Die Schlinge. Pavel Kohout
»Die prestigeträchtige Wiener Universität kann das doch nicht vorspielen! Aber sei es nun Zufall oder ein Akt der Solidarität, sie kamen zur rechten Zeit, sieh es also als Wink des Schicksals. Felix! Die Fusion ist doch eine ausgemachte Sache, auch ohne dich!«
»Umso weniger begreife ich daher, warum jemanden eine gegenteilige Meinung stören sollte!«
Da er weiterhin von oben auf ihn herabschaute, fühlte sich Jan genötigt, zu antworten.
»Vielleicht geht es irgendjemandem darum, dass der Beschluss eures Parteitags einstimmig ausfällt.«
»Das ist doch eine Phobie von euch Kommunisten! Aber wir sind die Sozialde-mo-kra-tie, und den Grundsatz, dass Demokratie gleich Diskussion ist, wollen wir auch in den zukünftigen Bund mit euch einbringen. Gerade die Meinung der Minderheit verschafft dem Sieg der Mehrheit Vertrauen!«
Im anderen Teil des Salons begann das Telefon zu klingeln. Der Professor wollte automatisch hingehen, aber Kamila kam ihm zuvor.
»Lass dich nicht stören ...«
Kaum war sie verschwunden, ließ sich Fischer dicht neben Jan nieder, legte ihm vertraulich den Arm um den Hals und fragte eindringlich.
»Genosse Soukup ... oder darf ich auch Jan sagen?«
»Sicher ...«
»Von wem ist diese Nachricht?«
»Sie ist die Reaktion darauf, was ich für euch in Erfahrung bringen sollte ...«
»Von wem?«
»Ich habe mein Wort auch dort gegeben ...«
»Und ist sie aus eurem Politbüro?«
»Ja ...«
»Aus dem ... nicht aus dem Moskauer Lager?«
Jan hatte nie gelernt zu lügen.
»Gewiss war darin eine deutliche Hochachtung Ihnen gegenüber und die Sorge um Sie enthalten ...«
»Sollte mir diese Warnung etwa nur Angst einjagen, um mich lächerlich zu machen?«
»Mir kam sie aufrichtig vor ...«
Fischer fragte nicht weiter. Nach wie vor hatte er jedoch seinen Arm auf Jans Nacken, als Kamila zurückkam.
»Genosse Laštovička ...«
»Nun, was ist denn ...?«
»Genosse Laštovička ist von einem Auto angefahren worden ... Er war auf der Stelle ...«
Sie sprach nicht zu Ende. Fischer ließ langsam seinen Arm von Jans Schultern gleiten und schaute ihm unverhohlen vorwurfsvoll in die Augen.
»Auch schon bei uns!?«
9
Aus der Redaktion wählte Jan die Nummer, die er gestern bekam, nachdem ihn sein sogenannter Führungsoffizier nach Hause gebracht hatte. Niemand meldete sich. Er wollte nach dem Abendessen, das seine Mutter zubereitet hatte, neue Kampfstrophen fertigstellen, die als Werbung für den Zusammenschluss der bisher gespaltenen Linken dienen sollten. Er schob ein Blatt Papier in eine alte Wanderer-Schreibmaschine, um mit Hilfe der Maschinenschrift das Handschriftliche zu verfremden, wie er sagte, und schneller zu erkennen, was dem Gedicht noch fehlte. Aber er war nicht fähig, sich zu konzentrieren, da er immer wieder erneut und vergeblich dieselbe Nummer wählte. Es reimte sich nicht auf die gestrige Zusicherung, dass die Leitung für ihn immer frei sein würde. Als er schließlich in Rage geriet und es zum letzten Mal versuchen wollte, um überhaupt noch etwas schreiben zu können, klingelte das Telefon.
»Was ist?«, meldete sich eine bekannte Stimme.
»Was wohl!«, sagte Jan gereizt, »warum heben Sie nicht ab?«
»Und wer ruft an?«
»Jan Soukup natürlich.«
»Kenne ich nicht!«, sagte die Stimme.
»Aber ich erkenne Sie, was treiben Sie da für ein Spiel?«
»Du hast wohl keinen Decknamen, Genosse?«
Jan merkte, wie dumm er war.
»Entschuldigung. Kamil ...«
»In Ordnung. Was möchtest du?«
»Ich möchte auf der Stelle mit Ihrem ... Sie wissen schon!«
»Brennt’s?«
»Und ob!«
»Steh in zwanzig Minuten unten vor deiner Bude!«
Klapp! Der andere hatte den Hörer aufgelegt. Jan war bis jetzt angezogen gewesen, er versuchte den Flur auf Zehenspitzen zu durchqueren, aber es gelang ihm nicht. Seine Mutter schaute aus dem zweiten Raum heraus, der als Wohnzimmer diente und in dem sie auch schlief.
»Musst du noch in die Redaktion, Jan?«
»Nein, ich will ein wenig frische Luft schnappen!«
»Dann gib Acht!«
»Auf was denn?«
»Ihr schreibt doch, dass die Reaktion ihren Kopf hebt ...«
Er musste lachen.
»Aber Mama, doch nicht bei uns in Karlín, hier würde sie ihn doch gleich verlieren!«
Die Nacht war warm und die Straße still und leer, alle standen hier gewöhnlich um fünf zur Arbeit auf. Er lehnte sich an die erste Laterne, wo ihn seine Mutter nicht mehr sehen konnte, und ließ den Film der letzten Tage Revue passieren, von da an, wo er die Kinologe betreten hatte. Von der verworrenen Geschichte verstand er bisher nicht besonders viel, aber sie hatte ihm Kamila zurückgebracht, und hauptsächlich deswegen war er bereit, darin weiter zu agieren.
Den schwarzen Tatra lenkte wieder derselbe Mann, von dem er in das geheime Büro geführt worden war. Hatte er gestern keinerlei Miene verzogen, so verhielt er sich heute geradezu unfreundlich. Sobald Jan die Tür zugeschlagen hatte, fuhr er los und fragte barsch.
»Also, was ist?«
»Ich muss mit eurem ... eigentlich hat er sich mir gar nicht vorgestellt ...«
»Wie soll ich ihn also erkennen?«
»Du hast mich zu ihm geführt, Genosse.«
»Dann hat er dir auch gesagt, dass ich dich zu führen habe.«
Jan fing an sich zu ärgern.
»Warum kann man dich dann nicht erreichen?«
»Bisher war es nicht nötig.«
»Gerade das würde ich gerne mit eurem ... wahrscheinlich Vorgesetzten besprechen! Er hat mir versprochen, dass seine Tür stets geöffnet ...«
Der Mann hinter dem Steuer fiel ihm ins Wort.
»Die Tür zu ihm öffne ja auch ich, wie du gesehen hast.«
Er bog an ihrem großen Wohnblock nach rechts und dann immer wieder nach rechts ab. Jan kapitulierte.
»Professor Fischer nimmt das Angebot an.«
»Nun, das haben wir erwartet!«
»Nur hat er jetzt eine Bedingung. Er möchte mehr über den Tod des Genossen Laštovička erfahren.«
»Was noch?«
»Alles, was das Politbüro darüber weiß.«
Der Mann am Steuer wunderte sich.
»Warum das Politbüro?«
»Ich verhandle doch mit ihm im Namen des Politbüros ... laut eurem Vorgesetzten oder etwa nicht ...?«
»Was der Vorgesetzte sagt, gilt.«
»Darum will Fischer mehr wissen!«
»Gut, dann sag ihm, dass das Politbüro dasselbe weiß, was auch schon im Rundfunk war. Vermutlich hat ihn ein