Die Eroberung von Plassans. Emile Zola
sie mit liebenswürdiger Stimme:
„Ich habe eben Madame de Condamin guten Tag gewünscht und bin hereingekommen, um zu hören, wie es der kleinen Familie geht . . . Die Kinder befinden sich wohlauf, nicht wahr? Und Sie auch, mein lieber Mouret?“
„Ja, alle befinden sich vortrefflich“, antwortete er, verwundert über diese große Liebenswürdigkeit.
Aber die alte Dame ließ ihm keine Zeit, in die Unterhaltung wieder einen feindseligen Ton zu bringen. Sie fragte Marthe zärtlich nach einer Menge Nichtigkeiten, gab sich als gute Großmama und schalt ihren Schwiegersohn, daß er „die Kleinen und die Kleine“ nicht öfter zu ihr schicke. Sie sei so glücklich, sie zu sehen!
„Ach! Wißt ihr“, sagte sie schließlich nachlässig, „jetzt haben wir Oktober; ich werde meine Empfangstage wiederaufnehmen, donnerstags wie in den anderen Jahren . . . Ich rechne auf dich, nicht wahr, meine liebe Marthe? — Und Sie, Mouret, wird man Sie nicht manchmal sehen, schmollen Sie uns noch immer?“ Mouret, den das rührselige Geschwätz seiner Schwiegermutter schließlich verwirrte, wußte für einen Augenblick keine schlagfertige Antwort. Auf diesen Hieb war er nicht gefaßt, ihm fiel nichts Boshaftes ein, und er begnügte sich zu antworten:
„Sie wissen sehr wohl, daß ich nicht zu Ihnen kommen kann . . . Sie empfangen eine Menge Leute, die entzückt wären, mir unangenehm zu werden. Außerdem möchte ich mich nicht auf Politik einlassen.“
„Aber Sie irren sich“, entgegnete Félicité, „Sie irren sich, hören Sie, Mouret! Würde man nicht sagen, mein Salon sei ein Klub? Das habe ich nicht gewollt. Die ganze Stadt weiß, daß ich mich bemühe, mein Haus liebenswürdig zu machen. Wenn man bei mir über Politik spricht, so geschieht das heimlich in den Ecken, versichere ich Ihnen. Ach ja, die Politik, sie hat mir früher genug Verdruß bereitet . . . Warum sagen Sie das?“
„Sie empfangen die ganze Bande von der Unterpräfektur“, murmelte Mouret mit mürrischer Miene.
„Die Bande von der Unterpräfektur?“ wiederholte sie. „Die Bande von der Unterpräfektur? — Ohne Zweifel, ich empfange diese Herren. Ich glaube dennoch nicht, daß man Herrn Péqueur des Saulaies in diesem Winter oft bei mir trifft; mein Mann hat ihm die Wahrheit über die letzten Wahlen gesagt. Er hat sich hinters Licht führen lassen wie ein Tropf . . . Was seine Freunde anbelangt, so sind sie Menschen aus guter Gesellschaft. Herr Delangre, Herr de Condamin sind sehr liebenswürdig, der biedere Paloque ist die Güte selbst, und gegen Doktor Porquier haben Sie, glaube ich, nichts einzuwenden.“
Mouret zuckte die Achseln.
„Übrigens“, fuhr sie fort und legte ironisch Nachdruck auf ihre Worte, „empfange ich auch Herrn Rastoils Bande, den ehrenwerten Herrn Maffre und unseren gelehrten Freund Herrn de Bourdeu, den früheren Präfekten . . . Sie sehen also, wir schließen uns gegen niemand ab, bei uns sind alle Meinungen willkommen. Aber begreifen Sie doch, daß kein Schwanz zu mir kommen würde, wenn ich meine Gäste nur aus einer Partei aussuchte! Außerdem lieben wir den Geist überall, wo er sich findet; wir erheben den Anspruch, daß zu unseren Abendgesellschaften alles kommt, was Plassans an vornehmen Persönlichkeiten aufzuweisen hat . . . Mein Salon ist neutrales Gebiet, merken Sie sich das gut, Mouret; ja, neutrales Gebiet, das ist das richtige Wort.“ Sie hatte sich beim Sprechen ereifert. Jedesmal wenn man sie auf dieses Thema brachte, wurde sie zum Schluß böse. Ihr Salon war ihr großer Ruhm; wie sie sagte, wollte sie dort thronen, nicht als Parteichef, sondern als Frau von Welt. Es stimmt, daß die vertrauten Freunde behaupteten, sie bediene sich einer Versöhnungstaktik, die ihr Sohn Eugène, der Minister, ihr angeraten habe, der ihr auftrug, in Plassans die Annehmlichkeiten und die Liebenswürdigkeiten des Kaiserreiches zu verkörpern.
„Sie können sagen, was Sie wollen“, brummelte Mouret dumpf, „Ihr Maffre ist ein Pfaffe, Ihr Bourdeu ein Einfaltspinsel, und die anderen sind größtenteils Lumpen. Das ist’s, was ich denke . . . Ich danke Ihnen für Ihre Einladung, aber das würde mich zu sehr in meinem Tagesablauf stören. Ich habe die Angewohnheit, zeitig schlafen zu gehen. Ich bleibe zu Hause.“
Félicité erhob sich, wandte Mouret den Rücken zu und sagte zu ihrer Tochter:
„Ich rechne immerhin auf dich, nicht wahr, meine Liebe?“ „Gewiß“, antwortete Marthe, die die grobe Weigerung ihres Mannes mildern wollte.
