Tobinos Insel. Eva Rechlin

Tobinos Insel - Eva Rechlin


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werde ich dir nicht an einem Abend beibringen können.«

      »Ist es falsch, was ich mir ausgedacht habe?«

      »Ganz falsch. Aber du wirst schon noch dahinterkommen.«

      »Werden Sie es mir zeigen?«

      »Ich werde mir Mühe geben. Aber nicht jetzt. Für heute möchte ich dir noch etwas Besonderes vorschlagen. Ich habe vorhin gesagt, daß ich dir gern beweisen würde, wie wunderbar es jetzt hier oben sein muß, wenn das Licht aus wäre. Wollen wir nicht mal untersuchen, ob es doch zu löschen ist?«

      »Ich habe es noch nie versucht.«

      »Es muß doch irgendwo einen Schaltkasten für die Anlage geben.«

      »Ich weiß etwas Besseres«, schlug Tobino vor, »ich rufe den Hauselektriker herauf. Der muß es ja wissen.«

      Er trat zur Wand an eine Sprechmuschel und rief hinein: »Der Elektriker soll sofort rauf in die Kuppel kommen!«

      Seine helle Stimme hallte aus mehreren Lautsprechern durch das Schloß.

      »Es ist schaurig«, meinte Spirito, »wie viele Möglichkeiten du hast, dich wichtig zu machen. Übrigens hättest du den Mann höflicher heraufbitten können.«

      »Bitten? Er wird für seinen Posten ja bezahlt!«

      Spirito wandte sich verärgert von ihm und brummte: »Du hast gar kein Hirn mehr im Kopf, nur Zahlen und Berechnungen. Wenn das bei deiner Mutter auch so ist, kann ich mir ihre Kopfschmerzen gut erklären.«

      Ehe Tobino antworten konnte, hörten sie den Lift summen. Sekunden später trat der Elektriker ein. Er brachte seinen Werkzeugkasten mit. Tobino stellte sich vor ihn hin, um ihm seine Anweisungen zu erteilen, als er sich auf etwas zu besinnen schien. Er drehte sich noch einmal kurz zu Spirito um und sagte betont: »Wir möchten bitte, daß das Licht hier bitte ausgeht. Versuchen Sie bitte, ob das zu machen ist.«

      Der Elektriker starrte Tobino belustigt an. Dann blickte er über ihn hinweg zu Spirito und kniff freundschaftlich ein Auge zu. »Da werden Sie noch viel zu tun haben, Herr Erzieher«, sagte er, »wenn Sie einem, der gewohnt ist zu befehlen, das Bitten beibringen wollen.«

      »Ja, ja«, erwiderte Spirito, »aller Anfang ist schwer, heißt es. Wie steht es mit dem Licht – können Sie es ausmachen?«

      Der Elektriker wiegte seinen Kopf: »Ich fürchte, das weiß nur der Konstrukteur. Wenn es überhaupt geht! Hier …«, er schlug einen der Banksitze auf, »hier ist die Schaltstelle. Ich möchte nichts daran machen. Die Anlage ist zu kostspielig. Wenn etwas kaputt geht …«

      »Kann man nicht wenigstens die Birnen ausschrauben?« fragte Spirito.

      »Hier sind gebogene Leuchtstäbe angebracht, keine Birnen. Alles Maßarbeit!«

      »Hm, ja, dann müssen wir die Hoffnung auf Dunkelheit in diesem Raum wohl aufgeben«, sagte Spirito und blickte bedauernd zu den unsichtbaren Lichtquellen auf. Der Elektriker folgte seinem Blick.

      So sah keiner, wie Tobino sich blitzschnell über den offenen Werkzeugkasten beugte, einen großen Hammer herausriß und sich damit auf die geheimnisvolle Apparatur stürzte. Als der erste Schlag krachte, erstarrten die beiden Männer. Sie konnten auch nicht mehr eingreifen. In der nächsten Sekunde erloschen rings in der Kuppel die Lichter.

      Tobino stieß einen Freudenschrei aus und schleuderte den Hammer in seinen Spielzeugberg, daß es klirrte und klapperte. »Ich konnte es!« rief er, »ich habe es ausgeschaltet!« »Das war vermutlich die teuerste Ausschaltung der Welt«, sagte der Elektriker und knipste seine Taschenlampe an, um sich den Hammer wieder zu suchen. »Soll ich eine Notbeleuchtung legen?« fragte er.

