Die Blondjäger. Hans Leip

Die Blondjäger - Hans Leip


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standen mehrere vergoldete und versilberte Musikinstrumente. Es waren alles Saxophone. Hishwa blickte an Burns Kopf vorbei darauf hin. Die Empfindung von heiterer Musik mit dem Beiklang des Orchestrions im Goldkorn machte ihr kleines banges Herz beschwingter. Nein, Dr. Burn ist kein Menschenfresser, dachte sie ermunternd zu ihrer Nachbarin. Siehst du nicht, daß er wie David ein Spielmann des Herrn ist? Schlägt er die Harfe nicht, so bläst er doch himmlisch Saxophon.

      Ketty rutschte auf ihrem Sitze verlegen hin und her. Sie hatte sicher nicht recht verstanden, um was alles es sich da handle.

      „Frau Ketty Gesh“, sagte Burn, „Ihre Bedenkzeit beträgt vierundzwanzig Stunden, so schreibt es die Missionsregel vor!“ Er erforschte ihr Gesicht mit einem so durchdringenden Blicke, daß sie erst blaß wurde und dann purpurn aufglühte. Sie drängte ihre ganze in bitteren Zeiten erworbene Frechheit zusammen, sie vermochte wohl ihren üppigen Mund zu öffnen, brachte aber noch immer kein Wort hervor. Hishwa fühlte sich gepeinigt durch diese Stummheit und hauchte statt ihrer ein begeistertes „Ja“.

      „Ich kenne Sie nun“, sagte Burn mit bodenloser Einfachheit. Er reichte ihr aufstehend die Hand und fügte hinzu, daß er hoffe, sie in diesem Hause wiederzusehen. Sich zu Hishwa neigend, die bebend vor dieser Stimme und dieser Art und Weise ebenfalls aufgestanden war, lenkte er jedoch seine Aufmerksamkeit plötzlich ab und zur Tür, wo sein Diener Sabsai hereinsah und salbungsvoll meldete: „Die Mutter des Herrn Missionsdirektors ist herbeigeeilt, ihren lieben Sohn zu begrüßen.“

      Burn machte nun eine halb verlegene, halb segnende Bewegung und bat Hishwa um Verzeihung, daß sie ihr Gespräch erst später fortsetzen könnten. Nach dem Vortrage. „Wenn“, so fügte er mit einem prüfenden Lächeln hinzu, „der Makler, Herr Dulbort, nicht einen zu dicken Strich durch die Schwarze Sonne macht.“

      Beschämt, aufgeregt und den Mund zum Übelwerden angefüllt von ungesagten Worten, ging Hishwa mit Ketty hinaus, während eine unwahrscheinlich dicke Negerin in einem schwarzen Flitterumhang und einem mit Straß und rotem Mohn überhäuften Florentiner wie eine tollgewordene Dampfwalze ins Zimmer brauste. Sie hörten, wie die Alte in zwitschernder Ekstase mit den stumpfen Lauten vorgewölbter Lippen und am Gaumen klebender Zunge hervorheulte: „Duddy, Duddily, mein Herzblatt, mein rosa Bambuchen, mein Zucker, mein Gottessöhnchen, kennst du dein klein süßes Mammi nicht mehr? Oh, wo bi— du denn, bi— du denn wieder da?“

      Ketty starrte entgeistert auf den zuschwingenden Türflügel. Hishwa konnte dies nicht passen, sie fühlte sich bemüßigt, den Eindruck der dunstenden alten Negermutter nicht zu lange nachhallen zu lassen. Sie nahm ihre Beute mit hinauf und hatte hunderterlei Sächelchen in ihrem behaglichen Zimmer zu zeigen. Alles war mit Rosenmustern geziert. Aber Ketty schien etwas auf dem Herzen zu haben, sie war von der Negerin nicht abzubringen und rief schließlich aus: „Die Alte? Diese dicke Madame? Ich sah sie vor gar nicht langer Zeit, eben nachdem ich hier in Neuyork angelangt war, in einer Stellenvermittlung, in der sie Bedienerinnen, Aufwartemädchen und auch gewerbsmäßige Tanzmädchen für ihren Klub suchte, ja auch Barmädchen, wie man sie in Europa haben soll. Sie war auch scharf auf mich, sehr scharf sogar, aber eine Deutsche oder so, die das alles von drüben kannte, auch das mit dem Barbetrieb, blies mir zu, das sei nichts, das sei ein regelrechter Nachtklub mit allen Folgerungen und in Harlem. Man könne glatt sagen: Harem.“

      Hishwa ließ sich näher erklären, was da gemeint sei. Sie versank in abgründige Strudel, schwang sich wieder hoch und sagte mit Bestimmtheit, es geschehe hier entweder ein Irrtum oder es sei alles Verleumdung. Ein Teil des großen verleumderischen Netzes, das überhaupt gegen alles Farbige und insbesondere gegen die Tüchtigsten, eben gegen Dr. Burn, gesponnen und ausgeworfen werde. Sie ereiferte sich nicht lange, streckte sich auf das spartanisch einfache Bett.

      „Nachtfalter“ sei der Name des Klubs, dem Madame Burn vorstehe, fiel es Ketty bei. Aber nein, Burn? Burn habe sie nicht geheißen.

