Die Blondjäger. Hans Leip

Die Blondjäger - Hans Leip


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herein.

      „Diese wissen ja nicht, was sie tun!“ hörte Hishwa den dicken Mann sagen. „Sie gehen schlechten Tagen entgegen, vielleicht dem Tode. Dies sollte die Gelegenheit sein der Wiedergeburt. Aber sie ertränken ihre Seligkeit in Schnaps und Gelächter.“

      „Diese Dorschangel werde ich mir fischen!“ sagte Hishwa energisch, von Tamps Schulter beengt.

      Er legte den Arm um sie. Ihr kleiner Nacken bebte plötzlich unter dem schwarzweißen Kragen. Sein Knie fühlte ihren Schenkel. Sie verbarg die Berührung nicht, wie jede andere es getan haben würde. Sie ergriff vielmehr seine Hand und sagte freimütig: „Fühlen Sie, meine Beine sind hart. Ich nehme es mit jedem Kuhjungen auf. Pferde und Schiffe, das liebe ich und das, was damit zu tun hat. Und Afrika. Und den Himmel.“

      In Tamp begann der Ingwersprit zu kreisen. Unversehens küßte er seine Nachbarin auf die Wange. Sie drehte sich ein wenig, sie bog sich zurück, purpurn überschattet, ihr Mund wölbte sich flüchtig und verlangend zu ihm auf. Aber ebenso flüchtig verschwand die holde Anbietung. Tamp war verblüfft über sich selbst und über sie. Es war wirklich nicht gerade üblich, was hier geschehen war, selbst bei Banders nicht. Aber war die Welt nicht anders geworden? Eine heißere, üppigere Luft wehte ringsum. Die Dorschangel hing am Halse eines betrunkenen Kulis, und dort saß der Heizer Swutt und küßte des Teufels leibhaftige Großmutter. Überall ging man in den Krieg und feierte Abschied. Das war es.

      Tamp zog wie gewöhnlich, wenn seine Empfindungen arbeiteten, die Tabakspfeife aus der Tasche. Hishwa tippte mit dem Finger auf den geschnitzten Kopf. Ihre Stimme glitzerte. Sie sagte, sie sei beschwipst. Aber der Pfeifenkopf sehe aus wie Josua Burn, und Tamp müsse mit, ihn reden hören. Diesen Abend noch. Der „Ohio“ aus ihrem Munde duftete wie ein junges Frühlingsbeet durch den Kneipenschwalch. Sie hatte schöne Zähne, und sie war prächtig angezogen.

      Sie neigte sich zu Hoggard hinüber.

      „Sie sind gut und fromm!“ sagte sie milde. Der Koch riß verlegen den speckigen Filz von seinem kahlen Haupte. Aber das Fräulein wandte sich schon wieder an Tamp, unerwartet rasch, wie in manchen ihrer Bewegungen. „Gehen Sie auch an die Front?“ fragte sie. Ihr Blick flog leuchtend über die blutrünstigen Werbeblätter.

      „Ich?“ entgegnete der Koch, obwohl er nicht gemeint war. „Ich töte keine Menschen. Mein Amt war ja vielmehr, sie am Leben zu erhalten.“

      Er wiegte verzweifelt den massigen Schädel. Vor der aufgesperrten Tür erschollen Posaunenklänge in greller Tonspaltung zur Bumsorgel. Tamp wollte antworten, aber Hoggard hob beschwörend drei Finger. „Seht!“ schmetterte seine Kopfstimme. „Die Heilsarmee! Gott ist noch nicht gestorben!“

      „Sie nehmen vielleicht keinen mehr bei der Marine!“ entgegnete nun Tamp, ein wenig verspätet. Sein Satz fiel unter den Tisch. Er zog die Karte des Kommissars aus der Brusttasche und legte sie neben die ungefüllt gebliebene Pfeife. Hishwa schüttelte den Kopf. Sie kenne den Mann nicht. Sie fragte auch nach Tamps Kreuzer und ob er Leutnant sei und versprach, als Hilfsschwester einzutreten, falls er verwundet werde. Aber diesen Abend predige Burn, und Josua Burn müßten sie noch hören, ehe sie in den Tod zögen.

      „Ich bin zu alt zum Morden!“ antwortete der Koch.

      Tamp ärgerte sich. Es wehte trotz aller schönen Worte eine unbequeme und kühle Zone um dieses Mädchen, das er soeben geküßt und das ihn fast wiedergeküßt hatte.

      „Kennen Sie auch den Reeder Smithson?“ fragte er.

      Sie nickte und meinte, weswegen—?

      „Oh, nichts weiter“, antwortete er, ob es wohl wahr sei, was man so höre, und ob Smithson sich mit Mädchenhandel befasse.

      Hishwa sah ihn neugierig an.

      „Was ist das?“ fragte sie.

      Aber Tamp war es nicht gegeben, sich auf nähere Erklärungen über solch kitzliges Thema einer Dame gegenüber einzulassen. Er brachte es nur zu einer Handbewegung in die Runde, indem er mit leichtem Ton hinwarf: „So mit diesen hier!“

      Er erhob sich. Er müsse endlich zur Werbestelle. Wenn sie Lust habe, solle sie hier auf ihn warten, Hoggard werde sie beschützen.