      »Nein, bitte nein! Bitte keine Beleuchtung!« rief Tobino, »sonst sehe ich das Wunderbare nicht!«

      »Also kann ich jetzt gehen?«

      »Ja«, mischte sich Spirito ein, »Sie können gehen. Machen Sie sich keine Sorgen wegen der Sache hier. Das bringe ich mit Tobinos Vater ins Reine.«

      »Nett von Ihnen. Gute Nacht«, sagte der Elektriker und ging.

      Sie hörten, daß draußen wenigstens noch alles funktionierte, auch der Lift.

      Tobino atmete auf, als hätte er zum erstenmal im Leben eine Heldentat vollbracht. Durch den finsteren Raum tastete er sich zu Spirito auf die Rundbank. »Und jetzt«, sagte er, »müssen Sie mir das Wunderbare zeigen.«

      »Ich weiß nicht«, meinte Spirito, »ich zweifle daran, daß es für dich ein Ersatz für deine abendlichen Kinovorführungen ist.«

      »Ach, Sie wissen ja nicht, wie langweilig es ist, jeden Tag ins Kino zu gehen. Ich schlafe oft dabei ein.«

      »Das ist nicht die übelste Wirkung«, sagte Spirito, »obwohl es mich heute kränken würde, wenn du einschliefest. Es würde mich im Namen der Sterne kränken.«

      »Wollen Sie mir etwa Sterne zeigen?« fragte Tobino enttäuscht, »ich weiß doch, wie sie aussehen: leuchten wie Taschenlampen und haben spitze Zacken.«

      »Das sagst du, ohne zu ihnen aufzublicken?«

      Tobino legte den Kopf zurück und blickte durch die gläserne Kuppel hinaus. Nach allen Richtungen sah er den wolkenlosen Nachthimmel, der im Osten um den aufgehenden Mond hell schimmerte.

      »Die Japaner bauen sich in ihre Häuser oft ein Mondfenster«, erzählte Spirito, »von dort aus können sie besonders gut den Mondaufgang verfolgen. Manchmal laden sie sich dazu Gäste ein, um sie an dem Schauspiel teilnehmen zu lassen. Dann sitzen sie schweigend am Fenster, trinken Tee, um ihre Sinne zu schärfen und blicken nach Osten, wie jetzt wir beide. Siehst du, wie schnell er kommt? Schau hinab in den Park. Das steigende Mondlicht verwandelt ihn von Sekunde zu Sekunde. Aus Büschen und Bäumen wachsen lange Schatten. Soll ich still sein, damit du es besser betrachten kannst?«

      »Kann man es denn hören?«

      Spirito mußte lächeln. Er schwieg.

      »Man hört nichts«, sagte Tobino, »nur im Garten übt jemand auf einer Geige immer denselben Ton.«

      »Das sind Grillen.«

      »Was sind Grillen. Sind es Drähte?«

      »Tiere sind es! Kleine Insekten, die an Sommerabenden im Gras zirpen. Was hast du bloß in deinen Unterrichtsstunden bisher gelernt?«

      »Ich mußte rechnen, immer rechnen. Die Erzieher behaupteten, es sei das einzig Wichtige für mich, weil ich später Papas ganzes Geld bekomme. Am Anfang habe ich auch Lesen und Schreiben gelernt, aber sonst nur Rechnen. Ich mag es nicht, ich habe nie gut aufgepaßt …«

      »Da!« rief Spirito. »Eine Sternschnuppe!«

      Tobino sah sie noch und sprang auf. Sie stürzte wie ein Feuertropfen aus einem Sternbild und verglomm in der Nacht.

      »Was war das!« fragte Tobino aufgeregt. »Ist vielleicht ein Stern runtergefallen?«

      »So sah es aus. In Wirklichkeit sind es kleine Himmelskörper aus unserer Galaxie. Wenn sie die oberen Schichten unserer Lufthülle berühren, reiben sie sich daran heiß und leuchten auf.«

      »Und wohin fallen sie?«

      »Sie verbrennen oder verlassen den Rand unserer Lufthülle wieder, setzen draußen im Weltraum ihre Bahn fort. Und manche fallen auch auf die Erde.«

      »Kann auch einer zu uns fallen? O, Herr Spirito, ich möchte, daß ein Stern zu mir fällt!«

      »Es sind Sternschnuppen – steinartige oder eisenhaltige Gebilde. Übrigens würde ich mir das nicht wünschen, es ist gefährlich. Vor achtzig Jahren stürzte ein Meteor, wie sie auch heißen, in Sibirien auf die Erde. Er verwüstete beinahe hundert Quadratkilometer Wald. Natürlich gibt es auch winzige Meteore …«

      »Jetzt ist der Mond halb über dem Erdrand!« rief Tobino, »ich hätte nie gedacht, daß man es beobachten kann. Ich dachte immer, er


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