Jan auf großer Fahrt. Carlo Andersen

Jan auf großer Fahrt - Carlo Andersen


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wenn ihr von Amerika nach Murmansk wolltet?»

      Peter seufzte ergeben. «Du stellst immer so dumme Fragen, Marstal. Aber das kommt eben daher, daß du nicht aus einer richtigen Hafenstadt stammst. Natürlich wäre es der direkte Kurs gewesen, wenn wir über den Nordatlantik nördlich von Norwegen gefahren wären, aber der Feind lag ja überall und lauerte auf uns, da mußten wir eben Umwege machen. Das ist übrigens eine Geschichte für sich, die erzähle ich ein andermal. Wir sollten also hinauf zu den Russen mit einer Menge Kriegsmaterial. Damals ging es ja hart zu, und die waren heilfroh, daß ihnen die Amerikaner all die schönen Sachen schikken wollten. Aber ich kann euch versichern, es wurde eine heiße Fahrt über den Atlantik. Die Unterseeboote schwirrten so dicht um uns herum, daß man beinahe von Periskop zu Periskop hätte hüpfen können. Und manchmal konnten wir die Sonne nicht sehen, in solchen Mengen flogen die feindlichen Flugzeuge über uns. Nun, das waren wir ja gewöhnt, und der ganze Konvoi erreichte Madeira...»

      «Madeira?» fragte Jan lächelnd. «Das war ja ein ganz schöner Umweg, wenn ihr nördlich von Norwegen hättet fahren sollen.»

      «Sicher, aber ich sagte ja schon, daß wir ständig hin und her kreuzen mußten, dabei sind wir eben ein paar tausend Seemeilen vom Kurs abgekommen. Wir gingen vor Funchal auf Madeira vor Anker. Dort bekamen wir alle für ein paar Tage Landurlaub. Die Bewohner von Funchal machten große Augen, als plötzlich einige tausend Mann ankamen, aber sie waren sehr flink und brachten im Handumdrehen genug Hotelzimmer für uns zusammen. Ich selber bekam ein schickes Zimmer mit allem Komfort... gekacheltes Badezimmer mit versenkbarer Wanne und so... und ich brauchte nur auf einen Knopf zu drücken, dann kam schon das gesamte Hotelpersonal angerannt, um sich zu erkundigen, womit ich unzufrieden wäre.»

      Peter Nielsen schwieg eine Weile, um seine Gedanken zu sammeln.

      «Es ging uns allen wie Maden im Speck. Sehr scharf waren wir daher auch nicht darauf, nun gleich ins Eismeer zu fahren. Um nun dieses Problem zu lösen, hielten alle 150 000 Mann eine kleine Versammlung ab, und da hinein platzte dann der englische Ministerpräsident Churchill...»

      «Winston Churchill?» staunte Jesper.

      «Na, wer denn sonst? Er war mal schnell von England ’rübergekommen, um sich ein wenig auszuruhen. Als er mich sah, strahlte er übers ganze Gesicht. Er gab mir die Hand und sagte: ‹Tag, Peter, wie zum Henker bist du denn hergekommen?› Da mußte ich ihm natürlich erklären, daß wir auf dem Weg nach Rußland waren und Material für mehrere Millionen geladen hatten, das die Amerikaner denen verehrt hatten. Churchill war brennend interessiert und fragte mich, ob ich an dem Abend nicht mal zu ihm ins Hotel kommen könnte. Nur so auf einen Sprung, damit wir ein wenig darüber reden könnten. Ich sagte natürlich ja, und am gleichen Abend machte ich mich dann in meiner feinsten Kluft zu ihm auf. Er hatte so viele Zimmer im besten Hotel, daß er sich selber kaum auskannte, aber ich fand natürlich gleich den Weg zu ihm. Da saß er und paffte an einer Zigarre. Die war so lang, daß er das Fenster offen lassen mußte, um Platz dafür zu haben. Als ich kam, ließ er die Zigarre einfach hinausfallen... was übrigens zur Folge hatte, daß der größte Teil des Hotelgartens verkohlte und ein Dutzend Gäste eine Rauchvergiftung bekam.

      Churchill saß eine Weile stumm da, dann sagte er: ‹Du, Peter, ich bin mordsmäßig an dem Material interessiert, das die Russen bekommen sollen. Die Amerikaner haben mir keinen Ton davon gesagt, das war nicht nett von ihnen, und ich könnte das Material so gut brauchen. Könntest du es nicht so einrichten, daß ihr nach Southampton fahrt und dort alles ausladet? Das Victoriakreuz gebe ich dir dann ganz bestimmt, wenn du wieder mal nach England kommst.›

      Das Angebot war natürlich großartig, und ich sagte sofort zu. Meine 149 999 Kollegen hatte ich bald überredet. Na ja, und einige Tage später lieferten wir den ganzen Kram in Southampton ab. Churchill war riesig froh, während die Russen natürlich stocksauer wurden...»

