Der Bergpfarrer Paket 4 – Heimatroman. Toni Waidacher
auf das Wasser. Johanna überlegte, ob sie ihm die Frage stellen durfte, die ihr schon seit gestern auf der Zunge lag.
Zu gern hätte sie gewußt, warum Stefan Kreuzer allein im Urlaub war.
Gab es wirklich keine Frau, die ihn hätte begleiten wollen?
So manches hatten sie sich erzählt, aber über dieses Thema hatten sie nicht gesprochen. Johanna konnte sich nicht vorstellen, daß so ein gutaussehender Mann keine Freundin haben sollte. Aber irgendwie scheute sie davor, ihn zu fragen.
Indes mußte er ähnliche Gedanken gehabt haben, denn plötzlich wandte er sich ihr zu und schaute sie nachdenklich an.
»Sag mal, wie kommt es eigentlich, daß du ganz allein hier bist?« fragte er.
Johanna zuckte die Schultern.
»Weil es niemanden gibt, der hätte mitfahren wollen«, antwortete sie.
»Tatsächlich? Das kann ich gar nicht glauben.«
»Es ist aber so.«
Sie nagte an der Unterlippe.
»Es gab jemanden«, erzählte sie schließlich. »Aber die Beziehung ist zerbrochen.«
»Das tut mir leid«, sagte Stefan.
»Ist nicht weiter tragisch.« Johanna schüttelte den Kopf.
»Es war ohnehin ein Irrtum.«
»Leider weiß man das erst immer hinterher«, meinte er nachdenklich.
Er schaute sie lächelnd an, während er darüber nachdachte, ob er Johanna gestehen durfte, was er für sie empfand. Daß er sie sehr mochte, stand fest, und ein wenig hatte ihn diese Erkenntnis erschreckt. Eigentlich war es unmöglich, es ihr zu sagen. Noch war er nicht so frei, wie er gern sein wollte, denn immer noch gab es das Problem mit der Ehe, die er eingehen sollte, um das Unglück von der Firma abzuwenden.
»Wie ist es denn bei dir?« wollte Johanna wissen.
Stefan überlegte kurz, ehe er antwortete.
»Nein«, schüttelte er dann den Kopf, »ich bin nicht gebunden.«
Diese Antwort freute sie, aber irgendwie machte sein Tonfall Johanna stutzig.
Sagte er die Wahrheit oder schwindelte er?
»Ich habe Hunger«, sagte Stefan und rutschte ins Wasser.
Johanna zögerte einen Moment, ehe sie ihm folgte.
War das jetzt als Ausweichmanöver zu verstehen? Wollte er nicht weiter darüber sprechen?
Daß er ungebunden war, mochte stimmen, aber irgendwas in seiner Stimme ließ sie an dieser Aussage zweifeln.
Auf der Wiese angekommen, trockneten sie sich ab und setzten sich in die Sonne. Stefan kramte die belegten Brote hervor und reichte Johanna ein Päckchen. Sie nickte dankbar, als sie es entgegennahm.
Schweigend aßen sie und tranken hin und wieder einen Schluck Wasser. Marion Trenker hatte ihnen zwei große Flaschen davon mitgegeben.
»Warum ist eure Beziehung denn zerbrochen?« fragte Stefan plötzlich.
Gleichzeitig hob er abwehrend die Hände.
»Du mußt es mir nicht sagen, wenn du nicht willst.«
»Schon gut«, erwiderte Johanna. »Ich bin darüber hinweg.«
Sie erzählte von der Enttäuschung, die sie erlitten hatte, ohne Bitterkeit in ihren Worten. Es klang so, als habe sie es überwunden.
»Er muß ein ziemlicher Dummkopf sein«, meinte Stefan.
Johanna sah ihn an und zuckte nicht zurück, als er nach ihrer Hand griff und sie festhielt.
»Ich habe übrigens vorhin gelogen«, fuhr er fort. »Es tut mir nicht leid, daß ihr auseinander seid.«
Sie schluckte und sah auf seine Hand. Die Berührung brannte wie Feuer.
Aber es war ein herrliches Feuer!
