TEXT + KRITIK 228 - Gabriele Tergit. Группа авторов

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der Autochthonen das zeitliche zu Gebote: heute – früher. So schon im Titel: »Erinnerungen an Cafés oder das Alte Europa« (BT, 15.10.1931) oder »Bälle, Kleider, Masken und eine peinliche Erinnerung« (BT, 24.2.1930). Natürlich bedient sie sich auch anderer zeitgenössisch probater Muster: Enumeration, Querschnitt und Synchronie. In einzelnen Textpassagen oder gleich im Titel, »Querschnitt«.11 Das korrespondiert mit Texten zu Zeitgeist-Insignien: Hektik, Betrieb, Tempo. Pars pro toto das Telefon, das – ähnlich wie bei Tucholsky – immer wieder auftaucht – Instrument der Hektik, Statussymbol der Parvenüs, permanenter Störfaktor, Medium des Unverbindlichen – auch hier gern in Monologen vorgeführt. Zugleich ist es Accessoire in den Interieurs, die sie beobachtet, Wohnungsblicke, Haustürgespräche.

      Aspekte des Wohnens spielen eine große Rolle. Die Wohnung als Refugium, fragil – »der Haushalt der Schauspielerin wird versteigert, wenig Leute sind gekommen. Verlassen, leer liegen die Repräsentationsräume, verlassen und leer die vier Ankleideräume, das Schlafzimmer, das Bad, weiss Schleiflack und rosenrot, so wie’s das Kino erträumen lässt.« (»Die Hintergründe«, BT, 9.4.1929) Eine lockere Reihe beschäftigt sich 1928 mit der Wohnungssuche in Berlin, mit Wohnungstausch – »Das Mysterium des weissen Scheins« (BT, 19.6.1928) – oder verbotenen Abstandszahlungen. Der Untertitel zitiert einen der bekanntesten Texte Fritz Reuters: »Kein Hüsung« (BT, 5.6.1928). Daneben stehen ihre Stadtlebensbeobachtungen – Hotel, Varieté, Café zumal. Sie nimmt dabei immer wieder auch Kunst und Kultur, deren Lage und Bedingungen in den Fokus. So etwa »Wie wird Kunst gekauft?« (BT, 12.1.1932) oder »Komiker und Komparsen« (BT, 13.10.1931). Ihr sympathisierender Blick gilt dem Alten, Antiquierten, unmodisch Gewordenen, wie sie der ironisierten Hektik gern Entschleunigung, Innehalten und Beiseitetreten entgegensetzt. Schnittstellen sind Ausstellungen, über die sie schreibt. Kunstausstellungen oder eine über das 19. Jahrhundert, »Von 1830 bis 1890« (BT, 11.10.1930), oder eine »Ernährungsausstellung« (BT, 17.7.1928), in der sie ironisierend Rohkostmode einem nach Deftigem lechzendes Publikum gegenüberstellt.

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      Auch in ihren Gerichtsreportagen schreibt sie oft über Frauen, aus deren Perspektive über Männer und Männlichkeit, Krieg, Gewalt, häusliche wie politische. Umgekehrt über Sehnsucht nach Geborgenheit, Abhängigkeit und Hörigkeit. Was sie 1929 unter dem Titel »Gerechtigkeit« (BT, 13.6.1929) notiert hat: »Aller Mord und Totschlag, die die Frauen begehen, ist Todesstrafe, die sie vollziehen für die Tötung ihres Liebeslebens!« – das wird sie immer wieder an den einschlägigen Gerichtsprozessen beschäftigen, wiewohl freilich diese gegen Ende der Weimarer Republik zunehmend von den Prozessen zu politisierten Gewalttätigkeiten unter Männern überlagert wurden.

      Zwar scheinen das zunächst Standardthemen, Betrug und Raub, Mord und Totschlag, Affekte zwischen Eifersucht und Neid, Sexuelles von Prostitution bis Hörigkeit, die berüchtigten Paragrafen 175 und 218, Frühreife oder Gewalttätigkeit der Jugend, Justizspezifisches wie Meineidprozesse und Todesstrafe, zunehmend und schließlich überwiegend die verschärften Auseinandersetzungen politischer Extremisten sowie das wachsende einseitige Verhältnis der Justiz dazu – woraus sich für die Gerichtsreporterin das Bild der Gesellschaft in ihrer Epoche konturierte.

      Für Gabriele Tergit standen vor allem zwei Aspekte der ihr gegenwärtigen Gesellschaft im Zentrum: Der zunehmende politische Terror und das Verhältnis der Geschlechter. Hier entfaltet sie über die Jahre ein ganzes Panorama menschlicher Abgründe und flauer Verhältnisse. Die Geschichte einer 35-jährigen Lehrerin etwa, die ein Liebesverhältnis mit einem 14-jährigen Friseurlehrling beginnt, ein Fall, in dem – wie nicht selten – Magnus Hirschfeld gutachtet. Es geht um alle Schattierungen von Prostitution, Zuhälterei, Transvestismus bis Homosexualität, Ausbeutung und Abhängigkeit, Gewalt und Hörigkeit. Darin scheint durch ihren Blick immer wieder ein Amalgam auf aus aussichtsloser Arbeitslosigkeit, sozialer Verwahrlosung und Trostlosigkeit, Doppelmoral, sexueller Unterdrückung und Unaufgeklärtheit.


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