Tobinos Insel. Eva Rechlin

Tobinos Insel - Eva Rechlin


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Eigentlich wollte er dem Jungen freundlich durch das dunkle Haar fahren, aber im letzten Augenblick dachte er, daß Mitleid in diesem Fall übertrieben wäre. So ließ er die Hand nur auf Tobinos Schulter fallen und sagte: »Dann tun wir eben etwas anderes.«

      Tobino strahlte ihn an. »Etwas tun? O ja! Was?«

      »Du könntest mir dein großes Reich zeigen, damit ich mich künftig darin zurecht finde. Spielen wir also Fremdenführer und Museumsbesucher. Du bist der Fremdenführer, ich bin der Gast. Ich habe von der berühmten Ausstellung gehört, bin extra dafür von weit her gekommen. Nun möchte ich sie besichtigen.«

      »Und wo fangen wir an?« fragte Tobino.

      Spirito zog die Schultern hoch und sagte: »Sie müssen sich in Ihrem Reich auskennen, mein Herr.«

      Tobino griff nach seiner Hand und zog ihn hinter sich her.

      Kurzschluß in der Kuppel

      Zuletzt, als schon der Abend dämmerte, fuhr Tobino mit seinem neuen Erzieher im Lift hinauf in die gläserne drehbare Kuppel, die Schloß Vivato krönte: Tobinos Spielzimmer. Sie waren kaum eingetreten, als Tobino stolz den Mechanismus betätigte, der die Kuppel in Bewegung setzte. Der Raum schlingerte wie ein Schiff um seinen Anker.

      »Nicht in der Mitte stehenbleiben«, riet Tobino, »da merkt man nicht, daß man fährt. Hier, kommen Sie auf die Rundbank!«

      Spirito ließ sich erschöpft auf die weich gepolsterte, mit weißem Leder bezogene Bank fallen. Dieser Tag hatte ihn sehr angestrengt. Nach dem üppigen Mittagessen hätte er gern ein Stündchen geschlafen, doch Tobinos Begeisterung über das Fremdenführerspiel hatte ihn mitgerissen. Es war, als entdeckte Tobino selbst zum erstenmal richtig das Schloß Vivato. Sie ließen sogar am Nachmittag den Kaffee kalt werden und verzichteten auf Eis, Gebäck und Schlagsahne.

      Sie hatten beim Rosentor begonnen, hatten den riesigen Park und die Nebengebäude durchstreift, auch der Hansekogge im Teich einen Besuch abgestattet und schließlich das ganze Schloß besichtigt. Spirito konnte nur noch mühsam die zahllosen Besonderheiten würdigen.

      Jetzt, während er auf der Rundbank im Kreis herumfuhr, was ihn schwindelig machte, flossen die Eindrücke wie zu einer dicken bunten Soße zusammen. Fast jede Tür, jedes Fenster, jedes Gerät und viele Möbel in diesem Hause waren technische Wunderwerke. Spirito hatte gestaunt und bewundert, daß Tobinos Stolz auf sein Besitztum wuchs. Die Techniker, Physiker und Chemiker in den Fabriken seines Vaters hatten monatelang an einzigartigen Erfindungen für Schloß und Park gearbeitet. Alles funktionierte lautlos vollelektronisch, durchkreuzt von Vorwarn- und Alarmanlagen. Und immer wieder hatte Tobino beteuert: »Was glauben Sie, wieviel das alles gekostet hat!«

      Es war zu viel. Spirito fühlte sich ziemlich miserabel. »Stell das Karussel ab«, bat er, »sonst wird mir schlecht.«

      Tobino zog einen Hebel, die gläserne Kuppel stand still. »Gefällt es Ihnen nicht?« fragte er besorgt.

      »Ich stelle mir vor«, sagte Spirito, »welche Hitze sich in der Kuppel breitmacht, wenn die Mittagssonne darauf scheint.«

      Tobino lachte. »Dagegen sind Kühlanlagen, Windgeräte, Luftbefeuchter und künstliche Schatten da.«

      »Das hätte ich mir denken können«, brummte Spirito und blickte sich um. Die Rundbank war das einzige Möbelstück in dem großen kreisrunden Raum. Den mit einem glatten, duftenden Kunststoff belegten Fußboden bedeckten herumliegende Spielsachen. Man hätte mit ihnen fast einen Eisenbahnwaggon füllen können.

      »Wann spielst du hier?« fragte Spirito.

