Jan auf großer Fahrt. Carlo Andersen

Jan auf großer Fahrt - Carlo Andersen


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kleiner Krümel», unterbrach ihn Erling. «Du hättest dir selbst und vor allem uns anderen einen großen Dienst erwiesen, wenn du zu Hause geblieben wärest. Falls du immer so wehleidig jammern willst, wenn es ein wenig stürmt, dann haben wir ja eine herrliche Weltreise vor uns. Jetzt kriech aber ganz schnell unter die Decke und mach deine Äuglein zu, dann wünscht dir Onkel Erling auch eine gute und ruhige Nacht.»

      «Ach, du redest, Dicker, als ob du selber schlafen könntest», jammerte Jesper. «Dabei könnte ich wetten, daß es dir ebenso übel geht wie mir.»

      «Ich wette nie, wenn ich sicher bin, daß ich verlieren werde», sagte Erling. «Wenn ich ganz ehrlich sein soll, muß ich zugeben, daß ich auch hie und da von den schönen Küsten des Öresund geträumt habe. Da kann man mit dem Rücken zum Wasser stehen und über eine ganze Menge herrliches und festes Land blicken; das wackelt und schwankt gar nicht. So ein fester Asphaltweg ist doch was Feines, nicht wahr, lieber Krümel? Oder vielleicht nur ein ganz gewöhnliches Feld, das so ganz flach daliegt, als ob es nur darauf wartet, daß man darüber spaziert? Aber hier, wo das Meer sich zu Wellenbergen türmt, da ist es nun vorbei mit dem Frieden und der Ruhe.»

      Alle mußten lachen. Und Jan sagte: «Ich kann es einfach nicht in meinen Kopf kriegen, daß ihr beide solche unverbesserliche Landratten seid. Jetzt müßtet ihr doch längst darauf eingestellt sein, daß wir ein ganzes Jahr lang ein richtiges Seemannsleben führen werden. Denn den größten Teil der Reise werden wir ja auf See verbringen. Fangt also lieber gleich an, euch damit zu befreunden, es bleibt euch keine andere Wahl.»

      «Natürlich, tun wir ja auch», murmelte Erling und versuchte seiner Stimme Überzeugung zu verleihen. «Wir finden bloß, daß die alten herzigen Liedchen über die ‹leichten Wellen› und den ‹freundlichen Wind› nicht so ganz stimmen.»

      Jack lachte leise vor sich hin. «Wenn ich mich nicht irre, haben wir schon mal ‹Sturmlieder› gesungen.»

      «Ach ja, das war auch mal Mode. Aber ich finde, das sollte jetzt gründlich abgeschafft werden. Es gibt keine windgeblähten Segel mehr, heute ist das Zeitalter der Motorboote.»

      In diesem Augenblick erzitterte die ‹Flying Star› unter dem Anprall einer anstürmenden Woge und die Wassermassen dröhnten gegen das kämpfende Schiff.

      Erling drehte sich in seiner Koje auf die andere Seite und murmelte: «Ich hatte keine Ahnung, daß das Meer einen solchen Spektakel vollführen kann. Das ist ja schlimmer als der Strandvej in Kopenhagen an einem schönen Sonntagvormittag mit allen Motorrädern und Autos und der ganzen Bescherung!»

      Ingenieur Smith erhob sich und legte den Kopfhörer auf den Tisch. «Ich gehe jetzt und schaue nach Marstal. Hoffentlich fehlt ihm nichts Ernstliches.»

      «Ja, hoffentlich», bekräftigte Peter Nielsen. Ausnahmsweise klang seine Stimme ganz bekümmert. «Ich schaffe das schon allein, machen Sie sich keine Sorgen.»

      «Das weiß ich», versicherte Smith. «Daß Sie das Schiff hier draußen gut in der Hand behalten, da habe ich keine Sorgen. Aber wenn Marstal ernstlich erkrankt ist, müssen wir vielleicht an Land... und was dann?»

      «Das wäre eine böse Sache», sagte Peter zögernd. «Wenn es das Unglück wirklich so will, wär’s ein verflixtes Risiko. Ehrlich gesagt, Ingenieur Smith, die Verantwortung wage ich nicht auf mich zu nehmen... aber... warten wir erst ab, ob Marstal nicht inzwischen das Krümelchen losgeworden ist.»

      Smith mußte sich auf seinem Weg über das Deck mit aller Kraft vorwärtskämpfen. Immer wieder mußte er sich mit beiden Händen festklammern. Obwohl er Ölmantel und Südwester trug, war er tropfnaß, als er die Kajüte endlich erreichte. Gegen die gewaltigen Brecher, die über das Boot schäumten, bot ein Ölmantel nur unzureichend Schutz.

      Einen Augenblick blieb Smith in der Tür zur Kajüte stehen und schaute hinüber zu Marstals Koje. Schon ertönte der hohle, trockene Husten wieder.

