Jan auf großer Fahrt. Carlo Andersen
Antwort. «Ich habe schon millionenmal Schlimmeres gut überstanden.»
Peter hatte nie zu den Menschen gehört, die in kleinen Ziffern rechnen. Auch diesmal brauchte er es nicht, denn inzwischen war der Sturm auf Windstärke 9 angewachsen!
Zweites kapitel
Der Sturm nahm an Stärke zu. Dunkle Wolkenfetzen jagten über den Himmel, und die ‹Flying Star› stampfte heftig durch die aufgewühlte See. Jetzt mußte das große, seetüchtige Boot zeigen, was es konnte. Und Peter Nielsen mußte alles einsetzen, was er in seinen Jahren zur See gelernt hatte. Ein weniger erfahrener Steuermann hätte sicher bald seine liebe Not gehabt. Das Kurshalten wurde immer schwieriger. Das Schiff mußte so weit von Land gehalten werden, daß es nicht in Gefahr geriet, aufzulaufen oder in der gewaltigen Brandung gegen die Küste geschleudert zu werden und zu zerschellen. Andererseits sollte die ‹Flying Star› so dicht wie möglich unter Land halten, das in der völlig dunklen Nacht wenigstens eine gewisse Orientierungshilfe bieten mochte.
Die ‹Flying Star› war natürlich mit einem Funkgerät ausgerüstet, das von Ingenieur Smith selbst bedient wurde. Als Techniker verstand er es ausgezeichnet, damit umzugehen. Während Peter am Ruder stand, saß er mit dem Kopfhörer am Ohr und fing die Signale von anderen Schiffen auf, die bei diesem Unwetter auf See waren. Er konnte mit anhören, wie sich viele der Fischerboote verständigten, schleunigst ihre Häfen anzulaufen, und er fragte Peter Nielsen, ob er es nicht für ratsam hielt, das gleiche zu tun.
Aber der schüttelte den Kopf und sagte mit entschlossener Miene: «Nein, jetzt ist es besser, hier draußen zu bleiben. Das Risiko ist größer, wenn wir versuchen, Land anzusteuern. Die Fischer kennen die Gewässer in- und auswendig, die haben keine Schwierigkeiten, in den Hafen zu kommen, wenn sie nicht schon vorher... na ja, hm... auf Grund gehen. Hoffen wir das Beste für sie.»
Nach einer Weile fügte er hinzu: «Wenn wir nur den Kurs halten, dann kann uns nichts geschehen. Hier draußen fühle ich mich ganz sicher, das schaffe ich schon.»
«Verstehen Sie mich richtig, Peter», sagte Smith und mußte trotz der ernsten Lage lächeln. «Ich bezweifle durchaus nicht, daß Sie ein guter Seemann sind. Ich weiß im Gegenteil, daß wir uns voll und ganz auf Sie und Marstal verlassen können. Wo ist er übrigens? Er kann doch nicht noch immer bei den Jungen sitzen?»
«Wenn man vom Teufel spricht...» sagte Peter.
In diesem Augenblick ging nämlich die Tür auf und Marstal stolperte herein, während eine Bö die Tür hinter ihm zufallen ließ. Er hielt eine Hand vor der Brust, beugte den Kopf nach vorn und hustete heftig.
Dann schnappte er nach Luft und sagte: «Entschuldigen Sie, daß ich so spät komme... aber ich bin ein wenig an der frischen Luft gewesen... ich...» Nach einem erneuten Hustenanfall fuhr er fort: «Ich habe so einen verflixten Hustenreiz bekommen.»
«Das brauchst du uns gar nicht erst zu erzählen», entgegnete Peter trocken. «Du hast es wohl so eilig gehabt, den Schiffszwieback in dich hineinzustopfen, daß du einen Krümel in den falschen Hals bekommen hast. Warum mußt du auch heimlich naschen, du Freßsack?»
«Na, ausgerechnet du mußt da reden», japste Marstal und hustete erneut. «In London hast du so viel gegessen, daß wir frischen Proviant an Bord nehmen mußten.»
«Ich esse mit Anstand», erklärte Peter würdevoll, doch seine Augen blitzten verschmitzt dabei. «Aber das habe ich ja immer gesagt: Leute aus Marstal haben eben keinen Anstand. Nein, da müßt ihr schon nach Svendborg kommen, dort leben Weltmänner mit Manieren.»
Marstal gab keine Antwort, er hustete bloß wieder heftig.
Ingenieur Smith betrachtete ihn mit besorgtem Gesicht. «Hören Sie, Marstal, der Husten gefällt mir gar nicht. Sind Sie sicher, daß Sie sich verschluckt haben?»
«Ich weiß es wirklich nicht», sagte Marstal, während ein neuer Hustenanfall ihm die Tränen in die Augen trieb. «Ich weiß nur, daß es verflixt unangenehm ist.»