      Tobino schob die Unterlippe vor: »Fast nie.«

      »Bist du oft abends hier oben?« fragte Spirito.

      »Nein. Abends sehe ich mir unten meistens Filme an. Oder ich schwimme im Keller im Warmwasserbecken, bis ich müde bin.«

      »Bist du nie abends hier oben gewesen?«

      »Weiß ich nicht, kann mich nicht erinnern. Warum?«

      »O, ich könnte mir denken, daß es in einer klaren Sternennacht hier oben wunderbar sein müßte!«

      »Wir haben eine klare Sternennacht. Und nichts ist wunderbar.«

      »Mach das Licht aus, dann beweise ich es dir.«

      Tobino blickte sich suchend um und sah dann Spirito verlegen an. »Das geht leider nicht«, erklärte er.

      »Geht nicht? Man muß doch die Beleuchtung ausmachen können!«

      »Es geht wirklich nicht. Das Licht schaltet sich von selbst ein, sobald es dunkel wird. Das ist auch so eine Erfindung für das Schloß. Und es geht morgens von selbst wieder aus. Dämmerungsschalter! Verstehen Sie?«

      Spirito mußte lachen, als er das hörte. Gleichzeitig dachte er, daß man darüber ebensogut weinen könnte.

      »Warum lachen Sie?« fragte Tobino verstört. »Die Anlage kostet viel Geld, darüber lacht man doch nicht!«

      Und da Spirito nur mit einem verzweifelten Kopfschütteln antwortete, fügte er trotzig hinzu: »Mir gefällt es jedenfalls sehr gut – das ganze Schloß! Kein Mensch hat so ein Schloß wie ich. Ist es nicht schön?«

      »Sicher«, sagte Spirito, »es ist dein gutes Recht, dich in deinem Zuhause wohlzufühlen.«

      »Ob ich mich hier wohlfühle, weiß ich nicht. Aber schön ist es. Sagen Sie, daß es schön ist! Los!«

      »Ich müßte übertreiben.«

      »Sagen Sie sofort, daß es schön ist!« wiederholte Tobino stur.

      »Du mußt mir schon eine andere Meinung gestatten, Tobino.«

      »Wenn ich Ihnen fünfzig Mark gebe – sagen Sie dann, daß Schloß Vivato schön ist?«

      »Niemals.«

      »Also hundert Mark!«

      »Auch für eine Million nicht.«

      »Aber das ist dumm von Ihnen! Wissen Sie, was Doktor Kasimir einmal gemacht hat? Ich mußte allerdings ziemlich lange mit ihm handeln. Das war lustig. Als ich ihm schließlich tausend Mark bot, sagte er: Ich bin ein eingebildeter, langweiliger Affe! Das hatte ich ihm vorgesagt.«

      »Darauf hätte er auch von allein kommen können«, murmelte Spirito. »Es ist nicht sehr fein, einen Menschen so zu behandeln. Tust du das gern?«

      »Bei Doktor Kasimir hat es mir Spaß gemacht.«

      »Und bei mir denkst du, kannst du auch alles mit Geld erreichen.«

      Tobino senkte sein Gesicht. »Ich hör ja schon auf. Wenn Sie selbst so reich sind, können Sie mir auch umsonst sagen, daß alles in Schloß Vivato schön ist.«

      »Ich müßte dich und mich belügen. Das soll man selbst für eine Million nicht tun.«

      »Warum finden Sie es nicht schön? Papa hat sich solche Mühe gegeben, alles erfinden und entwerfen zu lassen. Und was es erst kostete! Warum finden Sie es nicht schön?«

      »Ich habe eben einen anderen Geschmack.«

      »Finden Sie Schloß Vivato etwa nicht geschmackvoll?«

      »Wenn du es unbedingt wissen willst: nein.«

      »Wieso denn nicht! Es ist doch alles dran!«

      »Das ist es ja eben. Geschmackvoll ist, was Maß hat. Was zu sehr auffallen will, ist nicht mehr schön.«

      Tobino runzelte die Stirn.

      »Du wolltest meine Meinung ja unbedingt wissen!« fügte Spirito hinzu und fragte: »Bist du jetzt gekränkt?«

      »Nein. Ich muß darüber nachdenken. Ich muß sofort hinunter ins Fellzimmer und mir lauter Dinge ausdenken, die einfach und doch schön sind!«

      »Ist dir schon etwas eingefallen?«

      »Warten


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