      „Schäm dich also, aber Lehrer Ward hat vielleicht daher seine Mütze!“ antwortete Hishwa und schlief mit diesem dunklen und anklagenden Satze ein. Eine weiße Katze sprang zu ihr hinauf und kuschelte sich schnurrend zu Füßen der Schlummernden, die Besucherin hin und wieder verächtlich anblinzelnd. Ketty saß stumm und beschwerten Herzens da, sie wagte nicht recht, sich zu bewegen oder gar fortzugehen. Sie trank den Tee, den das zarte Mulattenkind Moali lautlos und immer wieder aufmerksam in die Tasse füllte, und richtete nachdenklich den Blick auf die netten Gegenstände ringsum und auf ihren mageren Frühlingsmantel, der neben Hishwas teurem hing, auf den Gummivorhang der Badewanne und auf das Magazinblatt, das nun hier in einem um so vieles traulicheren Raume als Tamps Logis an einer grün und rosa gemusterten Tapete festgemacht war, mit vier Stecknadeln, die aber nicht wie gewöhnliche waren, sondern Köpfe aus opalisierendem Glas trugen. Sie hörte auch die leise Weise eines Saxophons, lieblich und einschläfernd, bis schließlich Moali Bescheid sagte, es sei Zeit, zum Vortrag hinunterzugehen

      *

      Merk’, Seele, auf

      Der Stunde Lauf,

      Kauf Gnade, eh’ Gott schließt!

      XI

      Zu der angezeigten Stunde strömte eine erkleckliche Menge in die festlich erleuchtete Vorhalle der Schwarzen Sonne. Ein schwarzer Türhüter in einer Art verschollener und korsarenhaft prächtiger Admiralsuniform öffnete die Wagenschläge. Oberhalb der Außenstufen standen zwei appetitliche Stubenmädchen in Tändelschürze und Raupenhäubchen und wiesen die Herrschaften einen Stock höher, woselbst eine Kleiderablage, die jedoch nicht Zwang war, zur Verfügung stand, während einige dunkelhäutige, goldbetreßte Platzanweiser, mehr im Range vormärzlich historischer Kapitänleutnants, mit Geschick eine unauffällige Einteilung der Gäste besorgten und durch verschiedene Türen und Vorhänge den Hauptsaal füllten. Unterdes hörte man aus den oberen Geschossen einen geistlichen Gesang herniedertönen.

      Vor dem Portal draußen hielt mancher blanke Wagen, und es waren wie gewöhnlich vorwiegend ältere Damen, noch im winterlichen Abendpelz, die da ausstiegen. Leichte kostbare Düfte wehten, wo sie schritten, und mischten sich mit dem Geruch von Immergrün und Nelken, mit denen das Haus ausgeschmückt war; oberhalb der teppichbelegten Stufen streiften sie die verbrämten Überstiefel ab, um die zarten seidigen Schuhe freizulegen.

      Inzwischen drückte sich auch Hoggard herein, der Schiffskoch von der „Merryland“ selig. Er zog den verschabten Filzhut. Die Vornehmheit beklemmte ihn, sein inneres Signal stellte sich auf „Rückwärts!“, aber eines der Empfangsmädchen nahm ihn liebenswürdig beim Arm und leitete ihn der Treppe zu, die, von einer Ampel in Form eines schwebenden Engels aus Milchglas überglänzt, hinaufführte in die Wolke aus Wohlgeruch, verhaltenem Gespräch und lieblichem Gesange.

      Es dauerte nicht lange, da glitt Fräulein Hishwa den Saal entlang. Sie war ohne Mantel, in ihrem blauen einfachen Tuchkleide. Sie erkannte den Koch an seiner umfangreichen Glatze, das Licht spielte grünlich darüber. Sie huschte bis an seinen Platz, wo noch einige Sitze frei waren, legte ihre Hand auf seine und ließ sich nieder. Sie fühlte sich frisch, sie hatte geschlafen.

      Sie flüsterte ihm, dem die Sprache hier nicht locker saß, allerlei zu von der Pracht und Einrichtung dieses Hauses, von den Musik- und Leseräumen, den Bädern, den Zimmern der Funken und Strahlen, den Sälen des Unterrichts, der sportlichen Abhärtung, dem Laboratorium, der Klinik und von den Tanzspiegeln, in denen jede sich selber sehe, zwölffach wie die Perlen am Tore Salems, und die Schwebetänze der Cherubim übend.

      Mitten hinein fügte sie in ihrer sprunghaften Art: „Mein Vater verbot mir, heute hierherzugehen. Ich bin trotzdem gegangen. Wegen Kettys. Was auch geschieht, Hoggard, bleiben Sie bei mir!“

      Sie gewann es nicht über sich, nach Tamp zu fragen.

      Der große Saal füllte sich indessen und wurde auf einmal ganz hell. Eine Kanzel wurde sichtbar, mit lachsfarbenen Nelken verkleidet, die aber nicht den doppelten Streifen in schwarz und weiß verdeckten, der um die Brüstung lief. Ein weißer Samtvorhang schloß das Saalende ab.

      „Ich singe heut nicht mit,“ sagte Hishwa dann, „ich hab mich mit Heiserkeit entschuldigt. Denn ich wollte so gern im Saal sitzen bei euch und Burn sprechen sehen.“


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