Chefarzt Dr. Norden Paket 1 – Arztroman. Patricia Vandenberg

Chefarzt Dr. Norden Paket 1 – Arztroman - Patricia Vandenberg


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Als Mum von der Arbeit nach Hause kam, ist er dummerweise in einem unbeobachteten Moment aus dem Garten entwischt.« Alle Lässigkeit fiel von ihr ab. »Mum hat schon die Polizei gerufen. Ich habe versprochen, mich mit dem Fahrrad auf die Suche zu machen. Kommst du mit?«

      »Na klar«, sagte Joshua ohne Zögern zu. »Ich bin mit Dési unterwegs«, rief er seinem Vater zu.

      Kurz darauf machten sich die beiden auf den Weg. Mit den Fahrrädern durchkämmten sie jede Ecke in der Umgebung. Sie suchten Parks und das nahe Einkaufszentrum ab, fuhren an jedem Spielplatz in der Nähe vorbei und sahen in jedem Hausflur nach. Vergeblich. An einer Parkbank machten sie schließlich Halt. Ihre Wangen leuchteten vor Anstrengung.

      »Nichts. Keine Spur«, stellte Joshua deprimiert fest.

      »Er kann sich doch nicht einfach in Luft aufgelöst haben.« Dési war der Verzweiflung nahe.

      Ihr Anblick schnitt Joshua so sehr ins Herz, dass er nicht anders konnte, als sie in die Arme zu nehmen.

      Sie legte den Kopf an seine Schulter und genoss die tröstliche Wärme seiner Haut, atmete tief seinen vertrauten Duft. Für einen Moment war der Gedanke an Paul wie fortgewischt.

      »Ich weiß, dass es blöd von mir ist«, murmelte sie. »Wir sind noch so jung und sollten nicht auf etwas verzichten, was uns wichtig ist.« Das waren die Worte ihrer Mutter gewesen, als sie ihr von Joshuas Plänen erzählt hatte. »Allein schon wegen der Verantwortung. Trotzdem finde ich es blöd, dass du mit deiner Mutter nach Zürich gehst. Was soll denn dann aus uns werden?«

      Joshua legte die Wange in ihr seidenweiches Haar.

      »Hmmm.«

      »Ich verstehe es einfach nicht!«, fuhr Dési fort. Jetzt, da das Schweigen gebrochen war, gab es kein Halten mehr. »Vor acht Jahren hat Paola dich und deinen Vater einfach so sitzen gelassen. Seitdem hattet ihr kaum Kontakt. Ihre Karriere war ihr wichtiger als ihre Familie. Und jetzt muss sie nur ein Mal mit dem Finger schnippen, und schon hast du ihr alles verziehen.«

      »So ist das nicht«, widersprach Joshua. »Ich habe ihr nicht alles verziehen. Aber es ist schön mit ihr. Wir sind uns so ähnlich. Ich habe das Gefühl, dass sie mich versteht. Außerdem haben wir viel Spaß zusammen.«

      Dési schob ihn ein Stück von sich und sah ihn forschend an.

      »Ist das genug?«

      Joshua biss sich auf die Lippe. Tief in seinem Inneren wusste er, dass sie recht hatte.

      »Bevor wir hier Schicksalsfragen erörtern, sollten wir uns lieber wieder auf die Suche nach Paul machen«, lenkte er schnell vom Thema ab. »Wo würdest du hingehen, wenn du so klein wärst und Heimweh hättest?«

      Sein Plan ging auf. Dési legte den Kopf schief und dachte nach.

      »Er wollte zu seiner Mami.«

      »Und wie sind er und seine Mami nach München gekommen?«

      »Mit dem Auto.« Désirée hatte keine Ahnung, worauf ihr Freund hinaus wollte.

      Blitzschnell zählte Joshua eins und eins zusammen. »Deine Mum ist auch mit dem Auto nach Hause gekommen, oder?«

      Endlich ging ihr ein Licht auf.

      »Du meinst, er ist in Mums Wagen?«

      »Kann doch sein, oder? Ich war selbst mal so ein Knirps und ich kann mir vorstellen, was in seinem Kopf vorgeht.« Joshua drückte seiner Freundin einen Kuss auf die Wange. Im nächsten Moment schwang er sich aufs Fahrrad. »Los, komm schon, alte Oma! Oder soll ich den Triumph allein auskosten?«

      »Das könnte dir so passen.« Erfüllt von neuer Hoffnung trat auch Dési in die Pedale.

      Es war nicht weit bis nach Hause. Dort angekommen, sprang sie ab und lehnte das Rad an den Gartenzaun. Fees Wagen parkte noch immer vor dem Haus. Ein Blick durch die Scheibe genügte, und Dési brach in Tränen aus.