«Geh und leg dich hin», befahl ihm Peter. «Wir schaffen die Wache schon allein. In meinem Fach steht noch Hustensaft. Nimm einen ordentlichen Schluck davon, der hilft bestimmt.»
«Ja, aber ich...»
«Los, fort mit dir, Marstal! Wir machen das mit der linken Hand, wo das Wetter doch so schön ruhig ist.»
«Wegen so einem bißchen Husten gebe ich doch nicht auf», erklärte Marstal mit Bestimmtheit.
«Doch, Marstal, folgen Sie seinem guten Rat und legen Sie sich hin. Wenn es sich um eine Erkältung handeln sollte, dann ist es besser, man tut gleich etwas dagegen. Ich komme nachher zu Ihnen und schaue nach, wie es Ihnen geht.»
«Na ja», gab Marstal zu, «man wird ja ein wenig müde von der Husterei. Es ist vielleicht wirklich besser, wenn ich mich hinlege.»
«Soll ich Sie zur Kajüte begleiten?»
«O nein, danke, das schaffe ich schon. In einer Stunde ist mir sicher besser. Bis gleich.»
Und damit verschwand er. Peter kümmerte sich wieder um den Kurs, während Smith gedankenversunken dasaß, bis er sich zu Nielsen wandte: «Also, dieser Husten gefällt mir gar nicht. Der klang nicht gut.»
«Sehr wohltönend war er ja nun nicht», gab Peter trocken zurück. «Aber so ist das eben mit den Leuten aus Marstal. Kaum hat man Windstärke 3, da erkälten die sich und müssen ins Bett. Na, ich glaube nach wie vor, daß er sich bloß verschluckt hat. Das kann schon passieren. Ich erinnere mich, daß wir einmal zum Frühstück in Batavia waren...»
Und damit begann er eine lange Geschichte, die von einem Dutzend Krabben handelte, welche er damals in Batavia in den falschen Hals bekommen hatte. Aber der Ingenieur hörte gar nicht recht zu. Er dachte an wichtigere Dinge.
Der Sturm warf die ‹Flying Star› hin und her. Immer wieder schlugen die Wellen über das Deck, und die Brecher donnerten gegen das dicke Fensterglas des Ruderhauses.
Peter Nielsen grinste und sagte: «Ich komme mir vor wie hinter dem Fenster eines Käseladens.»
Aber die kräftig gebaute Jacht widerstand jedem Angriff der Elemente. Sie duckte sich, legte sich auf die Seite und richtete sich wieder auf. Die ‹Flying Star› knirschte in den Spanten, rollte in der aufgewühlten See und tauchte mit der Nase ins nächste Wellental. Aber stetig ging es vorwärts, während Peter breitbeinig am Ruder stand und der kräftige Motor rhythmisch weiterarbeitete.
In der Kajüte der Jungen fand keiner Schlaf. Das ständige Rollen des Schiffes machte es unmöglich, die Augen zu schließen. Ab und zu krängte das Schiff so stark, daß sie alle beinahe aus den Kojen gefallen wären. Erling und Jesper kämpften tapfer gegen die aufkommende Seekrankheit. Beide hatten Tabletten geschluckt und hofften es damit zu schaffen. Jesper war jedoch ganz grün im Gesicht, was wohl am meisten der Angst zuzuschreiben war. Er schämte sich, seekrank zu werden.
Natürlich überstand Carl das Ganze am besten. Er war ja schon zur See gefahren. Aber auch Jan und Jack Morton fühlten sich durchaus wohl. Sie waren in ihrem Leben so viel gesegelt, daß es ihnen nichts weiter ausmachte, wenn es drunter und drüber ging. Aber schlafen konnten auch sie nicht. Der einzige, der fest schlief, war Yan Loo, der Chinesenjunge. Nichts konnte ihn aus der Ruhe bringen. Er war schon vor Beginn des Sturmes eingeschlafen und ließ sich nicht stören.
«Unbegreiflich», wunderte sich Carl. «So eine Landratte...»
«Vielleicht ist er schon öfter auf See gewesen, und wir wissen es bloß nicht. Wir wissen überhaupt sehr wenig von ihm», meinte Jan.
«Da hast du recht, aber ich mag ihn einfach gern. Er ist ein lustiger kleiner Bursche, ich bin sicher, daß wir noch viel Spaß mit ihm haben werden. Ist doch mal etwas Neues und...»
«Och», kam es stöhnend von Jespers Koje, «könnt ihr denn nicht aufhören zu quatschen, damit wir anderen ein wenig schlafen können... oh... och...»
«Geht’s dir schlecht, Krümel?» fragte Jan mitleidig.
«Noch