lag auf dem Boden.“
„Was taten Sie später?“
„Ich liess alles dunkel und beobachtete weiter. Draussen ertönten Stimmen. Ein Auto kam, hielt, fuhr wieder an.“
„Blickten Sie aus dem Fenster?“
„Nein. Ich konnte mich zunächst nicht erheben. Als ich dann aufstand, nach langer Zeit, hörte ich jemand herankommen. Da machte ich mich wieder schussbereit.“
„Und dann kamen wir?“
„Ja.“
„Gestatten Sie, dass ich mal telefoniere?“
„Bitte! Dort ist ja der Apparat!“
„Hier Kriminalpolizei.“
„Hier Doktor Thoma. Der Schütze ist festgestellt. Professor Köster — —“
„Was — Köster —?“
„Gibt es selbst zu!“
„Ah! Wollte wohl die Konkurrenz aus dem Wege schaffen?!“
„Was — Konkurrenz?“
„Na — nicht direkt. Aber doch seinen heftigsten Gegner.“
„Wieso?“
„Mir ist aus dem Krankenhause gemeldet worden, dass es sich bei dem Verletzten um den bekannten Physiker Doktor Kranz handelt.“
„Kranz? Wirklich?“
„Ja. — Nehmen Sie Köster fest. Wir können das nicht umgehen.“
„Übrigens — er behauptet auf einen Schatten geschossen zu haben.“
„Dumme Ausrede.“
„Aber gewisse Spuren, die ich im Vorgarten fand, lassen mit Sicherheit darauf schliessen,