      »Was ist? Jetzt sag schon!«, verlangte Joshua, der erst jetzt ankam.

      »Er schläft.« Dési deutete auf Paul.

      Wie eine Katze hatte er sich auf der Rückbank zusammengerollt und schlief tief und fest.

      In diesem Moment kam Felicitas aus dem Haus gelaufen. Durch das Fenster hatte sie gesehen, wie die beiden gekommen waren.

      »Und? Habt ihr eine Spur?«, rief sie atemlos.

      Joshua legte den Arm um Dési und drückte sie an sich. Dabei lachte er Fee an.

      »Du hast schon wieder vergessen, deinen Wagen abzuschließen.«

      »Wirklich? Bei der Aufregung kann das schon …« Mitten im Satz hielt sie inne. Erst jetzt verstand sie, was er ihr damit sagen wollte. In Windeseile lief sie den Gartenweg hinunter.

      »Sag bloß, Paul ist im Auto?«

      Joshua grinste von einem Ohr bis zum anderen.

      »Und schläft wie ein Murmeltier.« Er zog Dési zur Seite, um den Blick freizugeben auf das schlafende Kind.

      *

      »Klar sage ich Frau Wolter Bescheid. Mache ich doch gern«, versprach der Pfleger Jakob. »Sie wird sich sehr freuen, dass der kleine Räuber wieder da ist. Die ganze Zeit hat sie von nichts anderem geredet.« Er tauschte noch ein paar Worte mit dem Klinikchef, ehe er auflegte und das Mobiltelefon in die Kitteltasche zurücksteckte. Es gab noch viel zu tun an diesem Tag. Nicht nur, dass es noch Verbände zu wechseln und Medikamente zu verabreichen galt. Darüber hinaus musste er Pflegemaßnahmen dokumentieren und Pflegepläne für neue Patienten erarbeiten. Bevor er Dr. Nordens Auftrag ausführte, wollte er noch schnell die restlichen Tabletten für seine Patienten zusammenstellen. Auf keinen Fall durfte er durcheinander kommen. Er saß am Tisch, diverse Packungen vor sich, die er nach einer Liste akribisch in die Medikamentenboxen einsortierte.

      »Wo war ich stehen geblieben?« Jakob suchte den Namen auf der Liste. Doch es war wie verhext. Die Buchstaben tanzten vor seinen Augen und wollten einfach nicht stillstehen. »Das kann doch nicht sein«, schimpfte er leise vor sich hin. Er fuhr sich über die Augen. Der Boden unter seinem Stuhl begann zu schwanken. Wie ein Schwert fuhr ein stechender Schmerz durch seinen Kopf, sodass er meinte, er würde jeden Moment platzen. Jakob presste die Hände an die Schläfen und stöhnte auf.

      Dr. Sophie Petzold stand auf dem Flur und stritt wieder einmal mit ihrem Kollegen Matthias Weigand. Wie so oft ging es um die – wie sie meinte – antiquierten Behandlungsmethoden des Kollegen. Der dumpfe Knall aus dem Schwesternzimmer ließ sie mitten im Satz innehalten.

      »Ich werde Ihnen beweisen, dass ich recht habe«, drohte sie noch, ehe sie ihren Vorgesetzten stehenließ und in die Richtung davonlief, aus der das beunruhigende Geräusch gekommen war. »Was ist …« Die Antwort erübrigte sich.

      Die Hände an den Kopf gepresst, wand sich Jakob stöhnend auf dem Boden. Schnell kniete Sophie neben ihm nieder.

      »Was ist los?« Sie zerrte an seinem Oberkörper, richtete ihn auf und lehnte seinen Oberkörper an einen Schrank.

      »Mein Kopf!«, jammerte Jakob, außer sich vor Schmerzen. Hektisch atmete er ein und aus. »Mir ist schwindlig geworden, Frau Doktor … Doktor …« Vergeblich versuchte er, sich an ihren Namen zu erinnern.

      »Petzold. Ich bin Sophie Petzold.«

      Jakob rang sich ein Lächeln ab.

      »Tut mir leid. Natürlich. Frau Dr. Norden.«

      »SOPHIE. Mein Name ist Sophie«, wiederholte sie mit Nachdruck. Die eine Hand stützend auf­ seiner Brust, zog sie mit der anderen das Handy aus der Tasche. »Diesmal kommen Sie mir nicht aus.« Sie wählte eine Nummer und hielt das Gerät ans Ohr. »Dr. Weigand? Haben Sie kurz Zeit, mir mit einem Patienten zu helfen? Und bringen Sie bitte eine­ Liege mit.«

      *

      »Wer hat denn da angerufen?«, erkundigte sich Dr. Christine Lekutat bei ihrer Mutter, mit der sie sich eine Wohnung teilte. Sie wuselte zwischen den Zimmern hin und her, suchte


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