Der Bergpfarrer Paket 4 – Heimatroman. Toni Waidacher
muß ja ein interessanter Mann sein«, sagte Stefan. »Pfarrer und Kriminalist, eine tolle Mischung.«
»Ich glaube nicht, daß die Kriminalistik eine große Rolle für ihn spielte«, entgegnete Johanna. »Marion hat mir nämlich von seiner großen Leidenschaft, dem Wandern und Bergsteigen erzählt. Das macht Hochwürden schon seit vielen Jahren. Sogar das Studium hat er sich mit der Arbeit als Bergführer verdient.«
Ihr Begleiter nickte.
»Um so mehr ein Grund, ihn kennenzulernen«, sagte er. »Ich würde nämlich furchtbar gern eine Bergtour machen, und wenn man dann so einen kompetenten Führer hat, ist es gewiß ein doppelter Genuß.«
Er sah sie an.
»Hättest du auch Lust dazu?« fragte er und zuckte zusammen, als er bemerkte, daß er Johanna geduzt hatte. »Entschuldigung…«
»Macht doch nichts«, antwortete sie. »Ich finde es in Ordnung, wenn wir uns duzen.«
»Prima«, lachte er, »dann bleiben wir dabei.«
*
»Hoffentlich macht der Junge keine Dummheiten«, sagte Kurt Kreuzer besorgt.
Er saß zusammen mit seiner Frau auf der Terrasse der Villa. Das Hausmädchen hatte Kaffee und Kuchen serviert, aber so recht wollte es ihm nicht schmecken.
»Stefan weiß, was von ihm erwartet wird«, erwiderte Isolde Kreuzer. »Er wird nichts tun, was die Firma gefährden würde.«
Ihr Mann seufzte. Seit Wochen hatte er sich schon mit dem Gedanken, dem Salon reinen Wein einschenken zu müssen, dahingeschleppt. Ihm war klar, daß er es tun mußte, aber irgendwie hatte er immer noch auf ein Wunder gehofft, das ihm das fehlende Geld noch einbringen würde. Inzwischen schalt er sich selbst einen Narren, sich überhaupt an Harald Schönauer gewandt zu haben. Aber das Schlimmste war, daß dieser ihm einen Wechsel abgerungen hatte.
Den zu unterschreiben, war ein Fehler, den ein Geschäftsmann niemals begehen sollte. Konnte er ihn nicht einlösen, würde der Wechsel unweigerlich zu Protest gehen, und Kurt Kreuzer war seine Reputation für alle Zeiten los.
»Wo er wohl stecken mag«, sagte Isolde nachdenklich.
Ihr Mann horchte auf. Trotz ihrer Zuversicht, Stefan würde schon keine Dummheiten machen, klang sie doch besorgt.
»Ich habe Frau Trautmann gefragt«, antwortete er. »Angeblich weiß sie es nicht. Stefan, erklärte sie, habe sie angerufen und gesagt, daß er bis zur nächsten Woche nicht in die Firma kommen und auch nicht erreichbar sein würde.«
Isolde Kreuzer trank einen Schluck Kaffee, setzte die Tasse ab und schüttelte den Kopf.
»Das glaube ich nicht«, sagte sie. »Stefan muß doch wenigstens einem Menschen gesagt haben, wohin er will. Ich verstehe diese Geheimniskrämerei von ihm gar nicht.«
»Du mußt ihn verstehen«, erwiderte Kurt. »Ich habe den Jungen da mit etwas überfallen, das er erst einmal verdauen muß. Wahrscheinlich hätte ich in seiner Situation nicht anders gehandelt.«
Er sah auf die Uhr und erhob sich.
»Ich muß noch mal ins Büro«, erklärte er, beugte sich zu seiner Frau und gab ihr einen Kuß.
»Komm aber nicht zu spät nach Hause«, rief sie ihm hinterher. »Du weißt, daß wir bei den Reuters eingeladen sind.«
»Ich denke dran«, antwortete er und ging ins Haus.
Er nahm sein Jackett von der Garderobe und zog die Autoschlüssel aus der Tasche. Während er vom Grundstück fuhr, dachte er wieder an das Dilemma, in das er sich hineinmanövriert hatte.
Nicht nur sich, den Sohn und die Firma gleich mit dazu!
Hätte es damals geklappt mit dem USA-Geschäft, wäre alles gar kein Problem gewesen. Das Geld wäre hundertfach zurückgeflossen.