»Es tut mir nicht leid, weil wir uns sonst nämlich niemals begegnet wären«, sagte Stefan. »Und ich eine wunderbare Frau niemals kennengelernt hätte…«
Johanna spürte ihr Herz bis zum Hals hinauf klopfen, und warme Schauer liefen über ihren Rücken, als er sie an sich zog. Sie sah seine Augen, seinen Mund, der sich dem ihren näherte, und fühlte seine Finger durch ihr Haar streichen.
»Weißt du, daß ich mich ganz fürchterlich in dich verliebt habe?« sagte Stefan mit rauher Stimme. »Liebe auf den ersten Blick, ich hätte nie geglaubt, daß es sie wirklich gibt. Aber jetzt habe ich sie am eigenen Leib erfahren.«
Ein leises Stöhnen entrang sich ihren Lippen, als er seinen Mund auf ihre Lippen preßte, die sich leicht öffneten.
Hätte es überhaupt einen Widerstand gegeben, jetzt wäre er dahingeschmolzen. Johanna dachte nicht mehr an ihren Vorsatz, sich nie wieder zu verlieben. Sie umarmte ihn, erwiderte seinen Kuß und lachte glücklich, als er sie fest an sich gepreßt hielt, als wollte er sie nie wieder loslassen.
»Ich liebe dich auch, Stefan«, flüsterte sie und ließ den Glückstränen freien Lauf.
*
Martin Herweg saß in seinem Auto. Es stand gegenüber der Einfahrt zu den Kreuzerwerken, und der junge Mann schaute ungeduldig zu der Tür hinüber, durch die die Angestellten das Gebäude verließen. Endlich erschien die Frau, auf die er schon seit einer Stunde wartete. Er wußte nicht, wann Christel Trautmann Feierabend machte, und weil er sie auf keinen Fall verpassen wollte, hatte sich Martin rechtzeitig postiert. In den Händen hielt er einen Prospekt der Firma Kreuzer. Silvia hatte ihn besorgt, und darin wurden die Angestellten und Inhaber mit Foto und Namen vorgestellt. Der Prospekt war vor einem halben Jahr anläßlich des Firmenjubiläums gedruckt worden.
Martin hatte zuerst das Foto des Juniorchefs angesehen und war im selben Moment sicher gewesen, Stefan Kreuzer umbringen zu können. Der Kerl sah nicht nur verdammt gut aus, im Gegensatz zu Martin Herweg war er auch vermögend. Immerhin war es tröstend, daß er sicher sein konnte, daß Silvia ihn, den Angestellten ihres Vaters, liebte und nicht den reichen Mann, mit dem sie verheiratet werden sollte.
Nach und nach verebbte der Strom der Angestellten. Martin hatte genau aufgepaßt und war sicher, daß die Sekretärin von Stefan Kreuzer noch nicht herausgekommen war. Indes blieb das Problem, wie er es anfangen sollte, ihr den Aufenthaltsort seines Konkurrenten zu entlocken.
Während er immer noch hinübersah, warf er rasch einen Blick auf die Uhr. Silvia ließ auch immer noch auf sich warten. Dabei hatte sie schon vor einer Viertelstunde da sein wollen.
Er atmete erleichtert auf, als die Wagentür geöffnet wurde und Silvia neben ihn auf den Beifahrersitz schlüpfte.
»Endlich!«
»Warum gehst du nicht an dein Handy?« fragte die ausgesprochen hübsche Tochter seines Chefs. »Ich stand im Stau.«
Martin zog das Mobiltelefon aus der Tasche und schlug sich vor die Stirn.
»Der Akku ist leer!« stöhnte er. »Ich habe vergessen, ihn aufzuladen. So was Blödes!«
»Egal, jetzt bin ich ja da«, sagte Silvia. »Und Frau Trautmann scheint noch in der Firma zu sein.«
»Bis jetzt habe ich niemanden gesehen, der so aussah wie sie hier auf dem Foto.«
Silvia Schönauer überlegte einen Moment. Dann öffnete sie die Tür.
»Komm.«
»Was hast du vor?« fragte Martin.
»Wir gehen rein«, antwortete sie.
»Einfach so? Kennt man dich da denn nicht? Was ist, wenn der Pförtner…«
Sie winkte ab.
»So bekannt bin ich nicht«, erwiderte sie. »Außerdem ist mir der Pförtner herzlich egal. Er kann