Der Bergpfarrer Paket 4 – Heimatroman. Toni Waidacher
Maria völlig unbefangen.
»Schön, dich zu sehen«, sagte er. »Und wegen der Meldepflicht mach’ dir mal keine Gedanken. Ich weiß ja, daß du im Pfarrhaus wohnst.«
Der Polizeibeamte war gerade dabei, den Abendbrotstisch zu decken. Claudia, seine Frau, arbeitete in Garmisch-Partenkirchen bei der Zeitung. Es würde nicht mehr lange dauern, bis sie nach Hause kam.
»Ich hätt’ gern’, daß Maria und Claudia sich mal unterhalten«, raunte Sebastian seinem Bruder zu, als sie einen Moment alleine waren. »Die beiden sind in einem Alter, und vielleicht kann sich Claudia ein bissel um Maria kümmern.«
Max nickte. »Das wird sie bestimmt machen.«
Im Pfarrhaus hatte Sophie Tappert den Tisch gedeckt. Silke Brandner, die erst am Sonntag aus dem Urlaub zurückgekehrt war, hatte von der Haushälterin erfahren, um wen es sich bei der jungen Frau handelte, die Hochwürden mitgebracht hatte. Auch die Gemeindeschwester zeigte keinerlei Vorurteile gegen Maria Berger, und während des Essens wurde überhaupt nicht über den Grund ihrer Anwesenheit gesprochen.
An diesem Abend war es, als sei alle Last von ihr abgefallen. Maria ging früh schlafen, und es war das erste Mal, seit das Drama begonnen hatte, daß sie nicht von schlechten Träumen geplagt wurde.
Am nächsten Morgen wachte sie ausgeschlafen auf. Es hielt sie nicht lange im Bett, und nachdem sie sich angezogen hatte, ging die junge Frau gleich in die Küche hinunter.
»Guten Morgen, kann ich Ihnen helfen?« fragte sie Sophie Tappert.
Doch die Haushälterin hatte längst den Tisch gedeckt.
»Nein, setz’ dich nur«, antwortete sie. »Hochwürden kommt auch gleich.«
»Sie sind aber schon früh auf den Beinen«, meinte Maria, während sie am Tisch Platz nahm.
»Ich schlaf’ ohnehin net lang«, erwiderte Sophie schmunzelnd. »Außerdem hab’ ich schon das Frühstück für die Silke gemacht.«
»Gestern abend hab’ ich net weiter gefragt«, meinte Maria, die ganz schnell wieder dazu übergegangen war, in dem heimatlichen Dialekt zu sprechen, den sie sich in München abgewöhnt hatte. »Aber ist es net ungewöhnlich, daß eine junge Frau hier ständig im Pfarrhaus wohnt?«
»Ja, das mag sein«, lachte die Haushälterin. »Aber das ist auch eine sehr ungewöhnliche Geschichte.«
Silke Brandner stammte aus Regensburg. Nach langer Arbeitslosigkeit hatte sie die Stelle der Gemeindeschwester in Engelsbach angetreten. Doch leider stand ihr Umzug unter keinem guten Stern, denn es war völlig unmöglich, eine Unterkunft zu finden. Das Wohnen in einem Hotel war alleine schon wegen der Kosten unmöglich, und so quartierte Sebastian, dem sehr daran gelegen war, daß im Nachbarort endlich wieder eine Gemeindeschwester arbeitete, die junge Frau kurzerhand im Pfarrhaus ein.
Freilich geschah das nicht, ohne daß dadurch ein handfester Skandal ausgelöst wurde. In dem, neben einer Journalistin, auch Blasius Eggensteiner verwickelt war, Sebastians Amtsbruder aus Engelsbach.
»Na ja, die Sache kochte zwar hoch«, erzählte die Haushälterin, »aber schließlich war ja an den Vorwürfen nix dran, und inzwischen haben sich die Leut’ daran gewöhnt, daß die Silke hier bei uns wohnt.«
Kurz darauf kam Sebastian Trenker in die Küche.
»Guten Morgen zusammen. Na, Maria, hast gut geschlafen?«
»Ach, ganz wunderbar«, lächelte sie.
»Das freut mich. Hast’ nachher Lust, ein bissel spazieren zu gehen? Es hat sich zwar net viel verändert in den Jahren, in denen du fort warst. Aber so einiges gibt es doch zu bestaunen.«
Maria biß sich auf die Unterlippe. Auf der Fahrt gestern hatte sie sich vorgestellt, wie es sein würde, die alte Heimat wiederzusehen. Aber sie hatte auch an die Leute gedacht. Wahrscheinlich hatten viele sie im Laufe der Jahre vergessen, aber nachdem ihr Foto in allen Zeitungen abgedruckt war, würden sie sie bestimmt sofort wiedererkennen.