      «Und was sagten die Amerikaner dazu?» wollte Jan wissen.

      «Och, denen war es egal, es handelte sich ja bloß um Material für fünfzig Milliarden.»

      «Und woraus bestand das Material?»

      «Es waren Abwehrtragflächen für Panzer.»

      Und da konnten die Jungen nicht mehr an sich halten. Sie hatten sich schon während der ganzen Geschichte sehr zusammennehmen müssen, aber jetzt tönte ihr stürmisches Gelächter über das ganze Deck.

      Peter Nielsen war ein abenteuerlicher Lügner, aber er log immerhin so, daß ihn niemand mißverstehen konnte. Sogar der kleine Jesper, der manchmal etwas langsam von Begriff war, nahm an der allgemeinen Munterkeit teil.

      Als sie sich etwas beruhigt hatten, fragte Jack lächelnd: «Und hast du schließlich das Victoriakreuz bekommen?»

      Peter schüttelte den Kopf. «Nein, als ich einige Jahre später zu ihm in die Downing Street Nummer zehn ’reinschaute, hatte er gerade keine mehr auf Lager. Er gab mir statt dessen eine Kiste prima Zigarren. Wenn ihr mir nicht glaubt, braucht ihr bloß mal zu mir nach Hause zu kommen. Die leere Zigarrenkiste habe ich noch, und einen besseren Beweis könnt ihr doch nicht verlangen.»

      «Haben die Zigarren geschmeckt?»

      «Großartig! Als ich die erste geraucht hatte, mußte ich drei Wochen ins Kreiskrankenhaus von Svendborg. Aber die übrigen habe ich besser vertragen. Man gewöhnt sich eben an alles. Aber ich muß doch zugeben, daß ich seither lieber Shagpfeife rauche. Mein Freund Churchill war da härter. Ich kann euch übrigens noch eine Geschichte über ihn erzählen...»

      «Nein, du darfst dir nicht zuviel zumuten», unterbrach Marstal ihn. «Wenn du auch ein stinkfauler Mann aus Svendborg bist, mußt du jetzt die Wache übernehmen. Du kannst den Ingenieur nicht noch länger warten lassen und außerdem... hm... der Sturm braut sich mehr und mehr zusammen.»

      Als Peter Nielsen gegangen war, fragte Carl: «Warum wird er nicht Schriftsteller? Ich möchte wissen, woher er die Geschichten immer nimmt.»

      «Das gleiche habe ich auch eben gedacht», sagte Jack. «Es wäre doch eine Idee, all diese Geschichten aufzuschreiben, das gäbe ein ganzes Buch.»

      «Dann tu’s doch», sagte Jan. «Du hast doch deine Schreibmaschine mitgenommen.»

      «Ja, aber eigentlich brauchte man ein Tonbandgerät, denn Peters Art zu erzählen, ist unnachahmlich. Er bringt immer eine solche Menge Einzelheiten...»

      «Sollten wir nicht lieber in die Kojen kriechen?» schlug Marstal vor. «Es wird bestimmt unruhig während der Nacht, da ist es gut, wenn man schon etwas vorgeschlafen hat.» Er hustete trocken.

      Jesper erhob sich schnell und sagte: «Dazu braucht man mich nur einmal aufzufordern. Sollte es einen Orkan geben, dann braucht ihr mich nicht zu wekken. Ich wache schon von allein auf.»

      Marstal hustete wieder, diesmal etwas anhaltender. Die anderen sahen ihn forschend an.

      «Hast du dich verschluckt?» fragte Erling.

      «Ich... ich weiß wirklich nicht. Es kam ganz plötzlich. Ja... wahrscheinlich... habe ich irgendwas in den falschen Hals bekommen... ich glaube, ich brauche etwas frische Luft.»

      Die ‹Flying Star› stampfte und schlingerte schon etwas, die Windstärke nahm fühlbar zu, und die Wellen schlugen hart gegen den Schiffsrumpf. Als Marstal die Tür hinter sich schloß, konnten die Jungen ihn husten und nach Luft schnappen hören.

      «Was kann ihm bloß fehlen?» fragte Jan. «Hoffentlich ist es nur ein Krümel in der Luftröhre, dann wird es ja bald wieder in Ordnung sein. – Also: auf, in die Kojen!»

      Peter Nielsen stand breitbeinig hinter dem Ruder. Die Dunkelheit hatte sich über das Meer gesenkt, der Wind pfiff und die Wogen gingen hoch. Peters Gesicht zeigte einen angespannten Ausdruck. Er richtete sich auf eine anstrengende Wache ein. Von den drei Erwachsenen konnte keiner in dieser Nacht mit Schlaf rechnen, denn wenn sich das Wetter weiter so verschlechterte, konnte die ‹Flying Star› sehr plötzlich in ernsthafte Schwierigkeiten geraten.

      Ingenieur Smith paffte seine Pfeife, während auch er die dunklen hohen Wellen betrachtete, die sich rundumher,


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