Doch leider…
Und jetzt war eine weitere Sorge dazugekommen. Stefans Vater war nämlich keineswegs der Meinung, daß der Sohn sich so verhalten würde, wie es erwartet wurde. Er kannte ihn besser als Isolde und wußte, daß Stefan durchaus seinen eigenen Kopf hatte, was seine privaten Dinge betraf. Als Harald Schönauer ihm seinerzeit den Vorschlag machte, seine Tochter mit Kurts Sohn zu verheiraten, hatte Kreuzer im ersten Moment gelacht.
»Das wird nie was«, hatte er gesagt.
Allerdings war er da noch sicher gewesen, das Geld aufzutreiben und Schönauer wieder los zu werden. Dummerweise hatte er einen weiteren Fehler gemacht, von dem weder Isolde noch Stefan etwas wußten. Als sich abzeichnete, daß das Amerikageschäft platzen würde, hatte Kurt Kreuzer bei seiner Bank ein Darlehen aufgenommen und mit dem Geld in einen asiatischen Fond investiert. Er hoffte, mit dem Gewinn den Verlust wieder ausgleichen zu können. Leider mußte er feststellen, daß er sich verspekuliert hatte. Ein Börsenkrach in Shanghai war der Auslöser gewesen, der wie ein fallender Dominostein weitere Banken in Südostasien mit sich riß. Die Aktien und Fonds gingen rasant in den Keller, und Kreuzer konnte froh sein, wenn er eines Tages wenigstens seine Einlage wiederbekam.
Doch wann das sein würde, das stand in den Sternen!
Diese Pleite war der wahre Grund, warum er nicht noch einmal mit seiner Hausbank sprach, bei der schon sein Vater Kunde gewesen war. Der Kreditrahmen war eindeutig erschöpft, und keine Bank auf der Welt würde seinem Unternehmen noch ein weiteres Darlehen gewähren.
Aus diesem Grund mußte er wissen, wo sich Stefan aufhielt. Kurt Kreuzer wußte nicht, wie er auf den Gedanken gekommen war, aber er hatte eine fürchterliche Angst, sein Sohn könne sich gegen die Hochzeit entscheiden, und darum mußte er mit ihm sprechen. Ihn eindringlich auf die Konsequenzen hinweisen, die eine Ablehnung nach sich ziehen würde.
Kein Geld, Wechselprotest, die Blamage…
O Gott, er durfte gar nicht daran denken, sich nicht ausmalen, was das für alle bedeutete.
In der Firma angekommen, ging Kurt Kreuzer in das Büro seines Sohnes. Christel Trautmann, Stefans Sekretärin, eine vierzigjährige Brünette, die seit drei Jahren hier arbeitete, sah den Seniorchef überrascht an. Es geschah nicht sehr oft, daß sie ihn hier drinnen zu Gesicht bekam. Er mischte sich nur sehr selten in die Arbeit seines Sohnes ein.
Indes ahnte sie, warum er gekommen war.
Kurt kam auch gleich zur Sache.
»Hören Sie, Frau Trautmann, ich muß unbedingt meinen Sohn erreichen«, sagte er in einem dringlichen Tonfall. »Haben Sie wirklich keine Ahnung, wo er steckt?«
Die Sekretärin lief rot an. Natürlich war es ihr peinlich, den obersten Chef anlügen zu müssen.
»Ich sagte doch schon, Herr Direktor…«, begann sie.
Doch er schnitt ihr mit einer Handbewegung das Wort ab.
»Lassen Sie’s gut sein.« Er schüttelte den Kopf. »Überlegen Sie es sich besser, ob es sich wirklich lohnt, mich anzulügen. Stefan muß jemandem gesagt haben, was er vorhat. Ich habe schon in seinem Freundes- und Bekanntenkreis herumtelefoniert. Aber von denen weiß niemand was, also bleiben nur Sie übrig.«
Er schaute sie eindringlich an.
»Verstehen Sie doch, Frau Trautmann«, setzte er hinzu. »Es geht um die Firma. Mit Ihrem Schweigen gefährden Sie nicht nur unsere Existenz, sondern auch Ihre eigene.«
Christel Trautmann schluckte.
Daß es so stand, hatte sie nicht geahnt. Indes war ihr schon bewußt gewesen, daß da etwas im Busch war. Es war noch nie vorgekommen, daß der Junior so Hals über Kopf verschwunden war und niemand etwas über seinen Verbleib wissen sollte.
»Also gut«, sagte sie. »Aber ich möchte hinterher nicht als Prügelknabe dastehen…«
»Keine Angst«, beruhigte Kurt Kreuzer sie, »ich werde mich vor Sie stellen, wenn mein Sohn irgend etwas sagen sollte. Also bitte, geben Sie mir seine gegenwärtige Anschrift.«