Jack und seine drei Flammen. F. C. Phillips
Seltenheit, dass ein Geldverleiher sich ein grosses Vermögen macht; eben so selten ist es aber, so überfüllt wie der Beruf ist, dass ein Anwalt arm stirbt.
Mit meinen zehn Pfund bewaffnet, eilte ich heim und fand, wie ich geahnt hatte, Mrs. Brabazon zu Hause.
„Was ist denn mit Ihnen, Jack? Sie sind ja ganz erhitzt vor Freude. Schwindeln Sie mir nichts vor! Sie haben wieder im Billard gewonnen, davon bin ich überzeugt.“
„Nein, das hab’ ich nicht; aber trotzdem habe ich Glück gehabt! Wir wollen irgendwo essen und dann ins Theater gehen.“
„Ja, ich bin dabei, wenn Sie lieb und mit einem vernünftigen Mittagessen zufrieden sein und nachher ruhig auf Parkettplätze gehen wollen. Ich kann keine Verschwendung dulden.“
Der Vertrag wurde entworfen und gutgeheissen. Wir speisten — einerlei wo — um den gewöhnlichen Preis von einer halben Guinee, eine wohlgekühlte Flasche Champagner zwischen uns. Dann sassen wir höchst vernünftig auf unsern Parkettplätzen und nahmen soviel Interesse an der Vorstellung, als die übrigen Leute auch. Vor der Posse gingen wir fort, und ich kaufte einen Schleier in Coventry Street, unter dessen Schutz Mrs. Brabazon mit mir ins Café de l’Europe ging, wo wir ein bescheidenes Abendessen einnahmen.
Es war wirklich, wie ich bereits bemerkt habe, etwas Kindliches und in dieser Beziehung Unschuldiges in unsrer schlichten Art, uns Vergnügen zu suchen. Dann fuhren wir nach unserm Kosthause zurück, doch bestand meine Gefährtin darauf, dass ich an der Strassenecke ausstieg und sie vollends allein nach Hause fahren liess. Da es nicht anging, ihr allzu rasch zu folgen, so verweilte ich noch in einem benachbarten Gasthof, wo ich mit dem Wirt in dessen Schenkstübchen sass, bis ich mir schliesslich mit meinem eignen Drücker Eingang in das Kosthaus verschaffte.
Doch ich will mich nicht in weiteren Einzelheiten über diese folles journées ergehen. So viel steht fest, dass ich bis über die Ohren verliebt war, und ebenso gewiss ist es, dass Mrs. Brabazon Wohlgefallen an meiner Verehrung fand. Schon oft habe ich mich gewundert, wie es kam, dass ich sie nicht geheiratet habe, ich glaube aber, die Antwort auf diese Frage ist in dem Mrs. Brabazons eignen gesunden Menschenverstand zu finden und noch mehr in ihrer Ehrenhaftigkeit und Treue. Ihr gesunder Menschenverstand sagte ihr, sie sei älter als ich, und es sei besser, unsre Beziehungen blieben unverändert und währten, solange sie mochten, so dass wir einst, wenn die sommerliche Blüte der Liebe abgefallen, uns jedenfalls die herbstliche Frucht der Freundschaft gerettet hätten. Und ehrlich gesprochen, glaube ich dass Susan Brabazon meine Freundschaft höher schätzte als meine Liebe, und dass sie, als sie anfing mich zu ermutigen, dies mehr aus Langweile als aus irgend einem andern Grunde that. Ohne eitel oder geckenhaft zu sein, glaube ich sagen zu dürfen, dass sie stolz auf mich war und wünschte, mich im Leben etwas leisten und dann denen entgegentreten zu sehen, die mich schlecht behandelt und über die Achsel angeblickt hatten.
Wir Männer wundern uns nie, wenn sich ein Mann von fünfundfünfzig Jahren in ein siebzehnjähriges Schulmädchen verliebt. Wir denken nicht an das Leben, zu dem das arme Kind in seinen schönsten Jahren verdammt ist. O nein! Die alten Graubärte wackeln mit den Köpfen und versichern, es sei eine höchst passende und glückliche Verbindung. Warum sollte es nicht auch ein gleich passendes und glückliches Zusammentreffen von Umständen sein können, wenn eine Frau von mittleren Jahren einen jungen Fant, der ganz gut ihr Sohn sein könnte, unter ihre Flügel nimmt? Man wird mir entgegenhalten, dies sei schon oft dagewesen und ich verteidige meine eigne Sache. Wohl, aber ist es nicht die Pflicht eines jeden Mannes, seine eigne Sache zu verteidigen, und hat es je etwas Neues gegeben unter der Sonne?
Wenn ich heute auf all dies zurückblicke, kann ich mich nur über mein Glück wundern und es dankbar preisen. In ihrem unendlichen Gleichmut und ihrer unverfälschten weiblichen Güte wachte Mrs. Brabazon über mich, wollte aber nichts weiter. Ich bin fest überzeugt, dass sie in jedem Augenblick unsrer Freundschaft oder unsres mehr als freundschaftlichen Verhältnisses sich mehr als irgend jemand sonst gefreut hätte, mich glücklich und gut verheiratet zu sehen, und alles aufgeboten haben würde, eine derartige Verbindung zu stande zu bringen, wenn sie Zeit, Ort und Gelegenheit hierzu hätte ausfindig machen können.