Die alte Dame schickte sich an zu gehen, da schien sie sich eines Besseren zu besinnen. Sie bat, Désirée, die sie im Garten erblickt hatte, einen Kuß geben zu dürfen. Sie wollte nicht einmal, daß man das Kind rief; sie stieg auf die Terrasse hinunter, die von einem am Morgen niedergegangenen leichten Regen noch ganz naß war. Dort floß sie über vor Liebkosungen für ihre Enkelin, die ein bißchen scheu vor ihr stehenblieb; als sie dann wie zufällig den Kopf hob und die Vorhänge im zweiten Stock sah, rief sie aus:
„Nanu! Ihr habt vermietet? — Ach ja! Ich entsinne mich, an einen Priester, glaube ich. Ich habe davon gehört . . . Was für ein Mensch ist dieser Priester?“
Mouret sah sie fest an. Ihm kam gleichsam ein rascher Argwohn; er dachte, daß sie einzig wegen Abbé Faujas gekommen war.
„Auf Ehre“, sagte er, ohne sie aus den Augen zu lassen, „ich weiß darüber nichts . . . Aber vielleicht können Sie mir Auskunft geben?“
„Ich?“ rief sie mit großartig gespielter Überraschung. „Nun! Ich habe ihn nie gesehen . . . Warten Sie, ich weiß, daß er Vikar an der Kirche Saint-Saturnin ist; Pater Bourrette hat mir das gesagt. Und hören Sie, das bringt mich auf den Gedanken, daß ich ihn zu meinen Donnerstagen einladen sollte. Zu meinen Gästen gehören bereits der Direktor des Priesterseminars und Monsignores Sekretär.“ Dann wandte sie sich an Marthe: „Weißt du, wenn du deinen Mieter siehst, solltest du dahingehend bei ihm vorfühlen, daß du mir sagen kannst, ob ihm eine Einladung angenehm wäre.“
„Wir sehen ihn fast nicht“, beeilte sich Mouret zu antworten. „Er kommt und geht, ohne den Mund aufzumachen . . . Außerdem geht mich das nichts an.“ Und er musterte sie weiter mit argwöhnischer Miene. Sicherlich wußte sie viel mehr über Abbé Faujas, als sie erzählen wollte. Im übrigen zuckte sie mit keiner Wimper unter dem aufmerksam musternden Blick ihres Schwiegersohnes.
„Das ist mir schließlich gleichgültig“, fuhr sie mit vollendeter Ungezwungenheit fort. „Wenn er ein anständiger Mensch ist, werde ich immer eine Art und Weise finden, ihn einzuladen . . . Auf Wiedersehen, meine Kinder.“
Sie ging die Freitreppe wieder hoch, als sich auf der Schwelle zum Hausflur ein großer alter Mann zeigte. Er trug einen Überzieher und Hosen aus sehr sauberem blauem Tuch und hatte eine Pelzmütze mit über die Augen hängender Krempe auf. In der Hand hielt er eine Peitsche.
„Ah, Onkel Macquart!“ rief Mouret und warf einen neugierigen Blick auf seine Schwiegermutter.
Félicité hatte eine sehr unwillige Handbewegung gemacht. Macquart, ein unehelicher Bruder Rougons, war dank dessen Hilfe nach Frankreich zurückgekehrt, nachdem er sich in der Erhebung der Landgemeinden von 1851 unmöglich gemacht hatte. Seit seiner Rückkehr aus Piemont führte er das Leben eines fetten Bürgers mit gutem Auskommen. Er hatte sich — man wußte nicht, mit was für Geld — im Dorf Les Tulettes, drei Meilen von Plassans entfernt, ein Häuschen gekauft. Nach und nach hatte er sich herausgemacht und sich schließlich sogar ein Wägelchen und ein Pferd zugelegt, so daß man ihn nur noch auf den Landstraßen traf, wie er Pfeife rauchend die Sonne trank, grinste und dabei aussah wie ein solide gewordener alter Seebär. Die Feinde der Rougons sagten ganz leise, daß die Brüder irgendeinen schlechten Streich zusammen begangen hätten und daß Pierre Rougon Antoine Macquart aushalte.
„Guten Tag, Onkel“, wiederholte Mouret mit betonter Freundlichkeit. „Sie kommen also, uns einen kleinen Besuch abzustatten?“
„Aber ja“, antwortete Macquart in gutmütigem Ton. „Du weißt, jedesmal wenn ich durch Plassans komme . . . Ach, du meine Güte, Fèlicité! Wenn ich darauf gefaßt gewesen wäre, Sie hier zu finden! Ich war gekommen, um Rougon zu besuchen, ich hatte ihm etwas zu sagen . . .“
„Er war zu Hause, nicht wahr?“ unterbrach sie ihn mit ruheloser Lebhaftigkeit. „Es