      «Ist es nicht besser geworden, Marstal?» fragte er.

      Der Seemann setzte sich ein wenig auf und stützte sich auf einen Ellbogen. Es dauerte eine Weile, bevor er Luft geholt hatte. «Wenn ich ganz ehrlich sein soll... dann... dann geht es mir schlechter... ganz verdammt schlecht... und... und ich kriege kaum Luft...»

      Smith setzte sich auf den Rand der Koje und betrachtete den Kranken, der wieder zurückgesunken war und sich unruhig hin und her warf. Die heiße Stirn und die glänzenden Augen verrieten mit aller Deutlichkeit, daß der Mann hohes Fieber hatte. Bei jedem Hustenanfall krümmte er sich und rang verzweifelt nach Luft. Neben ihm stand eine halbleere Medizinflasche, und Smith fragte: «Haben Sie einen Schluck genommen, Marstal?»

      «Mehrere», stöhnte der Seemann unter großer Anstrengung. «Beim letzten bin ich beinahe erstickt. Das Zeug hilft nicht.»

      Der Ingenieur erhob sich hastig. «Ich komme gleich wieder, Marstal.»

      So schnell wie möglich versuchte er die Kajüte der Jungen zu erreichen. Die Wellen schlugen nach wie vor über die Reling, gegen die er plötzlich so heftig geworfen wurde, daß ihm beinahe schwarz vor den Augen wurde. Schließlich erreichte er die Kajüte und versuchte trotz des Sturmes die Tür so leise wie möglich zu öffnen. Aber soviel Rücksicht hätte er nicht zu nehmen brauchen. Außer dem kleinen Chinesenjungen waren alle hellwach.

      «Ihr könnt also auch nicht schlafen?» fragte er, während er im Bücherregal zu suchen begann.

      «Kann ich Ihnen helfen?» fragte Jan und stützte sich im Bett auf.

      «Nein, danke... ich habe ihn schon... den medizinischen Ratgeber...»

      «Den medizinischen Ratgeber?» wiederholte Jan erstaunt. «Ist jemand krank?»

      Smith erklärte kurz, wie es um Marstal stand, und sagte abschließend: «Jetzt will ich nachschlagen, ob hierin etwas steht, das uns hilft, denn keiner von uns ist ja medizinisch vorgebildet.»

      Er wandte sich mit dem Buch in der Hand zur Tür, als Jan voller Eifer vorschlug: «Könnte man nicht versuchen, über Funk einen Arzt zu fragen?»

      Der Ingenieur, die Hand schon auf der Türklinke, wiederholte mechanisch: «Über Funk? Ja, natürlich, du hast recht, Jan. Daran habe ich überhaupt nicht gedacht. Ich werde sofort versuchen, mit einem Schiff Kontakt aufzunehmen, das einen Arzt an Bord hat. Es ist keine Zeit zu verlieren.»

      Gleich darauf saß er am Funkgerät im Ruderhaus und begann in den Äther zu morsen. Es dauerte nicht lange, bis er Antwort bekam. Der Funker eines norwegischen Schiffes antwortete ihm. Smith gab Namen und Position der ‹Flying Star› bekannt, und der Norweger funkte zurück, daß sein Schiff, die ‹Elva Thorsten›, aus Bergen sei. Sie lag etwas südlicher in der Biskaya.

      «Haben Sie einen Arzt an Bord?» fragte Smith.

      Sofort kam die Antwort: «Ja, können wir helfen?»

      «Wir haben einen Kranken an Bord», morste Smith. «Kann ich mit dem Arzt reden?»

      «Ich rufe ihn gleich», antwortete der Norweger. «Bleiben Sie am Gerät!»

      Smith wandte sich seufzend an Peter Nielsen. «Marstal geht es gar nicht gut. Ich habe ein norwegisches Schiff mit einem Arzt an Bord erreicht, aber der liegt noch in süßen Träumen.»

      Etwas später meldete sich der Norweger wieder: «Unser Arzt kann selbst morsen. Übernimmt jetzt das Gerät. Warten Sie!»

      Gleich darauf begrüßten sich die beiden Funkenden kurz, dann berichtete Smith sogleich, so gut er konnte, über die Symptome, die bei Marstal aufgetreten waren. Er erklärte, wie plötzlich das Ganze angefangen habe und daß man zunächst der Meinung gewesen sei, Marstal habe sich nur verschluckt. Inzwischen habe er hohes Fieber und starke Atembeschwerden.

      Sofort morste der Arzt: «Alles deutet auf sogenannte Falsche Bräune. Äußerst gefährlich! Können Sie sofort einen Hafen anlaufen?»

      Smith traten Schweißperlen auf die Stirn, als er antwortete: «Nur unter größtem Risiko. Und im besten Fall erst in mehreren Stunden.»

      «Hat jemand


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