Prüde und Sittenprediger, welch letztere noch schlimmer sind als die Prüden, mögen von ihrem Benehmen denken, was sie wollen; mir ist es stets „echt weiblich“ erschienen.
Viertes Kapitel.
An dem bestimmten Tag machte ich meinen zweiten Besuch bei Mr. Raphael, der mich mit freundlichem, wohlwollendem Wesen empfing. Er war, wie er sagte, in betreff der Sicherheit zufriedengestellt und war bereit, mir das Geld zu geben, das ich brauchte. Mr. Jakobs hatte die nötigen Papiere vorbereitet, doch würde ich sie vielleicht lesen wollen, ehe ich sie unterschrieb.
Ich erfreute mich einer ganz hübschen Rechtsunkenntnis im allgemeinen und, was die Uebertragung von Rechten im besondern betraf, der denkbar grössten Unwissenheit. Ausserdem wünschte ich, mein Geld zu erhalten und fortzugehen. Ich unterschrieb also einen Wechsel über einhundertzwanzig Pfund und erhielt dagegen meinen Schuldschein über zehn Pfund und einen Check auf neunzig Pfund.
„Ich habe die Spesen Mr. Jakobs’ nicht abgezogen,“ bemerkte mein philosophischer Gönner und Freund, „ich will sie selbst entrichten. Vielleicht kommen Sie wieder zu mir, und ich werde mich jederzeit freuen, Sie bei mir zu sehen, das heisst in vernünftigen Grenzen, sowohl in Bezug auf Zeit als auf Beträge.“ Bei diesen Worten schien sich mir die unbeschränkte Aussicht auf eine goldne Höhle zu eröffnen; ich kam mir vor wie ein zweiter Aladin, und das Blut stieg mir zu Kopfe.
„Hoffentlich frühstücken Sie einmal bei mir,“ bat ich meinen neuen Mäcenas.
„Sie sind sehr freundlich, allein ich darf dies nicht wagen. Meine Verdauung ist gänzlich gestört, so dass ich mich streng nach ärztlicher Vorschrift richte und beinahe nur von Reispudding und Steinwein lebe. Adieu! Doch lassen Sie mich Ihnen noch einen Rat geben, ehe Sie gehen. Wenn Sie Bargeld brauchen, so kommen Sie wieder zu mir. Gehen Sie nirgends sonst hin; ich würde es erfahren, wenn Sie es thäten, und ich wäre dann genötigt, mich dadurch sicher zu stellen, dass ich Ihre Angehörigen über unsre Beziehungen unterrichtete, was, wie ich glaube, nicht ganz angenehm für Sie wäre. Ausserdem könnte ich Ihnen auch einen Zahlungsbefehl zustellen lassen. Sie wissen doch, was dies sagen will?“
Errötend entgegnete ich, dass ich es nicht wisse.
„Gehen Sie in Ihr Rechtskollegium zurück und fragen Sie einen Ihrer Freunde. Doch Sie sind ein Gentleman, Mr. Severn, und werden nichts hinter meinem Rücken thun, dessen bin ich sicher. Jetzt habe ich aber zu arbeiten. Gehen Sie nach der ‚Münze.‘“
Ich ging nach der „Münze“ oder mit andern Worten nach dem Westender Zweighaus der Bank von England und setzte dort meinen Check in Bargeld um. Da diese Zweiganstalt an der Ecke von Burlington Gardens liegt, nahm ich meinen Weg durch die Arkaden gleichen Namens, wo ich einige Kleinigkeiten für Mrs. Brabazon kaufte und auch meine eigne Toilette etwas vervollständigte. Ich wurde „gekämmt und gekräuselt“, bis ich, wie es bei Tenny heisst:
Aussah in meiner Locken Zier
Wie ein frisierter assyrischer Stier!
Ein wenig unterhalb der Burlington-Arkaden, von wo ich einen Fächer, Handschuhe und einen Sonnenschirm mitbrachte, befindet sich der Laden eines berühmten Obsthändlers. Hier holte ich Nektarinen. Die Nektarine ist eine der besten Früchte der Welt, aber sie kommt erst spät im Jahre.
Dann führte mich mein Kutscher nach Bayswater zurück, mit einem Umweg über den Tattersall, wo er unter dem Vorwand, sein Pferd zu tränken, die neuesten Wetten zu erfahren hoffte. Die Gutherzigkeit der Jugend ist immer überströmend. Als ich ausstieg, gab ich ihm eine Schillingcigarre und zwei Schilling über die Taxe. Er mochte wohl glauben, ich sei über den Betrag des Fahrgeldes, das ich zu bezahlen hatte, nicht genau unterrichtet und wolle mich vermittelst der Regalia einer Erörterung entziehen; wenigstens nahm er Geld und Cigarre ohne den geringsten Versuch, auch nur den Rand seines Hutes zu berühren, und fuhr davon, als wäre er froh, mich los geworden zu sein.
Als ich in den Hausflur trat, waren die Vorbereitungen zum Mittagessen in vollem Gang,