      „Gut!“ sagte Hishwa und hielt ihn am Ärmel fest. „Sie gehen drüben am Tisch vorbei. Sagen Sie dieser Dorschangel, ich wolle sie sprechen, und machen Sie ihr hübsche Augen, daß sie auch wirklich herüberkommt. Ich bin doch Schwester bei der Mission, ich muß über alles Aufklärung haben. Aber das sagen Sie ihr bitte nicht!“

      Tamp, so sehr es ihm widerstrebte, führte den Auftrag rasch und nicht sehr freundlich aus. Die Billige Dorschangel, eine unverwüstlich zähe und noch junge Kalifornierin, erhob sich betroffen. Dann sagte sie, indem sie die Arme ihres Kavaliers unwiderruflich von sich streifte: „Ich sah es längst, daß ihr dort eine zu wenig habt und daß es eine Dame ist, die man nicht teilen kann.“

      Als Tamp nun durch den Ausgang kam, sah er von weitem Kapitän Patternell mit dem Yankeereeder und dem Makler zur Stadt schwanken. Die Aasgeier! dachte er. Er hätte sich gerne auf sie gestürzt, aber die Hallelujamädchen standen davor und sangen, von Posaunen begleitet:

      O Dornenblut, Kommandowort,

      O palmenreicher Seelenport.

      Ich neig mein Haupt dir, geb es hin,

      Der Liebe süßestem Beginn.

      Tamp ging durch den geräuschvollen Mittag hinab zur Battery, vorbei an dem Häuserblock zwei Straßen weiter, wo Patternell, wie ein halbtoter Luftballon hinter seinen Freunden, dem Reeder und dem Makler herschleifend, soeben in ein Lokal einlief, das besser war als das Goldkorn, aber auch langweiliger und teurer. Tamp bedauerte dennoch, daß er nicht gerade dort saß mit einer feinen Dame, die einem dieser Brüder höchst sonderbar und amtlich nahestand, und sich Innigkeiten erlaubte, die ihm gewährt und sozusagen erwidert wurden.

      *

      Dreifach ist der Engel Angesicht:

      Satan, Mensch und ewiges Licht.

      VI

      Die Dorschangel überragte Hishwa um einen halben Kopf. Sie war auffällig in Seegrün und Zitronengelb gekleidet und trug einen voreiligen blauen, mit einem Hühnerflügel besetzten Frühlingshut aus Maisstroh und roch nach Mohnpuder. Sie tippte sofort unneidisch auf den schwarzen Fuchskragen Hishwas, setzte sich auf Tamps Platz, begrüßte von da aus den Koch mit der Miene einer Dame, die schon vergeben ist, und bestellte nach kurzem Kennerblick den gleichen Flip wie ihre neue Nachbarin. Diese offene Höflichkeit erwiderte Hishwa damit, ihr Aussehen und ihre Wirkung zu loben. Sie kamen bald auf ein gemeinsames Gebiet, das der Pferde. Die Dorschangel stammte aus einem kleinen Fuhrwerksgeschäft in Sacramento in Kalifornien, das durch die Entwicklung des Motorbetriebes eingegangen war. Ihre Familie geriet in Armut, entzweite sich und fiel auseinander. Sie persönlich sei einem blutjungen früheren Kutscher und nachmaligen Trambahnschaffner nach Frisco gefolgt, habe dann, als es ihr nicht mehr paßte, auf einem Schiff als Stewardeß angemustert und sei auf Umwegen nach Neuyork gelangt, wo sie durch eine Ablehnung, die sie einem Maschinisten zuteil werden ließ, ihre Stellung bei der Linie verlor und nun seit einem Vierteljahr hier bei Banders bald diesen, bald jenen kennenlerne und sich über Wasser halte. Heute nachmittag vier Uhr beispielsweise habe sie ein Stelldichein gleich zu mehreren nebenan in dem feinen Lokal von Ostlers.

      Der Koch, der sich abseits fühlte, warf hier mit großartiger Geste ein, sie hätten auch einmal eine Stewardeß an Bord gehabt, ein vertracktes Weibsbild, aber keiner habe es gewagt. Außer dem Bootsmann, aber der sei denn auch ertrunken.

      Hishwa lächelte. Sie erfaßte urplötzlich in sich eine neue, weitreichende Aufgabe. Die kleine Laune, ein Mädchen zu sich an den Tisch zu bitten, eigentlich hauptsächlich, um die Wirkung des von ihr gesandten Boten zu prüfen, erweiterte sich wie ein heranbrausendes Licht in ihr. Dieses prächtige Stück war weiß Gott eine Beute, ja sozusagen ein herrlicher Dorsch an der Seelenangel. Der Begriff Mädchenhandel, an dieser Ware gemessen, war klar, ohne daß sie zu fragen brauchte. Hier galt es nunmehr nicht nur, dem frommen Snobtum


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