»Ich weiß net«, antwortete sie. »Wär’ das net so was wie ein Spießrutenlauf?«
»Je eher du die Menschen mit dir konfrontierst, um so eher werden sie akzeptieren, daß du wieder hier bist«, entgegnete der Bergpfarrer. »Und du hast keinen Grund, dich zu verstecken. Schließlich bist du unschuldig!«
Dieser Satz gab den Ausschlag.
»Ja, Hochwürden«, nickte Maria, »Sie haben recht, es gibt keinen Grund, warum ich mich hier verstecken sollte.«
*
»Chef, halten Sie das wirklich für eine gute Idee, die Berger einfach wegfahren zu lassen?« fragte Jochen Brandner während der morgendlichen Dienstbesprechung. »Was, wenn Gebhard sich mit ihr in Verbindung setzt, und die beiden die Flucht der Frau ins Ausland organisieren?«
Der Kriminalhauptkommissar sah auf das Papier, das vor ihm auf dem Tisch lag. An der Besprechung nahmen auch Klaus Schober und Martin Ernst teil. Zusammen bildeten sie die Sonderkommission, die mit der Aufklärung des Falles beschäftigt war.
Vier Leute – eigentlich viel zu wenig. Aber mehr konnte der Münchener Polizeipräsident beim besten Willen nicht zur Verfügung stellen. Gerade wurde in der bayerischen Landeshauptstadt der Besuch eines hochrangigen ausländischen Staatsgastes vorbereitet, und die Sicherheitsmaßnahmen erforderten eine große Anzahl Beamter.
Das Papier, das Hellwig so interessiert in Augenschein nahm, war vor zehn Minuten per Fax eingetroffen. Es kam von den österreichischen Kollegen aus Wien. Danach sei Thorsten Gebhard angeblich in Oberösterreich gesehen worden. In einem Hotel sei man auf den Mann aufmerksam geworden, weil die Personenbeschreibung auf ihn paßte. Leider kam der Hinweis durch den Portier zu spät, denn als die Polizei in dem Hotel eintraf, war der Gast schon wieder abgereist. Natürlich wurden sofort die Kontrollen verschärft und eine großangelegte Suchaktion durchgeführt. Allerdings ohne Ergebnis. Die österreichischen Kollegen wiesen jedoch darauf hin, daß der Gesuchte sich immer noch im Grenzgebiet zu Deutschland aufhalten könne. Wolfgang Hellwig hatte sofort die Polizisten in den grenznahen Orten und Gemeinden in Alarmbereitschaft versetzt und zu erhöhter Wachsamkeit aufgerufen.
»Gestern mochte es vielleicht noch eine schlechte Idee gewesen sein«, antwortete der Kriminalhauptkommissar auf die Frage seines Mitarbeiters und klopfte mit dem Zeigefinger auf das Fax. »Inzwischen sieht die Sache vielleicht schon wieder anders aus.«
Ernst und die anderen nickten.
»Sie meinen, da könnt’ was dran sein, daß der Gebhard sich gar net sehr weit ins Ausland abgesetzt hat?« fragte Klaus Schober.
Hellwig breitete die Arme aus und ließ sie wieder fallen.
»Wir haben jeden internationalen Flughafen auf der Welt überprüfen lassen«, sagte er. »Nirgendwo ist ein Mann gesehen worden, auf den Gebhards Beschreibung paßt.«
»Aber er ist doch von Frankfurt aus nach Südafrika geflogen«, wandte Martin Ernst ein.
»Wenn schon. Er kann genauso gut unterwegs, zum Beispiel in Rom, die Maschine wieder verlassen haben. Ein raffiniertes Ablenkungsmanöver, um uns zu täuschen und auf eine falsche Fährte zu führen.«
Auf dem römischen Flughafen ›Leonardo da Vinci‹ legte das Flugzeug einen Zwischenstop ein, um weitere Passagiere aufzunehmen, hatte Hellwig herausgefunden.
Der Gedanke, Gebhard könne dort ausgestiegen sein, erschien ihm mit einem Male gar nicht mehr so abwegig. Während weltweit nach dem Millionendieb gesucht wurde, könnte der sich nach Südtirol durchgeschlagen haben, um schließlich bis nach Oberösterreich zu gelangen.
Der Beamte stand auf und trat an eine Karte, die an der Wand des Büros hing. Mit dem Finger fuhr er die Strecke entlang, die Thorsten Gebhard genommen haben konnte.
Plötzlich verharrte der Finger auf einem Punkt. Dort stand der Name des Ortes, in den Maria Berger gestern gefahren war.
Und St. Johann war nur einen Katzensprung von